Von Köln nach Rotterdam und Amsterdam und zurück in die Domstadt. Unsere winterliche Rheinkreuzfahrt bringt uns jeden Tag in eine andere Stadt – und das ganz ohne lästiges Kofferpacken. Natürlich sind es nur Kurzvisiten in den beiden größten Städten der Niederlande, doch die Entdeckungen auf eigene Faust machen Lust auf mehr. Nachdem wir am zweiten Tag Rotterdam erkundet haben, geht es weiter nach Amsterdam.
Inhaltsverzeichnis
Station Nr. 2 auf der winterlichen Rheinkreuzfahrt: Amsterdam
Beim Navigieren auf Amsterdams Kanälen ist Fingerspitzengefühl angesagt. Zentimeter für Zentimeter tastet sich die “Fortuna” in die Amstel vor und schwenkt dabei elegant um ihre Mitte.
Rheinschiffer Frans hat keinen Blick für die feudale Fünf-Sterne-Herberge “Amstel” am linken Flussufer, wo schon Queen Elizabeth II., Steven Spielberg, Rihanna oder die Rolling Stones genächtigt haben. Überdies hat er kein Ohr für das Hupkonzert der Radfahrer, von denen es in der bevölkerungsreichsten Stadt der Niederlande mehr als Einheimische geben soll.
Amsterdamer Wahrzeichen: die Magere Brug
Vor dem gut 100 Meter langen Kahn liegt eines der Wahrzeichen Amsterdams und eines der meistfotografierten Motive der Stadt: die Magere Brug, eine der letzten erhaltenen Holländerbrücken aus Holz, die James Bond-Fans aus dem Streifen “Diamantenfieber” bekannt sein dürfte.
Die Ausflugsboote, die jeden Tag Abertausende Touristen durch die Grachten der Metropole schippern, passieren mühelos die hübsche, weiße Zugbrücke, die sich südlich der Keizersgracht über die Amstel spannt. Doch für ein Rheinschiff wie die “Fortuna” ist das Schmuckstück aus dem Jahr 1934 dann doch zu niedrig. Absperrschranken bringen den Strom aus Fußgängern und Radfahrer zum Erliegen. Dann setzen sich die schwarzen Ketten in Bewegung. Danach schwenken die beiden Brückenteile geräuschlos nach oben.
Die Brückenwächter der Mageren Brug
Nach wenigen Minuten liegt das Hindernis hinter der “Fortuna” und die hölzerne Schönheit gehört wieder den Passanten. Früher war das Öffnen und Schließen der Zugbrücke Aufgabe von zwei Brückenwächtern, die mit bloßen Händen die Metallketten zu ziehen hatten – ein anstrengender und zugleich gefährlicher Job, bei dem die Verletzungsgefahr groß war.
Doch seit 1994 läuft das Öffnen der Brücke automatisch. Überdies wird das Bauwerk nachts von 1800 Glühlampen beleuchtet- ein romantischer Anblick, der bestens zu Hollands Hauptstadt passt.
Rotterdam und Amsterdam: Städte voller Kontraste
Amsterdam: Städtereiseziel für die Massen
Nur 70 Kilometer sind es von Rotterdam nach Amsterdam. Doch eigentlich liegen Welten zwischen den beiden größten Städten der Niederlande. Hier das Manhattan an der Maas, dessen Motto höher, gewagter, spektakulärer ist und das sich zu einem Mekka für Architekturfans gemausert hat. Demgegenüber das Schmuckstück an Amstel und Ij mit seiner Grachtenseligkeit, den prächtigen Palästen, die vom Goldenen Zeitalter der Niederlande künden, und den Museen von Weltrang.
So wie Rotterdam das Synonym für kühnes, innovatives Bauen ist, so steht Amsterdam für ein reiches kulturelles Erbe, aber auch für Touristenmassen, die manchem Einheimischen mittlerweile seine Lebensqualität rauben.
Amsterdam: fast 20 Millionen Touristen
Fast 20 Millionen Touristen kommen jedes Jahr nach Amsterdam – magisch angezogen von Rembrandts Nachtwache und van Goghs Sonnenblumen, von Pannekoken-Häusern und Coffeeshops. Für Hotels, Restaurants, Touranbieter und Taxifahrer ist die Wegfahrgesellschaft ein gutes Geschäft. Einem nicht unerheblichen Teil der gut 900.000 Besucher gehen die Massen, die sich durch ihre schöne Stadt wälzen, allerdings auf den Geist.
Unser schwimmendes Heim, die “A-Rosa Brava”, hat in der Nähe des Passenger Terminals festgemacht, wo normalerweise die großen Ozeanriesen liegen. Die Temperaturen sind in den Keller gepurzelt. Über den IJ, ursprünglich ein Meeresarm der Zuidersee, der die Innenstadt vom Viertel Amsterdam-Noord trennt, fegt eine steife Brise. Selbst die Sonne, die vom wolkenlosen Himmel strahlt, wärmt nicht wirklich.
Den Mantel fest um den Körper geschlungen, die Mütze tief in die Stirn gezogen will sich nicht wirklich Entdeckerlust einstellen. Trotzdem scheint etliche Amsterdamer die Tiefkühltemperaturen nicht zu stören. Ohne Mütze und Handschuhe flitzen Radfahrer Richtung Hauptbahnhof, wo die Fähren auf die andere Flussseite ablegen.
Immerhin hat die Kälte ein Gutes. Denn die niederländische Kapitale ist herrlich leer. Nur die Ansammlungen im Museumsviertel zeigen, dass das nordholländische Zentrum auch im Winter ein beliebtes Städtereiseziel ist.
Amsterdam: Mekka der Radfahrer
An schönen Tagen hätten wir es wie die Einheimischen gemacht und uns in den Radsattel geschwungen. Die Innenstadt ist nämlich nicht wirklich für Autos geschaffen. Dementsprechend wichtig ist der Drahtesel. Angeblich legen die Einheimischen zwei Millionen Kilometer pro Tag im Radsattel zurück. Anders gesagt: Auf jedes Auto kommen etwa drei Fahrräder.
Rund um den Hauptbahnhof, den Leidseplein und den Dam, dem Hauptplatz mitten im Zentrum, gibt es zahlreiche Verleihstationen. Oft kostet das mehrstündige Vergnügen nur ein paar Euro. Auf dem 400 Kilometer langen Radwegenetz gelangst du selbst in die Außenbezirke.
Doch selbst mir, dem eingefleischten Radfan, ist es für dieses Transportmittel definitiv zu kalt. Stattdessen spazieren wir durch die Gassen rund um die Nieuwe Kerk und den Königspalast. Tatsächlich diente er im 17. Jahrhundert als Rathaus, weil es zu jenen Zeiten gar keinen königlichen Herrscher gab.
Anschließend flanieren wir entlang der Grachten, die zu Amsterdam gehören wie der Eiffelturm zu Paris, und flüchten zum Aufwärmen in warme Busse und Straßenbahnen. Das Tagesticket für neun Euro macht es möglich.
Amsterdam: Grachten als Weltkulturerbe
165 Grachten mit einer Gesamtlänge von 75 Kilometer soll es geben. Unter dem Strich macht dies Amsterdam zu einer der wasserreichsten Städte der Welt. 2500 Hausboote dümpeln auf den Wasserarmen, ausgestattet mit allem, was auch gewöhnliche Häuser zu bieten haben.
Warum die Kanäle jedoch als Fahrradfriedhof benutzt werden, bleibt ein Geheimnis. Folglich müssen 10.000 bis 15.000 Fahrräder alljährlich aus den nicht sonderlich tiefen Kanälen gefischt werden.
Die Geschichte der Grachten
Seit 2011 zählt der Kanalgürtel mit seinen 1.281 Brücken zum Unesco-Weltkulturerbe. Entstanden ist dieses Wasserstraßennetz im 17. Jahrhundert, als es in der ehemaligen Fischersiedlung mit ihrem berüchtigten Rotlichtviertel ziemlich eng wurde.
Hollands Wirtschaft florierte, immer mehr Händler und Handwerker wollten sich an Amstel und Ij niederlassen. Im “Grachtenhuis”, einem der besterhaltenen Stadthäuser aus dem 17. Jahrhundert, wird anschaulich gezeigt, wie die Erweiterung der Innenstadt vonstatten ging und wie mehr Wohnraum und mehr Platz für Handelskontore im Süden und Westen geschaffen wurde.
Deswegen mussten neue Kanäle her, die halbkreisförmig um das alte Zentrum gelegt wurden. Waren die alten Grachten eine Art Verteidigungsgraben, so sollten die neuen Kanäle vor allem dem innerstädtischen Warenverkehr dienen. 1612 begannen die Arbeiten; gut 40 Jahre später erfolgte der Durchbruch zur Amstel. Mit Singel, Herengracht, Keizersgracht und Prinsengracht erhielt Amsterdam sein einzigartiges Kanalsystem mit der typischen Halbmondform.
Von der “goldenen Bucht” bis zum Jordaan
Zwischen Heren- und Prinsengracht ließen sich vor allem wohlhabende Kaufmanns- und Bankiersfamilien nieder. Auch der Bürgermeister gönnte sich hier eine der schmalen, aber teuren Parzellen.
Folglich findest du hier die prächtigsten Grachtenhäuser der ganzen Stadt, wo kein Giebel dem anderen gleicht. Die exklusivste Adresse war ein Abschnitt auf der Herengracht, genannt “Gouden Bocht”, die goldene Bucht. Inzwischen residieren Anwälte, Banker und Börsenhändler in den luxuriösen Kaufmannshäusern
In der Keizersgracht, benannt nach Kaiser Maximilian I., und der Prinsengracht, benannt nach einem Prinzen des Hauses Oranien, stehen deutlich bescheidenere, aber nicht minder sehenswürdige historische Domizile. Von den eher gewöhnlichen Häusern im Jordaan ganz zu schweigen. Hier lebten einst die ärmeren Schichten. Französischsprachige Hugenotten sollen diesen Bezirk jardin, Garten, genannt haben. Das wurde später zu „Jordaan“ verballhornt.
Amsterdam: auf Pfählen gebaut
Mit Sand allein war die Trockenlegung der sumpfigen Erweiterungsflächen nicht zu schaffen. Amsterdam wurde buchstäblich auf Millionen von Pfählen gebaut. Andernfalls wären die schmucken Bauten wieder im sumpfigen Untergrund versunken.
Ein typisches Haus in der Innenstadt wird von etwa 10 Pfählen gestützt, jeder zwischen 15 und 20 Metern lang. Die Centraal Station, mehr imposanter Sakralbau als schnöder Bahnhof, ruht auf 8000 Baumstämmen, die auf künstlichen Inseln im Fluss Ij in den Boden gerammt wurden. Für den königliche Palast waren mehr als 13.500 dieser Holzpfeiler nötig.
Obendrein erklärt die Pfahlkonstruktion, weshalb kaum ein Grachtenhaus höher als vier, fünf Stockwerke ist. Ein zu hohes Gewicht würde die Pfähle sonst in den Untergrund drücken.
Schmale Häuser – weniger Steuern
Wer sich fragt, warum es in Amsterdam so viele schmale Häuser gibt, muss nicht lange nach einer Erklärung suchen. Denn bereits im 17. Jahrhundert wurde die Steuerpflicht der Bürger nach der Breite ihrer Häuser berechnet. Das schmalste Haus in Amsterdam steht an der Oude Hoogstraat und ist nur zwei Meter breit und fünf Meter tief.
Außerdem hat sich die leichte Neigung der Häuser nach vorn als ausgesprochen praktisch erwiesen. In früheren Jahrhunderten wurden schwere Lasten mithilfe von Flaschenzügen nach oben befördert, ohne gegen die Mauer zu stoßen. Heute sind Haken und Seil nützlich, um Möbel in die oberen Stockwerke zu hieven.
Amsterdam: Impressionen eines Wintertages
Zu meiner Überraschung stelle ich fest: Was im Sommer reizvoll ist, funktioniert auch an einem bitterkalten Wintertag.
Die Bäume entlang der Grachten präsentieren sich zwar ohne Blätterkleid, doch dafür lassen sich die unterschiedlichen Dachformen – von Treppen- über Hals- bis zum Glockengiebel – ausgiebig studieren. Die schmalen Wasserarme, die noch schmaleren Gassen, die barocken Paläste betuchter Kaufleute, die charmanten Plätze, die Denkmäler, die aparten Restaurants, Kneipen und Cafés – alles fügt sich zu großem Kino zusammen.
Wir könnten über den Damrak spazieren, einen der wenigen Orte im Stadtzentrum, der nicht mit dem Boot zu erreichen ist. Wir könnten uns im schwimmenden Blumenmarkt mit Tulpenzwiebeln eindecken oder zur NDSM–Werft im Stadtteil Amsterdam-Noord übersetzen, wo das kreative Herz der niederländischen Hauptstadt schlägt.
Einkehr im Café Americain
Stattdessen zieht es uns ins Café Americain am Leidseplein, dessen Art-deco-Ambiente Gäste in die 1920er Jahre entführt. Das Haus, das Hampshire Hotel, ist nicht nur eine Augenweide; es ist auch ein Ort mit Geschichte. Angeblich hat Mata Hari, die berühmt-berüchtigte Meisterspionin, hier übernachtet.
Heimfahrt nach Köln
Abends macht sich die „A-Rosa Brava“ auf den Heimweg nach Köln. Durch flaches Land, wo Wasser allgegenwärtig ist, vorbei an Städten wie Utrecht, die wir uns für unseren nächsten Holland-Besuch aufsparen.
Allerdings fällt der geplante Aufenthalt in der alten Hansestadt Emmerich ins Wasser: Eine der Schleusen am 1952 eröffneten Amsterdam-Rheinkanal hat den Geist aufgegeben. Wir verschlafen den Zwangshalt, träumen stattdessen von Hollands schönen Städten und wachen mit der Gewissheit auf: Es war nach der Tour auf der Seine nicht unsere letzte winterliche Flusskreuzfahrt.