Marienbad: Einst hatte der tschechische Kurort einen Ruf wie Donnerhall. Kaiser und Könige nippten an den Schnabeltassen mit dem heilkräftigen Inhalt. Dichter, Denker und Demagogen gaben sich in Westböhmen dem Müßiggang hin. Den dunklen Jahrzehnten des Sozialismus, in denen die prächtigen Fürstenhöfe mir ihren üppig geschmückten Fassaden zu staatlichen Erholungsheimen degradiert wurden, folgte in den 90er-Jahren die Renaissance des Heilbades. Heute schlendern auch weniger betuchte Gäste durch die gusseiserne Kurkolonnade mit den wunderbaren Gemälden von Jan Vyletal, hinüber zur Singenden Fontäne, die beleuchtet wie ein Weihnachtsbaum zu klassischen Klängen tanzt.
Inhaltsverzeichnis
Herrscher liebten Marienbad
Die glorreiche Vergangenheit Marienbads findet sich – in Bronze gegossen – am Ende des Kurparks. In trauter Eintracht stehen sie beisammen – Englands König Edward VII und Österreichs Kaiser Franz Josef I. Im August des Jahres 1904 trafen sich die beiden Herrscher in Marienbad– der Franzl feierte nämlich seinen 74. Geburtstag.
Heute sind die lebensgroßen Figuren ein beliebtes Fotomotiv für Selfie-Verrückte. Eine ältere Dame, unverkennbar russischer Herkunft, hakt sich freundschaftlich bei Edward unter; der Herr Gemahl legt seinen Arm kumpelhaft um den Habsburger. Beide waren große Liebhaber des westböhmischen Heilbades. Der eine, weil Marienbad wahrlich nicht fern von Wien war. Der andere, weil er einen Narren daran gefressen hatte, seit er 1897 zum ersten Mal in das Heilbad unweit von Pilsen gekommen war.
Ich habe ganz Indien, Ceylon, alle Bäderstädte in Europa bereist, aber nirgends hat mich die Poesie der wunderschönen Natur so wie hier in Marienbad am Herzen berührt
schwärmte der älteste Sohn Königin Victorias. Neunmal beehrte er das Heilbad , mal als „Lord Renfrew“, mal als Erzherzog von Lancaster. Der Monarch machte nicht nur die Tweedjacke salonfähig; er bescherte dem Ort auch den ältesten Golfplatz Tschechiens und sorgte für Aufschwung in dem aufstrebenden Kurort. Denn wo Königs kurten, wollten auch Normalsterbliche hin – vorausgesetzt, man konnte sich die ganze Belle Époque-Herrlichkeit leisten.
Städtebauliches Juwel
Edward ist auch noch in anderer Rolle im Stadtbild von Mariánské Lázně präsent, wie das Städtchen auf Tschechisch heißt- wenn auch eher trauriger Natur. Gleich neben dem wunderbar verspielten Hotel Pazifik, auf dessen Dach jubilierende Figuren thronen, steht jenes Gebäude, in dem der britische Monarch etliche Mal logierte. Für den ersten Mann des britischen Empires hatte man sogar den Fenstersims abgesenkt, damit Majestät bequem das Leben und Treiben auf dem Platz davor verfolgen konnte.
Doch der einst so feudale Palast ist nur noch ein Schatten seiner selbst. An der Fassade bröckelt der Putz. Die allegorischen Figuren, die Hauseingänge beschützen und Balkone tragen, verkrümeln sich. Die Fenster sind blind geworden. Im Innern herrscht nacktes Chaos. Die Suche nach einem Investor, der das historische Gebäude mit Millionenaufwand auf Vordermann bringen könnte, verlief bislang ergebnislos. Denn Marienbad, dieses städtebauliche Juwel inmitten unberührter Natur, hat schon genügend Hotels, die die gute alte Zeit beschwören.
Marienbad: 1818 Ernennung zum Kurort
Die Architektur der Jahrhundertwende: Sie prägt Marienbad, dessen Aufstieg 1818 mit der Erhebung in den Rang eines „Kurortes“ begonnen hatte. Die prächtigen Jugendstil-Villen und -Hotels, die sich entlang der Hauptstraße Hlavní třída an die Hänge schmiegen, überstanden zwei Weltkriege nahezu unbeschadet.
Doch die Jahrzehnte sozialistischer Vereinnahmung – als Urlaubszentrum der Arbeiterklasse – setzten dem Glücksfall städte- und landschaftsbaulicher Harmonie zu. Wenn auch nicht so einschneidend wie im nahen Karlsbad, dem die sozialistische Moderne eine architektonische Scheußlichkeit wie das monumentale Betonungetüm des Hotels Thermal bescherte.
Marienbad und seine Zuckergussfassaden
Ein Fauxpas wie das Cristal Palace, dem die ehrwürdige Herberge „Marienbader Mühle“ in den 1970er zum Opfer fiel, blieb glücklicherweise die Ausnahme. Für Facelifting fehlte in den dunklen Jahrzehnten allerdings das Geld.
Die prächtigen Paläste mit ihren überbordenden Zuckergussfassaden verlotterten. Das sonnige Habsburger-Gelb vieler Häuser verblasste. Der Rost setzte der gusseisernen Konstruktion der 120 Meter langen neobarocken Kolonnade zu. Sozusagen als Wiedergutmachung bekam Marienbads Wahrzeichen immerhin das wunderschöne Deckenfresko der Kolonnade spendiert.
Moderner Komfort in altem Gemäuer
Nach der Wende beließ man es nicht bei kosmetischen Korrekturen. Die tschechische Kleinstadt setzte auf behutsame Sanierung der geschichtsträchtigen Bausubstanz – und auf die engen Vorgaben der städtischen Denkmalschutzzone. Hotelpaläste wie das „Bohemia“, „Pazifik“ oder „Excelsior“ strahlen in neuem Glanz um die Wette.
Nur herrscht heute moderner Komfort in altem Gemäuer. Hunderte Figuren können Flaneure an den herausgeputzten Fassaden bewundern, liebevolle Details, die jedem Gebäude ein unverwechselbares Gesicht verleihen. Die deutschen Namen sind tschechischen gewichen – das monumentale Neubad mit seinen vier Türmen im Stil der italienischen Neurenaissance heißt folgerichtig Nové Lázné und beherbergt ein Fünf- Sterne-Hotel.
Das römische Bad: wo Majestät kurte
Doch das Römische Bad mit seinem arabischen Stil erinnert wie zu Königs Zeiten an ein Märchen aus 1001 Nacht. Wer will, kann Edwards üppig dekorierte Badekabine aus Marmor mieten, wo heute wohlriechende Bäder und Massagen an Normalsterbliche verabreicht werden.
Wären da nicht die unzähligen Schmuckgeschäfte, die böhmischen Granat für jeden Geldbeutel feilbieten, die namenlosen Asia-Läden mit ihrem unsäglichen Tand und Trödel, die praktischen Geldautomaten – der Besucher wähnte sich in jener Epoche, als Böhmen noch bei Österreich war. Heute präsentiert sich Marienbad dem Betrachter so wie einst Franz Kafka: „Unbeschreiblich schön“.
Marienbad: wie alles begann
Schon Ende des 13. Jahrhunderts entdeckten Mönche des Klosters Tepl die heilende Wirkung der Mineralquellen in dem ziemlich sumpfigen Tal. 1528 ließ sich König Ferdinand I eine Probe der Mineralquellen nach Prag bringen, weil er auf ein einträgliches Geschäft mit Kochsalz hoffte.
Die erste Kurbehandlung wird auf das Jahr 1609 datiert: ein heißes Bad in der Marienquelle unter freiem Himmel, die wegen ihres wenig angenehmen Geruchs „Stinker“ genannt wurde. Ende des 18. Jahrhunderts begann der Ordinarius vom Kloster Tepl die Heilwirkungen des Wassers systematisch zu erforschen.
Bis ins frühe 19. Jahrhundert mussten Heilung Suchende auf jegliche Annehmlichkeit verzichten. Nahe der Heilquellen und der natürlichen Seen mit ihrem Kohlendioxidaustritt existierten lediglich zwei einfache Hütten, die den Patienten Unterschlupf boten. Die ersten Kurgäste mussten anfangs noch Lebensmittel und manchmal sogar ein Feldbett für den gesamten Aufenthalt mitbringen.
Ein Abt als Macher
Hinzu kam: Die Anreise war beschwerlich, die Gegend wenig einladend. Doch Karl Reitenberger, Abt des Stifts in Tepl, war ein Macher, der Marienbads glänzende Zukunft begründete. Er ließ Wälder roden, Sümpfe trockenlegen und Senken auffüllen, um den Talboden im Stil eines englischen Landschaftsgartens mit Wiesen und Wegen, Bäumen, Büschen und Blumenrabatten umzugestalten. Zudem veranlasste er die Fassung der Quellen, den Bau neuer Häuser und den Versand von Mineralwasser-Krügen nach ganz Europa.
Kurviertel im Stil des Jugendstils
All das verlangte nach Geld und Einsatz, was dem Abt den Vorwurf einbrachte, die Mittel des Ordens zu verschwenden und die ihm anvertraute Verwaltung des Klosters zu vernachlässigen. Das Neue Kurhaus, ein wahrhaft königliches Gebäude, brachte das Fass zum Überlaufen. Die Geduld des Ordens war erschöpft, Reitenberger wurde zur Strafe ins Exil nach Tirol geschickt.
Sein unrühmlicher Abgang bremste das Wachstum seines Kindes nicht. Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde das Kurviertel im Stil des Jugendstils aus der Erde gestampft, heute ein perfektes Freiluftmuseum voller Eleganz und Stil.
Berühmte Gäste in Marienbild
Die Schönheit des jungen Kurortes sprach sich schnell herum. Marienbad wurde zum beliebten Ziel von Kaisern und Königen, Schriftstellern, Musikern und Künstlern. Franz Kafka, Friedrich Nietzsche, Gustav Mahler, Henrik Ibsen, Johan Strauß, Frédéric Chopin, Thomas Alva Edison – sie alle verliebten sich in das böhmische Städtchen, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach St. Moritz der teuerste und luxuriöseste Kurort Europas war.
Von Großfürsten und Scheichen
Unter all den russischen Großfürsten und den westlichen Millionären dürfte der persische Scheich Muzzefir Eddin der reichste Gast Marienbads gewesen sein. Mit allem Pomp wurde der König der Könige empfangen, sogar ein Auftritt der Berliner Hofoper wurde eigens für ihn arrangiert. Nur einen Wunsch musste ihm die Stadt abschlagen: jeden Tag ein monumentales Feuerwerk abzubrennen.
Mark Twain spottete über Marienbad
Mark Twain, der sich nach eigenen Angaben „nur ein bisschen umschauen“ wollte, hatte dagegen reichlich Hohn und Spott für die „Gesundheitsfabrik“ übrig. Die Patienten mit „Gicht, Rheuma, Magersucht, Fettleibigkeit, Verdauungsstörungen und den ganzen Rest“ müssten „grauenvolles Wasser trinken und über die Hügel stapfen.“
Ob sich Geheimrat Goethe, der zuvor öfter in Karlsbad gekurt hatte, ebenfalls dem beschriebenen Prozedere unterzogen hat, ist nicht bekannt. Es könnte jedoch so gewesen sein – so mürrisch wie der Dichterfürst dreinschaut, dessen Denkmal vor dem Marienbader Stadtmuseum steht.
Goethes literarisches Denkmal an Marienbad
Vielleicht lag es aber auch an der letzten unglücklichen Liebe des alternden Casanovas, dessen größte persönliche Niederlage zu einem weiteren Höhepunkt seiner Schaffenskraft wurde. Alter schützt bekanntlich vor Torheit nicht. Unzählige Damen der feinen Gesellschaft hatte der Herr Geheimrat betört, doch an diesem frisch-fröhlichen Backfisch namens Ulrike von Levetzow biss sich der Gute die Zähne aus.
Ein Korb von der umworbenen Ulrike
Dabei hatte er einiges an Ansehen und Wohlstand in die Waagschale zu werfen, hatte gar seinen Freund Herzog Carl August von Weimar vorgeschickt, um die umworbene Ulrike zu gewinnen. Doch der kokette Kurschatten zeigte dem Mann von Welt die kalte Schulter. Wer kann es ihr verdenken: Das hübsche Ding war keine 20 Jahre alt, der brüskierte Goethe weit über 70.
Was von Goethes Aufenthalt in Marienbad blieb, ist ein Salonstück um Liebe, Leichtfertigkeit und Irrtum, eine Erzählung über des greisen Dichters letzte Liebe: Als „Marienbader Elegie“ ging sie in die Literaturgeschichte ein.
Marienbad: nicht so mondän wie Karlsbad
Mondän ist Marienbad längst nicht mehr. Wer ein wenig Duft der großen Welt schnuppern möchte, muss nach Karlsbad, wo neureiche Russinnen selbst bei frühlingshaften Temperaturen ihren Zobel ausführen und sich das legendäre Hotel Pupp darin sonnt, Kulisse für James Bonds „Casino Royale“ gewesen zu sein. Marienbad ist eher das Ziel der kleinen Leute, die etwas für die eigene Gesundheit tun wollen, denen die deutschen Heilbäder aber viel zu teuer sind.
Standbeine der Marienbader Kur
Schon morgens bevölkern sie im Bademantel die Bäderabteilungen ihrer Hotels. Mittags spazieren sie zum Pavillon neben der Kurkolonnade, wo Schnabeltassen aus Porzellan und mit Kitschmotiven in Reih und Glied für die Trinkkur bereitstehen. 40 Heilquellen entspringen in der Stadt selbst, 100 weitere plätschern in der näheren Umgebung.
Für jedes Gebrechen das richtige Wässerchen
In keiner sind die gleichen Mineralien enthalten, so dass sich wohl für jedes Gebrechen ein Wässerchen finden lässt. Geplagte Mitmenschen kurieren mit alkalischen und mineralhaltigen Quellen Nieren-und Harnwegserkrankungen, lassen sich Gasinjektionen zur Schmerzlinderung verpassen, zwängen sich in Kunststoffsäcke mit hochreinem Kohlendioxid, was bei Osteoporose, Klimakterium und nachlassender Manneskraft gleichermaßen helfen soll.
Ein Schloss für Metternich in Königswart
Ob Klemens von Metternich – ja, der vom Wiener Kongress – die heilsame Wirkung der Marienbader Quellen ebenfalls gekannt hat? Der Fürst und spätere Herzog, 30 Jahre lang der mächtigste Mann der Habsburger Monarchie, verbrachte viel Zeit auf seinem Landsitz im benachbarten Königswart, dem heutigen Kynžvart. Er gab den Auftrag, die dortigen Mineralquellen zu Heilzwecken zu nutzen.
Der mächtige Kanzler wusste sehr wohl, was er seinem Amt schuldig war – das Metternichsche Haus ließ er zu einer dreiflügeligen Schlossanlage im klassizistischen Stil umbauen, in dem er die bedeutendsten Persönlichkeiten des damaligen Europa empfing.
Sammlung enthält Napoleons Porzellantasse
Wer heute durch die geschmackvoll eingerichteten Räume streift, die berühmte Kuriositätensammlung betrachtet oder das Arbeitszimmer des Staatsmannes betritt, wo sich der alternde Metternich mit ausgewählten Erinnerungsstücken an seine erfolgreiche politische Laufbahn umgab, dem wird bewusst, dass der geschickte Politiker nicht nur ein Kapitel im Geschichtsbuch war. Selbst Napoleons Porzellantasse – ein Dank für das Ehe-Arrangement mit der österreichischen Großherzogin Marie Luise – steht noch an ihrem Platz.
Tuscheln über die Eskapaden des Kanzlers
Metternich selbst war ebenfalls kein Kostverächter, wovon 13 Kinder zeugen. Noch zu seinen Lebzeiten tuschelte man in aristokratischen Kreisen über die Liebeseskapaden des Kanzlers, und in den Salons gab man folgendes Bonmot zum Besten. „Welches Schloss der Monarchie auch immer du besuchst, überall empfängt dich ein Metternich.“
Ein Ort für alle oder nur für ältere Semester? Was ist eure Meinung? Schon mal in Marienbild gewesen? Und wenn ja, wie hat es auch in dem tschechischen Heilbad mit dem historischen Ambiente gefallen? Wenn ihr Tipps für einen Aufenthalt habt, teilt sie mir bitte mit. Und wenn euch dieser Artikel gefallen hat, dann teilt ihn doch auf euren sozialen Netzwerken.
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