Neuseeland gilt vielen als Ende der Welt. Doch wo bitte liegt Stewart Island? Der kleine Fleck middel of nowwhere im endlosen Pazifik? Der Außenposten der Zivilisation, gerade einmal 4000 Kilometer vom Südpol entfernt? Das winzige, sturmerprobte Eiland, das schon mal mit allen vier Jahreszeiten an einem einzigen Tag aufwarten kann?
Inhaltsverzeichnis
Stewart Island: Neuseelands drittgrößte Insel
Nord- und Südinsel mit ihren Kapitalen Auckland und Christchurch hatte ich ja noch auf dem Radar bei unserer Kreuzfahrt mit der Vasco da Gama. Doch zu dem Inselzwerg mit dem Maori-Namen Rakiura, der nächsten Station nach dem Fjordland, musste ich erst einmal die Suchmaschine bemühen.
Selbst dem Reiseführer ist Neuseelands drittgrößte Insel nur ein paar Seiten wert. Weltumsegler James Cook hielt sie fälschlicherweise für die Südspitze der Südinsel. Ich kann dem guten Mann seinen Fehler nachsehen, schließlich liegt Neuseelands Fjordland nur 30 Kilometer entfernt. Die Berge zeichnen sich als bleiche Silhouette am Horizont ab.
Die Entdeckung von Stewart Island
Rakiura heißt auf gut deutsch “glühender Himmel”. “Entdeckt” wurde die 1680 Quadratkilometer große Insel durch den Schotten William Stewart, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts das damals noch unbewohnte Eiland kartographierte. Etlichen Besiedlungsversuchen war kein Erfolg beschieden.
Und auch heute müssen Neuzugänge aus einem besonderen Holz geschnitzt sein, wenn sie zwischen endlosen Buchten und undurchdringlichem Urwald mit hochgewachsenen, jahrhundertealten Bäumen Fuß fassen wollen.
Landung auf Stewart Island
Eigentlich hätte die Vasco da Gama in der Halfmoon Bay anlegen sollen, wo es nicht weit bis nach Oban, dem einzigen richtigen Ort auf Stewart Island ist. Doch die Strömungen lassen das Ankern in der großen Bucht nicht zu.
Stattdessen sucht Kapitän Adrian Firsov ein ruhiges Plätzchen für seine Lady vor der Golden Bay Wharf. Hier starten die Ausflugsboote nach Ulva Eiland, einem Tierparadies der Extraklasse; hier beginnt der spektakuläre Wanderweg nach Oban.
Stewart Island: Vier Jahreszeiten an einem Tag
Das Thermometer zeigt an diesem neuseeländischen Sommertag bescheidene 13 Grad an. Strahlender Sonnenschein wechselt sich im Minutentakt mit peitschendem Regen ab. Der Wind fegt uns Flachländer beinahe aus den Schuhen und übertönt das gleichmäßige Rauschen des Meeres.
Alle paar Meter schimmert das Meer durch das Grün des dschungelartigen Waldes. Die Buchten mit feinstem weißen Sand und glasklarem Wasser sind menschenleer, doch ein kurzer Blitztest per Hand macht schnell klar: An diesem Ozean haben Warmduscher keine Freude.
Oban: der Hauptort auf Stewart Island
Ganze 300 Bewohner zählt Oban an der sichelförmigen Halfmoonbay. Nur 600 sind es auf der gesamten Insel, die wegen ihrer einzigartigen Fora und Fauna zu 85 Prozent unter Naturschutz steht. Im kurzen Sommer gesellen sich 30 000 Besucher dazu, die entweder mit der Fähre ab Bluff kommen oder per Propellermaschine ab Invercargill einschweben,
Früher landete das Wasserflugzeug mitten in der Bucht; heute setzen die Piper Cherokee und die Cessna nach 20 Minuten Flug auf der kurzen Landebahn auf. Mehr als neun Personen nebst Gepäck passen in keine der Maschinen. Doch nach jeder Landung herrscht Hochbetrieb in dem Winzlingsort, desses schottisches Pendant es auf stolze 8 500 Einwohner bringt.
Kirchen, Theater und ein berühmtes Hotel
Viel zu entdecken gibt es nicht in Oban, dessen Handvoll Straßen sich von der Bucht steil die Hügel hochzieht: eine presbyterianische Kirche, das Bunkhouse Theater mit seinen knallroten Plüschsesseln, das gelegentlich als kommunaler Kinosaal genutzt wird, sowie ein kleiner Shop, wo sich sportliche Naturen E-Bikes leihen können. Denn kein normaler Mensch käme bei dem stetigen Auf und Ab auf die Idee, sich auf ein “Bio-Rad” zu schwingen.
Ampeln sucht man auf dem Inselchen vergeblich. Dafür gibt es einige Fußgängerüberwege, die angesichts der hochrädrigen PS-Protze durchaus Sinn machen.
Obans Kneippendichte
So übersichtlich das Straßennetz zwischen Excelsior und Kamahi Road auch ist: In punkto Kneipendichte schlägt Oban so manche europäische Großstadt. Gleich sieben Restaurants, Lokale und Food-Trucks buhlen in dem Kaff um Kundschaft.
Das leuchtend blau gestrichene “Snuggery“, das nur einen Steinwurf von der saphirblauen Halfmoonbay entfernt liegt und von innen wie Omas gute Stube aussieht, wird von Einheimischen vor allem wegen seiner exzellenten Käseröllchen geschätzt.
Der Foodtruck „Fin and Feather Eatery“ serviert die besten Elch- und Pilzburger der Stadt. Und gleich nebenan, bei der Insel-Ikone Kai Kart, landet alles in der Friteuse, was das Meer so hergibt: Kabeljau, Garnelen, Tintenfische, alles serviert mit einer gewaltigen Portion Pommes Frites.
Früher war der Bauwagen mit seinem in Blautönen gehaltenen Anstrich Teil einer Kartbahn. Doch weil das Wetter auf Stewart Island wenig rennwagentauglich ist, wandert heute leckeres Fast Food mit ordentlich Majo und Aioli über den Tresen.
Anlaufstelle für Kreuzfahrer: das “South Sea Hotel”
Die wohl berühmteste Anlaufstelle für Hungrige und Durstige ist das historische “South Sea Hotel”. Dessen Bar ist eine Art Museum. Vergilbte Schwarz-Weiß-Aufnahmen zieren die Wände, zeigen örtliche Honoratioren in Frack und Zylinder sowie dampfbetriebene Fähren voller Gäste. Selbst der Seelöwe kommt dort zu Ehren: Vor einem guten Dutzend Jahren verirrte er sich im Flur des Hotels.
Wenn einmal ein Kreuzfahrtschiff anlegt, ist das von Freiwilligen betriebene Haus fast immer voll. Dass liegt nicht nur am großzügig ausgeschenkten lokalen Bier, sondern vor allem am recht stabilen WLAN-Netz – so tief im Süden ein echter Glücksfall.
Selbst im fernen England ist das “South Sea” eine Berühmtheit – wegen eines königlichen Besuchs. Vor Jahren beehrte Prinz Harry das abgelegene Eiland, schaute in der Schule vorbei und beteiligte sich als Anführer des “Ginger Ninja”- Teams am Sonntagabend-Pub-Quiz. Gewonnen hätten Harry und seine Getreuen nicht, notierten englische Zeitungen süffisant: Dabei seien die Fragen doch handverlesen gewesen.
Wanderung zum Ackers Point
Ob der Windsor- Spross auch zum Ackers Point gewandert ist, vorbei an hübschen Buchten und einem alten Steinhaus aus dem Jahr 1835? Wie ein Zeigefinger ragt die Felsspitze mit dem kleinen weißen Leuchtturm in die raue See hinaus. Von hier aus bieten sich traumhafte Ausblicke über den Dead Man Beach, den Horseshoe Point und die vorgelagerten, unbewohnten Inseln.
Gefühlt 1000 Stufen sind auf der kleinen Wanderung zu meistern, die mal zum Wasser hinab-, mal auf den Hügel hinaufführen. Mannshohe Farne, Cabbage Trees und Kauribäume, die das Vorbild für Tolkiens Baumbart gewesen sein könnten, säumen den Weg. Dazwischen gedeiht der neuseeländische Flachs mit seinen orange-roten Blüten, dessen Fasern die Maori zu praktischen Gegenständen wie Körbe und Fischernetze verarbeiteten.
Überall zirpt und zwitschert, gurrt und krächzt es. Die dazu gehörenden Piepmäze lassen sich allerdings nicht blicken, eben so wenig die blau-schimmernden Pinguine. Nur 25 Zentimeter groß und ein Kilogramm schwer ist der Zwerg, der von August bis Februar zum Brüten an Land kommt.
Wer noch tiefer in diese seit Jahrtausenden unberührte Landschaft zu Füßen des fast 1000 Meter hohen Mount Anglen eintauchen will, kann den 32 Kilometer langen Rakiura Track wandern. Er zählt zu den zehn Great Walks von Neuseeland und ist bequem in drei Tagen zu schaffen.
Hinüber nach Ulva Island
Noch ursprünglicher geht es auf Ulva Island zu, das in wenigen Minuten per Wassertaxi zu erreichen ist. Das versteckte Juwel im Paterson Inlet, nur etwa 3,5 Kilometer lang, ist das südlichste Vogelschutzgebiet der Welt und der perfekte Zufluchtsort für bedrohte Arten.
Während andernorts in Neuseeland eingeschleppte Tiere den heimischen Arten den Garaus gemacht haben, kommen auf Ulva weder Katzen, noch Ratten, noch Opossums vor. Hier hat ein ursprünglicher Urwald die Zeiten überdauert; hier ertönen die Rufe der Tui und Makomakos; hier bekommen Naturfans Kaka, Weka, Kakariki und Kereru zu Gesicht.
An diesem Tummelplatz unterschiedlicher Vogelarten ist der nächste Piepmatz nie weit weg, weil es im undurchdringlichen Busch mehr als genug Nahrung für alle gibt. Die Chancen sind deshalb groß, dass man in dieser magischen, verborgenen Welt buchstäblich über einen Kiwi stolpert. Neuseelands flugunfähiger Nationalvogel sieht aus wie ein Flauschbällchen auf dünnen Beinchen.
Rettungsaktion für den Kakapo
Einen bekommen wir allerdings nicht zu Gesicht: den berühmten Kakapo mit seinem grünlich schimmernden Gefieder. Der größte und ungewöhnlichste Papagei der Welt war so gut wie ausgestorben. Nur auf Stewart Island gab es noch gut zwei Dutzend Exemplare. In einer dramatischen Rettungsaktion wurden sie auf die unbewohnte Insel Codfish gebracht, wo sich Artenschützer um die kümmern und die Kakapo-Babies notfalls mit einer Art Haferschleim aufgepäppelt werden.
Was du über Stewart Island wissen musst…
Stewart Island ist die drittgrößte Insel Neuseelands und liegt etwa 30 Kilometer vor der Südinsel. Der einzig größere Ort ist Oban, wo es einige Hotels, Pensionen und Cottages gibt.
Wie kommst du nach Stewart Island…
Wer nicht gerade mit einem Kreuzfahrtschiff unterwegs ist, muss auf Fähre oder Flug ausweichen. Die Fähren starten in Fluff, die Überfahrt dauert rund eine Stunde. Die einfache Fahrt kostet 110 neuseeländische Dollar, rund 60 Euro. Bei der Gesellschaft kannst du auch Touren auf der Insel buchen.
Die Flüge ab Invercargill dauern zwischen 15 und 20 Minuten. Stewart Island Flights fliegt das ganze Jahr über und zwar mehrmals täglich. Hin- und Rückflug gibt es ab 140 Euro.
Extratipp: Stewart Island ist das südlichste Dark Sky Sanctuary der Welt. Weil es keine Lichtverschmutzung gibt, wie an anderen Orten auf dem Globus, ist Stewart Island ein idealer Ort, um den Nachthimmel zu betrachten. Am längsten dunkel ist es im Juni, Juli und August – und zwar von 19 bis 6.30 Uhr.
Möchtest du wissen, wie es weitergeht? Im nächsten Beitrag geht es in die schottischste Stadt Neuseelands, nach Dunedin.
Bei der Recherche wurde ich von Nicko Cruises unterstützt. Meine journalistische Unabhängigkeit bewahre ich mir trotzdem, denn ich bekomme kein Honorar. Wenn meine Zeilen begeistert klingen, dann weil mir Schiff und Tour gefallen haben. Dies ist meine persönliche Einschätzung.
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