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Kreuzfahrt auf dem Nil zu den Wundern der Pharaonen

Vor rund 5000 Jahren ist am Nil eines der größten Reiche der Geschichte entstanden: das alte Ägypten. Die Hinterlassenschaften der Pharaonen sind überall zu sehen. Am besten lassen sich diese architektonischen Wunder auf einer Nilkreuzfahrt entdecken. Die meisten Touren beginnen in Luxor, manche schon in Mittelägypten. Eine der ersten Stationen nach Luxor ist die oberägyptische Stadt Esna mit ihren malerischen Basaren.

Blick auf den Chnum Tempel in Esna, der deutlich unter dem Straßenniveau liegt.

Der steinerne Wald von Esna

Wie farbenprächtig Ägyptens Bauten einst waren, zeigt der Chnum-Tempel in Esna, rund 50 Kilometer südlich von Luxor. Von dem Heiligtum zu Ehren des widderköpfigen Schöpfergottes Chnum und seiner Gemahlin Menhit blieb zwar nur die Vorhalle erhalten, die im ersten Jahrhundert nach Christus unter dem römischen Kaiser Claudius erbaut wurde.

Doch der steinerne Wald aus prachtvoll verzierten Säulen ist schlicht atemberaubend. Den Kopf in den Nacken gelegt eröffnet sich eine fremde Welt mit Darstellungen der Göttinnen Nechbet und Wadjet, mit Schlangen, Krokodilen und geflügelten Fabelwesen, halb Mensch, halb Tier.

Eine Decke als vorzeitliches Bilderbuch

Kein Pfeiler gleicht dem anderen; jedes Kapitell ist einzigartig. Mal erinnern sie an die Wedel der Papyruspflanze, mal an die traurige Erscheinung einer verwelkten Blume. Das größte Juwel aber ist die Decke. Dieser magische Ort ist übersät mit Reliefs der Himmelsgöttin Nut, die die Abendsonne verschluckt. Dort gibt es Darstellungen von Orion, Sirius und Anukis, die im Weltbild der Ägypter verantwortlich für den Rückgang de Nilflut war. Ein vorzeitliches Bilderbuch, gehalten in den Farben rot, grün, gelb und weiß.

Die Säulenhalle des Tempels in Esna

Dass die Halle, der sogenannte Pronaos, neun Meter unter Straßenniveau liegt, ist die Schuld des Nils. Wegen der jährlichen Überschwemmungen versank der Komplex im Lauf der Jahrhunderte im Schlick. Den Rest erledigten gedankenlose Zeitgenossen, die die Gebäude als Steinbruch nutzten. Als die Franzosen während Napoleons Ägyptenfeldzug Ende des 18. Jahrhunderts nach Esna kamen, ragten nur die Kapitelle der Säulen aus der Erde heraus.

Deutsche Unterstützung für die Sanierung

Säulen und Decke erstrahlen wieder in alter Pracht. Das ist auch Wissenschaftlern aus Deutschland zu verdanken. Gemeinsam mit ägyptischen Kollegen haben Restauratoren der Universität Tübingen in mühevoller Handarbeit Hunderte von Figuren und Kartuschen von Schmutz befreit. Die dicke Rußschicht war das „Erbe“ jener Menschen, die den Chnum-Tempel als Wohnraum nutzten.

Wattestäbchen und weiche Tücher sind das wichtigste Werkzeug der Restauratoren. Vor ihnen liegt noch viel Arbeit, um den gesamten Tempel wieder zum Leuchten zu bringen. Noch wartet die Hälfte der Säulen auf die Frischzellenkur.

Dank aufwändiger Sanierung erstrahlen die Säulen des Tempels in Esna in alter Pracht.

Gefahr durch salzhaltiges Grundwasser

Das historische Erbe zu bewahren und es vor den Begleiterscheinungen der Gegenwart zu schützen, ist ein ewiger Kampf. Die vielen Tauben, die auf den Pfeilern nisten und deren aggressiver Kot sich wie ein weißer Schleier über die frisch sanierten Mauern legt, ist das eine.

Doch die größte Gefahr droht dem Ideal altägyptischer Tempelarchitektur mitten im Stadtzentrum von Esna durch das salzhaltige Grundwasser. “Früher sorgte das Nil-Hochwasser für einen regelmäßigen Austausch“ erklärt Reiseleiter Amgat Botros. Doch mit dem Bau des riesigen Staudamms bei Assuan ist dieser Kreislauf durchbrochen.

Salz frisst Sandstein

bringt es der Ägypter auf den Punkt. Die Folgen sind in Esna, aber auch im Karnaktempel zu sehen. Salzkristalle machen sich an den Wänden breit; es ist feucht und es riecht modrig.

Der Assuan-Staudamm: Fluch und Segen

Dabei sollte der knapp vier Kilometer lange und bis zu einem Kilometer breite Assuan-Staudamm Ägypten in ein neues Zeitalter kapitulieren. Seit Jahrtausenden war das Land Spielball des großen Stromes. Mal spülte das Lebenselixier fruchtbaren Schlamm auf die Felder und füllte dadurch die Kornkammern; mal zerstörten seine Massen alles, was sich ihnen in den Weg stellte.

Die alte Talsperre aus Granitblöcken und Bruchsteinmauerwerk, von den britischen Besatzern um die Jahrhundertwende erbaut, war schlicht zu niedrig, um das saisonale Hochwasser zurückzuhalten.

Blick von der Mauer des Assuan-Staudamms

Monument von historischer Dimension

Ein neuer Staudamm musste her, ein Monument von historischer Dimension, das kritische Stimmen schon damals als „Nassers Pyramide“ verunglimpften. Rund 2000 sowjetische Ingenieure und 30000 ägyptische Arbeiter stampften das Prestigeobjekt in wenigen Jahren aus dem Boden. Mehr als 400 Menschen kamen bei den Arbeiten ums Leben.

Die Generatoren liefern zuverlässig Strom. Das hat die Elektrifizierung vieler abgelegener Dörfer ermöglicht. Doch der gewaltige Staudamm sowie der bis in den Sudan hineinragende 500 Kilometer lange Nassersee sind auch ein Zeugnis für den fatalen Glauben an das Machbare, für gefährlichen Fortschrittswahn in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Assuan ist neben Luxor und Kairo wohl eine der beeindruckendsten Städte in Ägypten

Schwerwiegende Folgen für das Ökosystem

Die unerwünschten Langzeitfolgen des steinernen Riegels sind überall sichtbar – nicht nur in Form von Salzkrusten an historischem Gemäuer. Der Landwirtschaft fehlen die wertvollen kalihaltigen Schwemmstoffe, die bei den jährlichen Überschwemmungen auf die Felder gespült wurden. Stattdessen müssen die Bauern auf teuren Kunstdünger zurückgreifen, der zunächst auf dem Feld und anschließend im Fluss landet – mit verheerenden Folgen für das Ökosystem des über 6600 Kilometer langen Flusses.

Nilkrokoldile, die der nubischen Bevölkerung heilig sind und in den äußerst farbenfrohen nubischen Dörfern als Haustiere gehalten werden, gibt es nur noch im Nassersee – davon allerdings so reichlich, dass keiner auf die Idee käme, in dem blauen See zu baden.

Rund um Assuan sind zahlreiche farbenprächtige nubische Dörfer entstanden.

Die Ränder des grünen Flusstales sind ohne Flutung schutzlos dem sich ausbreitenden Wüstensand ausgesetzt. Im Nassersee landen Unmengen an Geröll aus dem äthiopischen Hochland und Sand der Sahara – rund 130 Millionen Tonnen jährlich. Gänzlich versanden wird der See allerdings nicht, weil der wertvolle Schlamm seit des Baus des Merowe-Staudamm im Sudan schon dort zurückgehalten wird.

100 000 Menschen verloren ihre Heimat

Durch den Bau des Staudamms verloren 100 000 Menschen ihre Heimat, vor allem Nubier, die im alten Ägypten zahlreiche Pharaonen stellten. Ganze Dörfer verschwanden in den Fluten, ebenso Jahrhunderte alte Monumente, die von der Hochkultur am Nil kündeten.

Die Rettung der Tempel in Oberägypten

Es klingt wie ein Märchen: Um zumindest einige der bedeutendsten Monumente in Nubien vor dem Untergang zu retten, schloss sich die Weltgemeinschaft während des Kalten Krieges unter der Führung der UNESCO zusammen. Zuvor galten Kulturgüter und deren Schutz als nationale Aufgabe; nun wurden sie erstmals als Teil des kulturellen Erbes der Menschheit begriffen – und damit als Aufgabe für alle Völker.

Die Insel Angilika mit dem Philae Tempel ist am einfachsten mit dem Boot zu erreichen.

Neue Standorte für alte Tempel

Für die großzügigen Geberstaaten lohnte sich der finanzielle Einsatz. Der Tempel von Debod, der einst in der Nähe des ersten Nilkataraktes stand, ist heute in Madrid zu finden. Der Tempel von Dendur ist Teil des Metropolitan Museums of Arts in New York. Von der Festung von Buhen unterhalb des zweiten Nilkataraktes wurde nur der Horus-Tempel gerettet und im Garten des Nationalmuseums in Khartum wiederaufgebaut.

Die kleineren Tempel wie Kalabscha und Amada an Ort und Stelle zu zerlegen und an höherer Stelle wiederaufzubauen, kann sich ein Normalsterblicher vielleicht noch vorstellen: Im Grunde spielten die Ingenieure Lego für Fortgeschrittene mit gewaltigen Steinblöcken.

Göttin Hathor, erkennbar an den Kuhohren schmückt viele Säulen im Philae-Tempel
Der Pavillon des Trajan ist das wohl berühmteste Motiv des Philae-Tempels.

Der Isistempel auf der Insel Philae

Doch beim Isistempel auf der Insel Philae, gar den beiden Heiligtümern von Abu Simbel mit den Monumentalstatuen braucht es schon viel Fantasie, sich einen kompletten Umzug vorzustellen.

Der Tempelkomplex auf der Insel Philae, wo Isis der Legende nach das Herz ihres Mannes Osiris fand, den sein Bruder Seth getötet und zerstückelt hatte, wurde buchstäblich in letzter Minute gerettet: In bis zu 25 Tonnen schwere Blöcke geschnitten zogen Isis- und Hathortempel, Nektabenos-Pavillon  und Trajan-Palast auf die 500 Meter entfernte, höher gelegene Insel Agilkia um.

Abu Simbel: das Meisterwerk von Ramses II.

Der Umzug  von Abu Simbel war nochmals eine andere Hausnummer. Denn „erbaut“ ist nicht das richtige Wort für das Meisterstück von Ramses II., das nach den Pyramiden das wohl berühmteste Bauwerk Ägptens ist.

Nubien, der Süden Ägyptens, war vor über 3000 Jahren das Tor nach Afrika mit seinen Schätzen. Große Steinbrüche belieferten die pharaonische Werkstätten mit Baumaterial. Ertragreiche Goldminen sorgten für Glanz und Wohlstand.

Die Felsentempel von Abu Simbel zählen zu den berühmtesten Bauwerken Ägyptens.

Ein Heim für die Götter und die Familie

Hier, am Oberlauf des Nils, ließ der größte Bauherr Ägyptens seine göttlichen Häuser in den Kalkstein meißeln. Für ihn war Abu Simbel ein Wohnsitz für die Ewigkeit, ein Heim für die Götter, seine eigene Wenigkeit und die Familie.

Seiner Lieblingsfrau, Nefertari, schenkte Ramses an diesem abgelegenen Ort sogar ein eigenes Heiligtum, kleiner zwar als sein Domizil, im Baustil aber ähnlich.

Ein Tempel wie ein Familienfoto

Am Haupttempel wacht der Ehemann stolz über die Statuen und Reliefs. Wie auf einem Familienfoto hat er Frau und Kinder um sich vereinigt. Zwischen seinen Beinen steht der erstgeborene Sohn, daneben drei seiner vielen Töchter.

Es ist schön, Denkmal auf Denkmal zu errichten, zwei herrliche Dinge zur gleichen Zeit

lauten von ihm überlieferte Worte. Sie charakterisieren wohl am Besten das Weltbild des größten Baulöwen der ägyptischen Antike.

 

das Allerheiligste im Ramsestempel

Das Allerheiligste: Schauplatz des Sonnenwunders

Ganz Ägypten ist ein Denkmal seines Schaffens. Doch die Felsentempel von Abu Simbel übertreffen alles, was seine Vorgänger als auch er bauen ließen. Der Komplex ist eine einzige Hymne auf den berühmten Pharao, der 66 Jahre die Doppelkrone von Ober- und Unterägypten trug. Er wurde  sagenhafte 90 Jahre alt und war auch körperlich ein Riese.

Der Umzug der Felsentempel

Bis zu 60 Meter reicht der Ramses-Tempel mit den vier sitzenden Kolossalstatuen in den Berg hinein. Dessen Allerheiligstes ist zweimal jährlich Schauplatz des Sonnenwunders. Dann schauen die Stauen von Amun, Ramses und des Sonnengotts Re-Herachte gemeinsam in die Sonne. Nur Phta, der Gott der Finsternis, sitzt im Dunkeln.

Durch den Staudamm drohte auch dieses Wunderwerk in den Nilfluten zu versinken. Die Idee, einen gewaltigen Damm um den Tempelkomplex zu bauen, wurde schnell fallengelassen – das Abpumpen eindringenden Wassers wäre auf Dauer einfach zu teuer gekommen.

die Statue von Nefertari, der Lieblingsfrau von Ramses

Ein Puzzle aus 20 000 Steinblöcken

Ebenfalls nicht umsetzbar war der Plan, das Heiligtum aus dem Fels zu schneiden und hydraulisch um 60 Meter anzuheben. Als einzig realistische Option blieb, die Felsentempel mittels einer Steinsäge in Blöcke zu schneiden – eines der gigantischsten Bauprojekte der Neuzeit.

20 000 Tonnen Stein wurden zersägt, auseinander genommen und wie ein Puzzle wieder zusammengesetzt. Archäologen waren zwar empört und sprachen von einem „Gemetzel“, doch für Ägypten war die Rettung Abu Simbels eine Herzensangelegenheit. Selbst der Hügel am Ufer des Stausees ist menschengemacht: Eine Stahlbetonkuppel spannt sich über die Tempel. Darüber wurden Hunderttausende Tonnen Felsen und Sand abgeladen.

Statuen von Ramses flankieren den Gang zum Allerheiligsten.

Ramses-Kolosse wachen über die Pforte

An den 21 Meter hohen Ramses-Kolossen sind noch die horizontalen Schnitte der Säge zu sehen. Wer nicht von der imposanten Schauseite mit dem Pavianfries ergriffen ist, fühlt sich spätestens im Innern überwältigt.

Wie in einem Spalier führen acht Meter hohe Stützpfeiler zum Allerheiligsten, Darstellungen des Gottes Osiris mit den Gesichtszügen des Pharaos, der sein Reich im 13. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung mit riesigen Statuen, riesigen Obelisken und riesigen Tempeln geschmückt hat.

Ramses: der von Re auserwählte

Verschwindend klein wirkt der Mensch angesichts dieser Giganten, die mit stoischem Blick den Strom aus Touristen zu ihren Füßen verfolgen. Unzählige Male haben die Arbeiter die Namenskartusche des Pharao in den Stein gehauen: Sie weisen ihn als „den von Gott Re Auserwählten“ aus.

An der Decke hält Geiergöttin Nechbet schützend ihre Flügel über den Herrscher der geordneten Welt. An den Wänden lässt sich der Hausherr als tapferer Krieger und tollkühner Schlachtenlenker feiern. Mal präsentiert er sich als demütiges Geschöpf, das den Göttern Opfer bringt; mal weisen ihn die Reliefs als großen Kriegsherren aus, der die Hethiter bei Kadesch in die Knie gezwungen hat.

Darstellungen der Götter und von Pharao Ramses im Felsentempel von Abu Simbel

Der Schweizer Reisende Johann Ludwig Burckhardt, der 1813 dieses Wunder am Nil entdeckte, hat die prächtigen Reliefs nicht zu Gesicht bekommen. Das Innere des Tempels war damals wegen der angehäuften Sandmassen nicht zugänglich. Heute zählt der Felsentempel zu den größten Touristenmagneten des Landes.

Früh aufstehen für das Sonnenwunder

Wer das spektakuläre Sonnenwunder am 22. Februar oder am 22. Oktober erleben möchte, muss früh aus den Federn. Denn punkt 5.45 Uhr wird das Trio im Heiligtum von den Sonnenstrahlen geküsst, bevor sie eine Viertelstunde später wieder in die Dunkelheit entschwinden. Gestorben ist der greise und kranke König um das Jahr 1213 vor unserer Zeitrechnung. Geblieben sind seine Bauten und sein Name, der für das goldene Zeitalter Ägyptens steht.

Ausflugsboote in Assuan
Roswitha:
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