Auch Königinnen sind nicht gegen ein Malheur gefeit. Als Silvia von Schweden vor einigen Jahren das Opernfestival im finnischen Savonlinna besuchte und in eleganten High Heels zur Burg Olavinlinna spazierte, dem geschichtsträchtigen Schauplatz des mehrwöchigen Musikevents, blieb sie mit dem bleistiftdünnen Absatz in der altersschwachen Holzbrücke stecken.
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Savonlinna: das Herz der Saimaa-Region
Majestät war not amused über dieses Missgeschick, wie Schlossführerin Heni erzählt. Kurzerhand ließ sich Schwedens Königin ein paar Ersatzstöckelschuhe bringen, mit intaktem Absatz. Allerdings passten die nur bedingt zum mondänen Outfit.
Ein Gutes hatte die Stöckelschuh-Affäre: Das Missgeschick der königlichen Musikliebhaberin war den Honoratioren Savonlinnas so peinlich, dass wenig später die Holzbrücke zur Schlossinsel aufwändig saniert wurde. Jetzt müssen modisch bewanderte Besucherinnen kein Schuh-Fiasko mehr befürchten.
Die mittelalterliche Burg Olavinlinna
Es ist nicht allein die Begeisterung für “Carmen”, “Zauberflöte” und Co., wegen der die schwedischen Royals der 40 000-Einwohnerstadt ihre Aufwartung machten. Es sind die historischen Bande der nordischen Länder.
Mit dem Einmarsch von König Erik IX, der auf finnischem Boden das Christentum verbreiten wollte, begann die jahrhundertelange Herrschaft Schwedens über Finnland. Der Burg von Savonlinna, die nach dem nordischen Nationalheiligen Olaf benannt wurde, kam dabei einer wichtigen Aufgabe zu, denn die östliche Grenzregion weckte mehrfach die Gelüste der Republik Nowgorod.
Festung für die östliche Grenze
Bauherr Erik Axelsson Tott, ein Staatsmann dänischer Herkunft, wählte für die Grenzfestung einen idealen Standort: Die mächtige Strömung rund um das felsige Inselchen im riesigen Saimaa-See sorgt dafür, dass die Wasserarme selbst in strengen Wintern nicht zufrieren. Das erschwert feindliche Attacken.
Allzu oft ließen sich Schwedens Herrscher in der von zahlreichen Türmen gekrönten Burg nicht blicken. Überliefert ist lediglich der Besuch von Gustav II. Adolf, der auf seiner Heimreise aus Polen Station in der östlichen Ecke seines Reiches machte.
“Das Leben auf Olavinlinna war wohl eher geprägt durch mittelalterliches Schwertgeklirr der Soldaten und alltägliche Beschäftigungen innerhalb der dicken Mauern als durch höfische Eleganz”, erzählt Schlossführerin Heni, während sie die ausgetretenen Stufen zum 25 Meter hohen Hauptturm hochklettert. Von hier aus bietet sich eine wunderbare Aussicht auf See und Stadt.
Flucht über den Aborterker
1743 gelangte die Burg endgültig in russischen Besitz. Die neuen Herren ließen die Türme erhöhen, spendierten der Warte ein Kupferdach und nutzten die hohen Räume als Gefängnis. So schwierig das Entkommen von der Insel auch schien: Ein Gefangener sprang aus dem Aborterker in die Tiefe und schaffte es schwimmend ans Festland.
Treffen mit dem Schlossgespenst
Heute ist das historische Gemäuer, weithin sichtbares Wahrzeichen von Savonlinna, eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten am Saimaa-See. Touristen aus nah und fern streifen durch die Olafsburg, die als besterhaltene mittelalterliche Burg Nordeuropas gilt.
Sie staunen über die weißgetünchte Königshalle – ein Meisterwerk der Baukunst, dessen gewaltiges Gewölbe ohne zusätzliche Stützpfeiler auskommt. Sie pressen sich in die kleine Kapelle, deren farbenprächtige Freskos erst bei der jüngsten Sanierung freigelegt wurden. Oder sie lauschen den Geschichten von Geistern, die in Gewändern aus dem 17. Jahrhundert durch die Korridore spuken.
Schauplatz der Opernfestspiele
Seit 1912 wird der schmucke Innenhof mit seiner ausgezeichneten Akustik im Sommer für die Opernfestspiele genutzt. Bei denen ist gelegentlich die “Zauberflöte” in finnischer Sprache zu hören. Bis zu 2000 Zuhörer finden auf den Tribünen Platz, die rechtzeitig zum Weihnachtsmarkt wieder abgebaut werden.
Der Saimaa-See: Sehnsuchtsort der Finnen
Savonlinna, das sich auf mehreren Halbinseln bereitgemacht hat, ist der ideale Ausgangspunkt für Entdeckungen in Karelien und der Nachbarregion Savo. Geografisch mögen die beiden Provinzen zwar an der südöstlichen Peripherie Finnlands liegen; doch für die finnische Seele liegt dieser Landstrich mit seinen dunklen Wäldern, den schimmernden Seen und den ungebändigten Flüssen mitten im Zentrum.
Karelien: der geteilte Landstrich
Umso schmerzhafter war der endgültige Verlust eines Teils von Karelien, als der Osten nach dem verlorenen Weltkrieg an Russland fiel. Abertausende wurden aus ihrer Heimat vertrieben oder umgesiedelt. Städte und Dörfer verschwanden hinter dem Eisernen Vorhang und bekamen russische Namen verpasst. Aus Viipuri, mit 85 000 Einwohnern damals die zweitgrößte Stadt Finnlands, wurde Wyborg; aus Enso, nur eine Handvoll Kilometer von der Grenze entfernt, Swetogorski.
Finnen, die sich noch an die Tragödie des verlorenen Winterkrieges erinnern, schmerzt der Verlust dieses praktisch nur aus Wald bestehenden Landstrichs noch immer.
Was Metsä für die Finnen bedeutet
Die beiden Provinzen sind Finnland in Reinform, Endstation Sehnsucht für Einsamkeitsfanaktiker. Wer in dem Landstrich unterwegs ist, der das Resultat von Vergletscherung und Erosion über Millionen von Jahren ist, versteht, warum Metsä, der Wald, eine solche Bedeutung für die Finnen hat. Die sind laut dem World Happiness Report angeblich die glücklichsten Menschen auf Erden.
Am Saimaa: Abertausend Seen und noch mehr Inseln
Zwischen Lappeenranta und dem rund 250 Kilometer nordöstlich gelegene Joensuu sieht man beim Blick aus dem Autofenster praktisch nur Bäume. Zwischen Eichen, Erlen, Kiefern und Birken blitzt gelegentlich das schimmernde Blau des Saimaa-Sees auf. Er ist der viertgrößte See Europas und ist von ein paar einsam gelegenen Gehöfte gesäumt.
Metsä ist nicht nur Rohstoff und Quelle des Wohlstands, wovon die zahlreichen Forstbetriebe und Zellstoffwerke an den Gestaden des weitverzweigten und verästelten Sees zeugen. Er ist vor allem Rückzugsort und Projektionsfläche für die finnische Volksseele.
Im Waldmuseum von Lusto
Wenn man in Lusto das finnische Forstmuseum besucht, verstehst du warum. Lusto bedeutet Jahresring – und wie ein Baumstamm erzählt der hypermoderne, zum großen Teil aus Holz errichtete Ausstellungskomplex von der Jahrtausende alten Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt. Die Ausstellung geht auf die Mythen des Waldes ein. Sie dokumentiert seine Nutzung im Wandel der Zeiten.
Die zeigt sich beispielsweise in der Technikhalle am Prototyp des Plusjack: Die in den Neunzigerjahren in Finnland entwickelte Forstmaschine kann mit ihrem Gelenkarm selbst in dichtem Wald ausgewählte Bäume fällen, entasten und zum Abtransport vorbereiten.
Dabei fährt sie nicht auf Rädern oder Ketten, sie läuft wie ein Insekt auf sechs Beinen, um die Beschädigung des Waldbodens so gering wie möglich zu halten.
Der Saimaa: Lieblingsziel der russischen Oberschicht
Schon Russlands Oberschicht zog es im 19. Jahrhundert zur Sommerfrische an Kareliens kühle Seen. Sie bilden das größte zusammenhängende Wasserstraßennetz Europas.
1892 wurde die Bahnlinie Sankt Petersburg-Imatra eröffnet, was die Anreise zum Saimaa denkbar einfach machte. Der ist nicht einfach nur ein riesiger See, in den Luxemburg zweimal hineinpassen würde, Es handelt sich stattdessen um eine Kette glasklarer Seen, deren Namen auf -vesi, -selkä oder -järvi enden.
Auf fast 15 000 Kilometer summiert sich die Küstenlinie. Kaum kleiner ist die Zahl der Inseln; die vielen, nur wenige Quadratmeter großen Schären noch nicht einmal eingerechnet.
50 000 Hütten für Outdoorfans
Das Seenlabyrinth, das laut dem Wall Street Journal zu den schönsten Seen der Welt zählt, gilt als der Landstrich mit der höchsten Ferienhausdichte Finnlands. Über 50 000 Hütten sollen es sein. Viele haben weder Strom, noch fließendes Wasser, dafür Elch, Vielfraß, Bär und Wolf als Nachbarn. Die Zahl der Saunen, für Finnen unverzichtbarer Teil des alltäglichen Lebens, dürfte sogar noch höher liegen.
Es war Zar Nikolaus I. der im Jahre 1842 Finnlands erstes Naturreservat begründete. Die Stromschnellen von Imatra, wo sich der Fluss Vuoksi seinen Weg durch eine rund 500 Meter lange Schlucht bahnt, waren schon zuvor eine vielbesuchte Attraktion.
Das Ende vom Saimaa: der Imatrafall
Um das schäumende Spektakel besser betrachten zu können, bei dem 900 000 Liter Wasser pro Sekunde durch den engen Schlund schießt, gab es die ungewöhnlichsten Möglichkeiten.
Wagemutige hangelten sich in einem an einem Drahtseil hängenden Korb über die Schlucht. Wer es weniger abenteuerlich mochte, wie Komponist Richard Wagner oder Schriftsteller Alexandre Dumas, quartierte sich in einer der oberen Etagen des “Valtionhotelli” ein, ein verspieltes Märchenschloss mit Türmen, Erkern und Jugendstilelementen.
Wer heute das donnernde Rauschen erleben möchte, wie einst Katharina die Große bei ihrem Besuch 1772, braucht etwas Glück. Denn seit den 1920 werden die Wassermassen des Vuoski aufgestaut und zur Energiegewinnung genutzt. Nur einmal täglich öffnen sich die Schleusen für 20 Minuten. Dann braust der Fluss schäumend und donnernd wie eh und je durch sein steiniges Bett und macht sich auf den Weg Richtung Ladogasee.
Das Naturschutzgebiet Punkaharju
Wie sehr eiszeitliche Gletscherströme diese Landschaft an der Nahtstelle von West und Ost geprägt haben, zeigt sich am Punkaharju, den Russlands Kaiser Alexander I. unter Schutz stellte.
Aus der Vogelperspektive zeigt sich der ganze Reiz dieses geschwungenen Höhenrückens, der an einigen Stellen nur wenige Meter breit ist. Über mehrere Kilometer windet sich dieser natürliche Damm von Insel zu Insel. Er schlängelt sich an schilfbewachsenen Ufern vorbei, um zuletzt steile Grate zu erklimmen.
Im 18. Jahrhundert bauten Russen hier eine erste Straße von Savonnlinna nach Wyborg. Später verliebten sich Künstler, Schriftsteller und Dichter in diese wilde Schönheit, voller Birken, Fichten und glasklarer Seen, die näher an Sankt Petersburg als an Helsinki liegt. Angeblich sollen die mystischen Kammwälder „Herr der Ringe“-Autor Tolkien zu seinen Mittelerdefantasien inspiriert haben.
Ein Hotel mit großer Geschichte
Hier findet sich eines der schönsten und ältesten Hotels ganz Finnlands, das elegante Punkaharju. Gelegen auf einem Granitgrad, inmitten eines zauberhaften Kiefernwaldes ist das historische Holzhaus seit jeher ein Pilgerort für Finnen und Russen. Zar Alexander, dessen Truppen die schwedische Vorherrschaft über Finnland beendeten, war so hingerissen von seinem neuen Besitz, dass er sich hier eine Jagdhütte errichten ließ. Später wurden Zimmer für Reisende hinzugefügt. Das kaiserliche Refugium wurde in ein Hotel umgewandelt.
Vor einigen Jahren erfüllte sich das finnische Supermodel Saimi Hoyer hier am malerischen Puruvesi-See einen Lebenstraum. Der lockige Rotschopf kaufte die rosafarbene Puppenstube mit ihren verschnörkelten weißen Holzschnitzereien, sanierte sie liebevoll und eröffnete eine exklusive Unterkunft mit 30 individuell eingerichteten Zimmern.
“Dieser Ort ist magisch. Wenn man hier ist, fühlt es sich an, als würde man in einer Seifenblase leben, fernab von allem anderen. Es ist ein Ort, an dem immer wieder kleine Wunder passieren”, schwärmte die Finnin, die ihre Sommerferien regelmäßig an der Seenplatte verbracht hatte.
Neuer Besitzer gesucht
Ein Wunder hätte es auch für den Bestand des Hauses gebraucht. Zuerst brachte Corona den Gästestrom zum Erliegen. Dann kam der Ukrainekrieg, der Finnland zu einschneidenden Maßnahmen veranlasste. Der kleine Grenzverkehr zwischen den beiden Nachbarländern wurde von Heute auf Morgen eingestellt.
Russen bekamen keine Visa mehr. Hoteliers und Gastronomen brach ein wichtiger Kundenkreis weg – schließlich leben allein in Sankt Petersburg mehr Menschen als in ganz Finnland. Und viele betuchte Russen hatten sich – als Geldanlage in einem stabilen westlichen Land – putzige Holzhütten in den endlosen Weite Kareliens gekauft. Mit der geschlossenen Grenze sind die Urlaubsdomizile unerreichbar.
Die Küche am Saimaa
In Savonlinna geht es deshalb noch ein wenig ruhiger als sonst zu. In der Burg haben die Führer gut zu tun; nur die russisch sprechende Kollegin dreht Däumchen.
In dem Budendorf nahe der Olavinkatu genießen Finnen die für die Region so typischen frittierten Lörtsy, die normalerweise Rinderhackfleisch und Reis enthalten. Heutzutage werden sie mit allem möglichen gefüllt – von Gemüse über Fisch bis zu süßer Apfelmarinade. In den Restaurant an der Uferpromenaden wird Muikku serviert, die kleine Maräne, die durch den Saimaa schwimmt. Dessen Wasser ist so sauber, dass man es direkt aus dem See trinken könnte.
Im Linnansaari-Nationalpark
Von Savonlinna sind es nur ein paar Kilometer zum Linnansaari-Nationalpark. Wer mit dem Schnellboot zur Hauotinsel düst, hält automatisch Ausschau nach einem runden Kopf mit Knopfraugen und Schnurrhaaren.
Heimat der Saimaa-Ringelrobbe
Denn das Seenlabyrinth ist Heimat der kleinen und etwas pummeligen Saimaa-Ringelrobbe. Sie zu Gesicht zu bekommen, ist fast so selten wie ein Sechser im Lotto. Kaum mehr als 400 Exemplare dieser Seebewohner leben in dem riesigen Gebiet, das – geht es nach den Wünschen der finnischen Regierung – zum Weltnaturerbe zählen soll.
Die Vorfahren der putzigen Gesellen schwammen noch durchs offene Meer. Als die Verbindung zwischen Ostsee und Saimaa abgerissen ist, mussten sich die Säuger mit den vielen schwarzen Kringeln im grauen Fell auf ein Leben im Süßwasser umstellen.
In den 1980er Jahren galt die endemische Art als beinahe ausgerottet: Weil Fischer die Meeresbewohner als unliebsame Konkurrenz betrachteten, sank deren Bestand auf unter 100 Exemplare
Doch seitdem Naturschützer Geisternetze aus dem See holen, der Fischfang reguliert wurde und Buchten zeitweise gesperrt werden, erholt sich der Bestand der bedrohten Art langsam.
Entwarnung gibt es allerdings nicht, denn Robben-Babies brauchen Schnee und Eis zum Überleben – und beides wird in Zeiten des Klimawandels auch in Finnland seltener. Im Winter 2014, als es sehr wenig Schnee gab, musste der Mensch als Hebamme fungieren und Schneehöhlen bauen. Denn nur dort haben es die niedlichen Robbenbabies trocken und warm.
Was du über das Saimaa-Gebiet wissen musst….
Anreise: Am schnellsten geht es mit dem Flieger nach Helsinki. Bis nach Lappeenranta am südlichen Ende des Saimaa-Sees sind es 220 Kilometer. Einen Mietwagen gibt es ab rund 200 Euro pro Woche.
Sehr viel schöner und gleichzeitig entspannend ist die Anreise mit der Fähre. 30 Stunden dauert die Überfahrt von Travemünde nach Helsinki. An Bord der Schiffe gibt es ein skandinavisches Buffetrestaurant, Shops, Fitnessraum und eine Sauna. Autopakete für bis zu vier Personen in einer Kabine gibt es ab 500 Euro, in der Hauptsaison ab 600 Euro.
Ebenfalls buchbar: Rundreisen mit dem eigenen Pkw im Sommer sowie im Winter. Die 17-tägige Tour “Finnische Wildnis” gibt es ab 2.490 Euro pro Person. Eine zwölftägige Reise zum Ferienhaus an der Seenplatte kann ab 1.390 Euro pro Person gebucht werden.
Übernachten: In Städten wie Lappeenranta, Savonlinna oder Imatra gibt es zahlreiche Hotels. Übernachtung mit Frühstück gibt es ab 80 Euro pro Person, in der Hochsaison oder zur Festspielzeit in Savonlinna wird es teurer. Sehr beliebt bei Finnland-Reisenden sind Ferienhäuser, die oft sehr abgelegen liegen.