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Marburg: Von Heiligen, Märchensammlern und Nobelpreisträgern

Was haben die Heilige Elisabeth, die Gebrüder Grimm und Emil von Behring gemeinsam? Sie alle sind eng mit der ewig jungen Stadt Marburg verbunden, die Stadt der Treppen, der schmalen Gassen und eines Landgrafenschlosses, das in unvergleichlicher Lage auf einem Felssporn thront und irgendwie an die Zauberschule Hogwarts erinnert. in diesem Jahr feiert die Kleinstadt ihren 800. Geburtstag. Ihr Name wurde von Männern wie Alfred Wegener, Ferdinand Sauerbruch oder der Entdecker des Marburg-Virus Werner Slenczka in die Welt hinausgetragen.

Der Markt ist die gute Stube von Marburg.

Andere Städte haben eine Universität, Marburg ist eine, will der Volksmund wissen. Wer mit offenen Augen durch die Stadt an der Lahn schlendert, erkennt schnell, wieviel Wahrheit in dieser Einschätzung liegt. Denn von den 76.000 Einwohnern ist jeder dritte ein Student. Seit fast 500 Jahren wird an der ehrwürdigen Philipps-Universität geforscht und gelehrt.

Die Heilige Elisabeth: Mit ihr begann der Marburg-Tourismus

Eigentlich war Elisabeth, die bedeutendste Frau des europäischen Mittelalters, Landgräfin von Thüringen. Doch weil die Tochter des ungarischen Königs Andreas II. früh Witwe wurde, tauschte sie die Wartburg gegen Marburg. Die junge Frau ließ ein Hospital bauen, widmete sich der Kranken- und Armenfürsorge und verschenkte so ziemlich alles, was sie besaß. Als sie mit 24 Jahren starb und bereits vier Jahr später, 1235, heiliggesprochen wurde, wandelte sich Marburg zu einer Pilgerstätte der Heiligenverehrung.

Die Elisabethkirche war der erste gotische Sakralbau auf deutschem Boden.

Die Elisabethkirche: der erste gotische Sakralbau

Auf dem Gelände des von ihr gegründeten Hospitals wurde ab 1235 die Elisabethkirche errichtet, der erste in gotischen Stil gestaltete Sakralbau auf deutschem Boden. Zur Umbettung der „Armenfürstin“ kam der Kaiser höchstpersönlich und auch sonst wimmelte es in der Stadt nur so von Honorationen. Die Knochen wurden gereinigt, um sie fortan als kostbare Reliquien den Gläubigen zu präsentieren. Millionen Pilger sahen Elisabeth als Wunderquelle der Heilung und beteten an ihrem Grabmal.

Doch mit der Reformation waren die Heiligenkulte urplötzlich als Götzendienste verpönt. Elisabeths Nachfahre, Landgraf Philipp von Hessen, ließ – um die Reformation auch symbolisch zu stärken –  die Gebeine Elisabeths aus dem Goldenen Schrein entfernen. Die Legende erzählt, dass ein Untergebener die Überreste auf seinem Dachboden aufbewahrte.

Weinreben und Rosen schmücken das Portal der Elisabethkirche.

Heute gibt es zahlreiche Orte auf der Welt, die behaupten, Reliquien der Heiligen Elisabeth zu besitzen. So behaupten Wien, Udine und Besançon, das Haupt der so jung Verstorbenen zu besitzen: jenes Haupt, dem Kaiser Friedrich II, im Büßergewand gekleidet, ein Krone aufsetzte.

Nur 50 Jahre hatten der vom Deutschen Orden finanzierte Bau des Gotteshauses gedauert, das eigentlich nach der Jungfrau Maria benannt wurde. Doch schon bald setzte sich der Namen Elisabethkirche durch. Die ursprünglichen Wandmalereien wurden zwar während des Bildersturms im17. Jahrhundert zerstört, doch die schlichte, frühgotische  Architektur machen die Hallenkirche zu einem einmaligen Bauwerk.

Facelifting für die Elisabethkirche

Das Schmuckstück schlechthin ist das spätromanische Elisabethfenster, das Szenen aus dem Leben der Heiligen zeigt. Künftig soll die Kirche im Innern in einem freundlichen Farbton erstrahlen, so wie sie auch ursprünglich einmal ausgesehen hat.

Ob es nun ein Pink oder ein kräftiges Aprikot ist, hängt von der Sichtweise des Betrachters ab, der die bereits gestalteten Wände in Augenschein nimmt. Sicher ist, die umfangreichen Sanierungen sollen bis 2027 fertig sein, wenn die ehrwürdige Philipps-Universität ihren 500. Geburtstag feiert.

Viele historische Gebäude in Marburg werden heute von der Universität genutzt, dieses für den Fachbereich Geographie.

Die Universität: Marburgs wichtigster Motor

Als Landgraf Philipp der Großmütige 1527 in Hessen die Reformation einführte, brauchte er natürlich Pfarrer, die den neuen Glauben verkündeten. Sieben Professoren und 88 Studenten zählte die neu gegründete Philipps-Universität zu Beginn; Heute beschäftigt sie 6.000 Professoren und wissenschaftliche Mitarbeit, die über 25.000 Studenten betreuen.

Die Alma Mater, eine der traditionsreichsten Hochschulen Deutschlands, ist allgegenwärtig in der Fachwerkstadt,sowohl architektonisch, als auch im Leben der Menschen. Bei schönem Wetter versammeln sich die Studenten an den Lahntreppen, um einen Kaffee zu schlürfen oder ein Bierchen zu zischen. Abends trifft man sich in einer der zahlreichen Kneipen wie dem „Delirium“. Dort musst du unbedingt Marburgs Kult-Kurzen probieren, ein seltsames Gebräu namens „rostiger Nagel“, eine Mischung aus Ingwerschnaps, Rum um Tabasco.

Die neogotische Fassade der Alten Universität

Die Alte Universität: Prachtbau im neogotischen Stil

Das wohl auffälligste Gebäude dieses – gemessen an den großen Metropolen – Kaffs ist die Alte Universität, die von außen an ein gotische Kirche erinnert. Errichtet wurde der Bau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im neogotischen Stil auf den Fundamenten eines Dominikanerklosters aus dem 13. Jahrhundert. Heute werden hier angehende Theologen unterrichtet.

Bei Führungen können Marburg-Besucher die 1903 eingeweihte Aula besuchen, die als Festsaal für universitäre Veranstaltungen genutzt wird. Dominiert wird sie von sieben großformatigen Bildern des Malers Peter Janssen und einer prächtigen hölzernen Kassettendecke.

Blick ins Innere der Alten Universität

Die Universität hat mehr für den Ruf der hessischen Kleinstadt getan, als jede Werbekampagne. Wer hat nicht alles in Marburg studiert? Der spätere Nobelpreisträger Otto Hahn holte sich hier die höheren Weihen, während dem Vater vor allem der Bierkonsum des Sohnemanns in Erinnerung blieb. Boris Pasternak heiratete gar eine Marburgerin.

Und die Gebrüder Grimm, die Anfang des 19. Jahrhunderts Jura in Marburg studierten, schrieben hier die ersten beiden Märchen ihrer Sammlung auf. Aschenputtel erfreut sich dank zahlreicher Verfilmungen großer Beliebtheit, das Märchen vom goldenen Vogel kennt kein Mensch.

Eine Station am Grimm-Dich-Pfad

Die Gebrüder Grimm: ein Pfad für die Märchensammler

„Es sind mehr Treppen auf den Straßen als in den Häusern“, notierte Jakob Grimm, der sich mit seinem Bruder Wilhelm ein winziges Zimmer in einem Fachwerkhaus in der Marburger Barfüßerstraße teilte. Wie Recht er doch hatte, musste er doch tagein, tagaus notgedrungen über Hunderte Treppenstufen schleppen, wenn er zu den Vorlesungen ins Landgrafenschloss wollte.

Die vielen Treppen, die von der Unterstadt in die Oberstadt führen, sind das Markenzeichen der Unistadt. Es gibt zwar einige – kostenlose – Aufzüge, mit denen sich die ersten 26 Höhenmeter überwinden lassen. Doch wer zur Krone Marburgs möchte, dem Landgrafenschloss im Zuckerbäckerstil, kommt um schweißtreibende Kraxelei nicht herum. Manche der Kopfsteinpflaster-Stiegen sind so schmal, dass du mit ausgestreckten Armen die Wände berühren kannst.

Blick auf das Dächermeer von Marburg.

Doch die Schinderei lohnt sich – in doppelter Hinsicht. Dort oben liegt einem das Dächermeer der Altstadt zu Füßen. Der Blick schweift über den ziemlich schiefen Turm der Lutherischen Pfarrkirche bis zum „Affenfelsen“ , einem 14-stöckigen Hochhaus, das aus architektonischer Sicht zu den Schandtaten der Stadt gehört.

Zum anderen begegnest du riesigen Froschkönigen aus Blech, einem knallroten Aschenputtel-Schuh und einem Lebkuchenhaus, wie gemacht für Hänsel und Gretel. 1,6 Kilometer lang ist der Grimm-Dich-Pfad mit seinen 15 Stationen. Wer nicht ganz textsicher ist: Mittels QR-Code geht es direkt zu den einzelnen Märchen.

Das Landgrafenschloss thront auf einem Felssporn hoch über Marburg. Der rote Schuh ist eine Station auf dem Grimm-Dich-Pfad.

Das Landgrafenschloss: Marburgs Hogwarts

Der Panoramablick vom Balkon des Lahntales offenbart, warum das hessische Fürstengeschlecht diesen Felssporn für den Bau ihrer Residenz erwählten. Hier trafen sich wichtige Handelsrouten, hier stießen Gerichtsbezirke aneinander. Bei gutem Wetter lässt sich vom 300 Meter hohen Burgberg bis zu 100 Kilometer weit blicken.

Viele Stile, eine Residenz: Impressionen vom Marburger Schloss

Schon im 10. Jahrhundert soll auf dem Felsen eine hölzerne Burg gestanden haben, aber erst mit Landgraf Heinrich dem Reichen kamen die Dinge richtig ins Rollen. Der Landgraf hatte die Erbin von Katzenelnbogen geheiratet. Das brachte nicht nur territorialen Zugewinn, sondern auch ein ordentliches Plus in der gräflichen Schatulle – dank der lukrativen Einnahmen aus den Rheinzöllen.

Schmale Gassen und viele Treppen sind das Markenzeichen der Stadt.

Von Fürsten- und Rittersälen

Entsprechend prächtig wurde das pittoreske Landgrafenschloss ausgebaut. Wohin macht blickt Giebel, Türmchen und Erker, dazu eine überdimensionale Uhr und bewusst geplante Sichtachsen zu den Kirchen der Stadt.

Hinter den gotischen Fenstern verbirgt sich der fast schon sakral wirkende, 420 Quadratmeter große Fürstensaal , darunter der kleine Rittersaal, und noch eine Etage tiefer der Keller, das größte bekannte Winterquartier für Zwergfledermäuse.

Von der ursprünglichen Inneneinrichtung blieb kaum etwas erhalten. Doch wer wissen möchte, welche Kaiser, Könige und Vogelfreien sich in Marburg die Klinke in die Hand haben, besucht das im Schloss untergebrachte Museum. In den Räumen trafen sich 1529 Martin Luther, Ulrich Zwingli und andere Reformatoren zu den Marburger Religionsgesprächen.

Das Rathaus von Marburg wurde im frühen 16. Jahrhundert erbaut.

Marburgs Altstadt: Fachwerk, wohin man blickt

Marburg ist der reinste Fachwerktraum. Unterhalb des Schlossbergs mit seinen schmalen, verwinkelten Gassen reiht sich ein Schmuckstück an das nächste. Noch in den 1960er Jahren wollte man von dem „alten Gerümpel“ nichts wissen. Ein Gutachten empfahl gar, 60 Prozent der ziemlich heruntergekommenen Häuser abzureißen und die Oberstadt neu zu gestalten.

Doch glücklicherweise setzte sich diese Abbruchmentalität nicht durch. Die alten Häuser rund um das aus dem frühen 16. Jahrhundert stammende Rathaus wurden liebevoll saniert. Heute wacht der Gockel auf dem Rathausdach, der stündlich seine Flügel auf- und abbewegt, über Ritterstraße, Kornmarkt und Barfüssergasse.

Fachwerkpracht in der Altstadt von Marburg

Auf der anderen Lahnseite: der Spiegellustturm

Während die Altstadt mit dem Landgrafenschloss die Silhouette auf dem westlichen Lahnufer prägt, ziehen sich auf der anderen Flussseite Gauben geschmückte zweistöckige Bürgerhäuser den Hang hinauf. Auf dem höchsten Punkt Marburgs thront der Kaiser-Wilhelm-Turm.

Am Ende des steilen Blitzweges geht es über 100 Stufen senkrecht nach oben, bevor sich der Waldpfad in Serpentinen zu dem wohl schönsten Aussichtspunkt auf Schloss und Stadt schlängelt.

Den schönsten Blick auf Marburg hast du vom Spiegellustturm auf der anderen Lahnseite.

Seine Existenz verdankt der 36 Meter hohe Turm einem ehemaligen Studenten der Marburger Universität; ein gewisser Freiherr von Spiegel erkannte die einzigartige Lage des Berges mit Blickachse zum Schloss und ließ dort einen Pavillon erbauen. Der wurde schnell zum Lieblingsziel der Marburger.

Ein paar Jahrzehnte später, in den 1870er Jahren, ließ der Turmbauverein das zinnengeschmückte Denkmal für die deutschen Siege über Frankreich bauen, von dessen luftiger Plattform man einen einmaligen Blick über die Stadt und das Lahntal hat.

Ein Herz für Verliebte

Abends lassen Neonröhren in Herzform den Spiegellustturm erstrahlen. Die Lichtinstallation, die anlässlich des Elisabethjahrs 2007 entstand, ist ausgesprochen beliebt bei Verliebten. Ein Anruf unter der Telefonnummer 06421 590469 genügt – und das überdimensionale Herz beginnt im Dunkeln für die Liebste zu leuchten. Für ein paar Euro mehr strahlt es sogar die ganze Nacht.


Kaiser Wilhelm Turm, geöffnet während er Öffnungszeiten des Turmcafés, von April bis Ende Oktober werktags von 13 bis 18 Uhr, sonntags und an Feiertagen von 11 bis 18 Uhr. Die Besteigung kostet einen Euro für Erwachsene, Kinder ab fünf Jahren zahlen 60 Cent.


 

Lange war Emil von Behring kaum präsent im Stadtbild von Marburg. Doch mit der Behring-Route hat sich das geändert. Der beim Hauptbahnhof beginnende Rundkurs führt zu zwölf Stationen, die im Leben des ersten Medizin-Nobelpreisträgers eine rolle spielten: seine Villa am Rande der Innenstadt, zu seinem Mausoleum, das er schon zu Lebzeiten plante, und zu den Behringwerken im Marburger Stadtteil Marbach. Für die Tour solltest du drei bis dreieinhalb Stunden einplanen.
Hier wohnte Emil von Behring während seiner Zeit in Marburg.
…das Mausoleum des ersten Medizin-Nobelpreisträgers

Mehr schöne Städte in Deutschland gefällig? Wie wäre es mit Quedlingburg, Bad Homburg oder Freiburg.

 

Roswitha:
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