Monte Verde. Grüner Berg. Der Name für das 750 Meter hohe Felsplateau, das sich hinter der Hafenstadt Mindelo auf der Kapverdeninsel São Vincente erhebt, könnte kaum unpassender sein. So weit das Auge reicht zeigen sich nur graue Geröllfelder. Nur ein paar verlorene Palmen, ein paar vereinzelte Kakteen krallen sich an dem steinigen Untergrund fest und trotzen dem Wind. Der fegt alles weg, was nicht niet- und nagelfest ist.

Mühevoll aufgeschichtete Steinmauern künden vom Bemühen der Altvorderen, der kargen Erde etwas Nahrhaftes abzutrotzen. Aber wirklich erfolgreich war dieses Unterfangen wohl nie. Die Terrassen liegen verlassen da; die winzigen aus Bruchstein gemauerten Häuschen verfallen zu Ruinen. Der Monte Verde – er gehört den Eidechsen, die flink davonhuschen, und den Greifvögeln, die über seinem flachen Gipfel kreisen.
Inhaltsverzeichnis
São Vincente: per Taxi zum Monte Verde
Wer mit Ausdauer und Elan gesegnet ist, erobert den Tafelberg – die höchste Erhebung der nur 227 Quadratkilometer großen Insel – zu Fuß. Doch die meisten Touristen lassen sich lieber per Taxi auf den Aussichtspunkt kutschieren. Dort erwartet den Besucher ein phänomenales 360-Grad-Panorama.
Unwillkürlich fragt man sich, wer diese kurvenreiche Holperpiste geschaffen und Hunderttausende Pflastersteine verlegt hat – nebst unzähligen Kilometern an Begrenzungsmauern. „Das waren die Briten, die hier oben einst einige Farmen betrieben“, erklärt Fahrer Paolo in dem typischen Kauderwelsch auf Englisch, Portugiesisch und dem weitverbreiteten Creol.

São Vicente: Englands historische Rolle
Im Vergleich zu den anderen Inseln des Archipels, deren Geschichte ab dem frühen 16. Jahrhundert vornehmlich von den Portugiesen bestimmt wurde, nimmt São Vicente eine Sonderstellung ein.
Während der Epoche der Dampfschiffe erkoren die Engländer den geschützten Hafen von Mindelo zum Kohlebunker. Sie lieferten den dringend benötigten „Treibstoff“ für die Schiffe nach Übersee. Die Portugiesen währenddessen verdienten prächtig an den Zollabgaben. Das ließ die Hafenstadt Mindelo erblühen. Heute zählt das koloniale Kleinod zum Welterbe.

Noch immer ankern große Frachtschiffe im Naturhafen Porto Grande, ursprünglich ein Vulkankrater; noch immer dümpeln Segelboote und Jachten in der Marina, deren Besitzer einen Zwischenstopp vor der Atlantiküberquerung Richtung Karibik einlegen.
São Vicente und seine Hauptstadt Mindelo
Wer nach São Vicente kommt, tut dies vor allem wegen der pulsierenden Hauptstadt Mindelo, deren Ausläufer sich an die Hänge des Monte Verde schmiegen. Sportliche Naturen zieht es gleich auf die Fähren hinüber nach Santo Antão, dem Wanderparadies der Kapverden, wo sich vulkanische Mondlandschaften zu mystischen Nebelwäldern, üppigen Tälern voll tropischer Pflanzen und spektakulären Küstenpfaden gesellen.
Wer es afrikanischer liebt, ist auf Santiago besser aufgehoben, der größten Insel des 500 000 Einwohner zählenden Archipels: Dort pflegen die „Bandios“, die Nachkommen entlaufener Sklaven, das kulturelle Erbe ihrer aus Afrika verschleppten Vorfahren. Doch einen solch städtebaulichen Solitaire wie Mindelo hat keine andere der neun bewohnten Inseln des Archipels zu bieten, die 1975 ihre Unabhängigkeit von Portugal erlangten.

Kolonialbauten erstrahlen in Pastellfarben
Rund um den Torre de Belém – eine beeindruckende Nachbildung des gleichnamigen Pendants in Lissabon – leuchtet es bunt wie im Farbkasten eines Schulkindes. In Ehren ergraute Häuser, von denen der Putz abblättert, wechseln sich ab mit frisch getünchten Schmuckstücken in knalligem Orange, leuchtendem Blau, feurigem Rot und sattem Grün.
Selbst zarte Lilatöne mischen sich in die Farbkombinationen, als seien die Bauten entlang der kopfsteingepflasterten Gassen eine einzige Leuchtreklame.
In zartestem Rosa präsentiert sich der Palácio do Povo, der mit seinen feinen Verzierungen in strahlendem Weiß an die mehrstöckige Hochzeitstorte eines Zuckerbäckers erinnert. Früher diente der imposante Bau hinter blühenden Bougainvilleen als Gouverneurspalast. Heute wird er für Kunstausstellungen, Konzerte und offizielle Empfänge genutzt.

Das traditionelle Getränk der Kapverden: der Grogue
Überhaupt sind die Stadtväter ziemlich kreativ, wenn es um die Umwidmung von Gebäuden geht. Im ehemaligen Zollhaus gegenüber der palmengesäumten Uferpromenade, der Avenida Marginal, wird heute moderne Kunst kapverdischer Künstler präsentiert.
Im Bau daneben, dem beliebten „Club Nautico“ trifft sich die Jugend zum Abhängen bis tief in die Nacht. Sie nippen an dem ein oder anderen Gläschen Grogue – einem höllischen Rachenputzer auf Zuckerrohrbasis – und löffeln das Nationalgericht Cachupa, einen Eintopf aus gestampftem Mais mit Bohnen, Yamswurzeln und Fleisch, der nach einer durchzechten Nacht auch zum Frühstück mundet.

Die Praça Estrela: Händler buhlen um Kundschaft
Mindelo ist voller Leben. Schon am frühen Morgen eilen Hausfrauen zum historischen Mercado Municipal, wo sie sich mit Obst, Gemüse und allerlei Gewürzen eindecken. Der Mercado de Peixe gleich neben dem Torre de Belem entlarvt sich schon anhand seines Geruchs als Umschlagplatz für Fisch und anderes Meeresgetier.
Auf der Praça Estrela buhlt eine ganze Armada aus fliegenden Händlern um Kundschaft. Hier gibt es alles, wonach Einheimischen und Touristen das Herz steht – überdimensionale Kochtöpfe, blinkende Turnschuhe und bunte T-Shirts mit dem Motto der Kapverden „no Stress“.

Wer will kann sich vor Ort das passende Hemd oder den passenden Kaftan nähen lassen: Hübsche Stoffe mit afrikanischen Mustern gibt es im Überfluss, dazu in der Ecke die antike Nähmaschine. Die würde in Deutschland den Weg in jedes Technikmuseum finden.
Ein paar Impressionen aus Mindelo, der Inselhauptstadt von São Vicente
Salamansa: die Hochburg der Kitesurfer
Wer den Gegenpart zu dem geschäftigen, lauten Treiben in der 15.000-Einwohnerstadt sucht, fährt auf einer der wenigen asphaltierten Straßen gen Osten, nach Salamansa. In der Hochsaison zieht die Bucht Horden von Kitesurfern an, die dank des auflandigen Windes akrobatische Manöver vollführen.
Doch in den Monaten März und April ist der kilometerlange Strand des in sich ruhenden Fischerdorfes verwaist. Ein paar streunende Hunde stromern über den goldgelben Strand. Jungs aus dem Ort lassen Drachen steigen. Ein paar Händler bieten kunstvoll bemalte Muscheln feil.

Nur die Frauen der Fischer, die schon am frühen Morgen in See gestochen sind, kennen keinen Müßiggang. In riesigen Plastikkanistern schleppen sie das Trinkwasser aus dem örtlichen Brunnen nach Hause, meist – ganz nach afrikanischer Manier – auf dem Kopf. Denn an ein öffentliches Wassernetz sei hier kaum ein Haus angeschlossen, erzählt Paolo.
Die Traumbucht von São Vincente: die Baia das Gatas
Als schönste Bucht der ganzen Insel, manche sagen sogar des Archipels gilt die Baia das Gatas. Kilometerlang zieht sich das goldgelbe Band der „Katzenbucht“ dahin, begrenzt von der geschwungenen Mole mit dem aufgeschütteten schwarzen Lavagestein, an der sich fotogen die Wellen des Atlantiks brechen.
Liegen, Schatten oder Strandbars mit nervender Beschallung sucht man hier vergeblich. Richtig rummelig wird es an diesem Strand nur im August, wenn das gleichnamige Musikfestival Abertausende in den Ort lockt, wo sich ausgewanderte Kapverden hübsche Ferienvillen gebaut haben. Doch die stehen die meiste Zeit des Jahres leer, was dem Ort etwas Geisterhaftes verleiht.

Dünen und schwarzblaues Lavagestein
Man könnte ewig weiterlaufen, den warmen Sand zwischen den Zehen spüren, die Knöchel vom erstaunlich warmen Atlantik umspülen lassen. Denn die Katzenbucht geht nahtlos über in die Praia do Norte und in die Praia Grande, an deren Ende der längst erloschene Vulkan Calhau thront.
Dünen wechseln sich ab mit schwarzblauem Lavagestein; am Hang thront eine nagelneue Bungalowsiedlung, deren Besitzer wohl auf Sinnsucher und Einsamkeitsfanatiker hofft. Denn so unbeschreiblich schön die hufeisenförmige Bucht auch ist: Ein Bad im türkisfarbenen Wasser könnte wegen der starken Brandung, der gewaltigen Wellen und der Unterströmung lebensgefährlich sein.

Stattdessen genießt man den Sound der See, lässt den Blick über Wellenberge und Schaumkrönchen schweifen bis zur unbewohnten Insel Santa Luzia, die den zehnten Stern der kapverdischen Flagge verkörpert. Früher trieben Hirten ihre Ziegenherden über das Eiland, doch selbst denen war es dort zu garstig. Heute ist der Inselzwerg ein Refugium für Seevögel und Schildkröten, die dort ihre Eier ablegen.
Mindelo: Heimat des Morna
Wenn abends die Sonne glutrot hinter dem Monte Cara versinkt, dessen Silhouette Fantasiebegabte an das Gesicht eines liegenden Mannes erinnert, erwacht Mindelos kreative Szene zum Leben. Über die lauschige Praça Nova mit dem verspielten Art-Déco-Kiosk zu spazieren, ist der gelungene Auftakt einer typischen „Noite Caboverdeana“, eines Abendessens mit Musik.

Aus den Bars klingen die melancholischen Töne der „Morna“, der kapverdischen Variante des Fado, und der rhythmischen Coladeiras.
Die berühmteste Vertreterin des Moll-lastigen „Morna“ war Cesária Évora, die stets barfuß auf die Bühne des legendären Café Royal kam – als Geste der Solidarität mit Not leidenden Menschen.
Die Diva mit dem unvergleichlichen Timbre, wie geschaffen für erdschweres Schmachten nach der Heimat, ist noch immer die Seele, das Herz und das Gesicht des Archipels vor Afrikas Westküste. 2011 starb sie in ihrer Heimtstadt Mindelo. Von unzähligen Hauswänden lächelt sie auf ihre Landsleute herab, ein fröhlicher Mensch, der seine große Liebe zu den kleinen Inseln in Melodien gegossen hat.

Was du über São Vincente wissen musst….
São Vicente ist eine der kleineren Kapverdischen Inseln im Atlantik. Die 227 km² große Insel gehört zur nördlichen Inselgruppe Ilhas de Barlavento und liegt zwischen den Inseln Santo Antão und Santa Luzia, rund 640 Kilometer westlich der afrikanischen Küste.
Anreise: São Vincente hat zwar einen internationalen Flughafen, doch Direktflüge ab Deutschland gibt es nicht. Die häufigsten Verbindungen legen einen Zwischenstopp in Lissabon ein. Wer viel Zeit hat, kann die Fähre von Santiago nach São Vicente nehmen. Die Gesellschaft Interilhas betreibt die wichtigsten Fähren zwischen den Inseln. Die Fähre “Chiquinho” verkehrt täglich ziwschen São Vicente und Santo Antão. Die Fahrzeit beträgt 50 Minuten.

Einreise: Die Visumpflicht für die Kapverden wurde mit Gültigkeit vom 1. Januar 2019 abgeschafft. Dies gilt für einen Aufenthalt bis zu 30 Tage. Zeitgleich wurde eine Flughafensteuer, die TSA, eingeführt – die Höhe beträgt rund 30 Euro.
Die Steuer muss von jedem Reisenden individuell vorab entrichtet werden. Dafür ist eine Registrierung auf der Internetseite der Regierung erforderlich, um die TSA zu bezahlen. Erforderlich sind Informationen zur Identität, Reisedaten, Kontakt und das erste Hotel der Reise. Am Ende des Online-Formulars bezahlst du dann die Gebühr per Kreditkarte. Das Onlineformular ist in Englisch, Französisch und Portugiesisch verfügbar.
Übernachten: Die meisten Hotels und Guesthouses finden sich in Mindelo. Auch an der Baia das Gatas finden sich Ferienvillen. Wer dort seinen Urlaub verbringen möchte, braucht allerdings einen Mietwagen.








