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Mit dem Tren a las Nubes zu den Wolken

Der Tren a las Nubes, einst gebaut für den Güterverkehr zwischen Argentinien und Chile, hat längst seine Bedeutung als Transportweg verloren. Doch für Eisenbahnfans ist die Zugstrecke hinauf zu den Bergriesen der Alpen ein Traum. Nach mehreren Entgleisungen verkehrt der “Zug in die Wolken” aktuell allerdings nur noch zwischen San Antonio de los Cobres (3774 Meter) und dem Polvorilla-Viadukt. Doch selbst dieser kurze Abschnitt ist unvergesslich.

Von Salta in die Anden

Der Tren a las Nubes ist nichts für Schlafmützen. Die Provinzhauptstadt Salta im Nordwesten Argentiniens liegt noch im Schlaf, als der Ausflug zum Wolkenzug startet. Draußen brennt die Straßenbeleuchtung, und die Lampen werden längst wieder leuchten, wenn die Touristen nach 13-stündiger Fahrt wieder in der „Schönen“ eintreffen, wie die Quechua-Indianer das 500 000 Einwohner zählende Schmuckstück mit seinen weiß getünchten Häusern, den ebenholzfarbenen Balkonen und der prächtigen Kathedrale nennen. Trotz der frühen Stunde ist der Bahnhofsvorplatz gut gefüllt – Indios aus den abgelegenen Bergdörfern, die zum Einkauf oder für Behördengänge in Salta waren, Backpacker in luftigen T-Shirts und Badelatschen, Mitglieder einer amerikanischen Reisegruppe, die den Tren a las Nubes auf ihrer Bucketliste für Südamerika stehen haben. Schließlich gibt es nur wenige Züge auf der Welt, die dem Himmel näherkommen.

Salta mit seiner Kathedrale wird von den Quechua “die Schöne” gennant.
Die Iglesia San Francisco in Salta ist sowohl von innen als auch von außen ein Schmuckstück.

Hinauf mit dem Wolkenzug

Gut 200 Kilometer liegen zwischen Salta auf 1187 Metern und der Endstation La Polvorilla auf 4220 Metern. Noch vor einigen Jahren konnten Bahnenthusiasten wie ich die gesamte Strecke mit dem Tren a las Nubes zurücklegen – ein spektakuläres Erlebnis, denn welcher Zug kann schon an einem Tag 3 000 Höhenmeter hinauf- und genauso viele hinunterklettern. Doch der Wolkenzug, einst Argentiniens ganzer Stolz, ist fast so unbeständig wie das Wetter. In seiner langen Geschichte legte er immer mal wieder Zwangspausen ein, war zeitweise von Stilllegung bedroht. Nur die Götter wissen, warum heute der größte Teil der Strecke per Bus auf der RN 51 zurückgelegt wird und der Wolkenzug nur noch auf Abschnitt zwischen der alten Bergbaustadt San Antonio de los Cobres und dem berühmten Viadukt „La Polvorilla“ eingesetzt wird.

Gesteinsformationen im Nordwesten Argentiniens.

Ist die Eisenbahngesellschaft mal wieder pleite? Hat ein Steinschlag die Schienen verschüttet oder störte sich der Betreiber daran, dass der Tren a las Nubes bei der gemächlichen Fahrt durch die Vorstädte der argentinischen Provinzhauptstadt mit Steinen beworfen wurde? Mit heruntergelassenen Rollos – „zum Schutz der Passagiere“, wie der freundliche Zugchef damals dem erstaunten Publikum erklärte – zog der Zug seine Bahn, ein seltsames Schauspiel, das erst nach einer Stunde zu Ende war. Für manchen Argentinier war er einfach ein rotes Tuch, der Zug der reichen Touristen, die sich ein Ticket für über 100 Euro leisten konnten – mehr als mancher compatriota im Monat zum Leben hat.

Diese spektakuläre Schlucht findet sich im Nordwesten Argentiniens.

“Drache der Kordilleren”

So traurig der Umstand ist, dass statt des Zuges heute Busse bis nach San Antonio fahren: Die spektakuläre Landschaft im Lerma Tal, im Quebrada del Toro und im eisig-kalten Hochland, das als Puna bekannt ist, entschädigt für vieles. „Drache der Kordilleren“ nannten ältere Indios diese Lebensader durch eine Mondlandschaft, als sich Dampfloks ächzend und stöhnend die Berge hochschraubten. Längt haben Dieselloks diese Aufgabe übernommen, die selten an der 40-Stundenkilometer-Marke kratzen. Wo immer die Waggons mit ihrer stylish- bunten Bemalung auftauchen, werden sie mit großem Hallo begrüßt. Schulkinder in Uniform winken enthusiastisch, alte Männer mit krummem Rücken und zerfurchter Stirn halten inne bei der Arbeit auf dem Feld. An den wenigen Bahnübergängen hängen Trauben von Menschen, um einen Blick auf Argentiniens berühmten Zug erhaschen zu können. Manchmal macht er sogar seinem Namen „Wolkenzug“ alle Ehre, wenn er durch graue Schwaden ins klare Blaus des Himmels vorstößt.

Über 3000 Höhenmeter musste der Tren a las Nubes überwinden, als er noch die ganze Strecke befuhr.

Der Tren a las Nubes steht für die Aufbruchsstimmung des südamerikanischen Landes am Endes des 19. Jahrhunderts. Selbst das entlegenste Dorf des riesigen Staates, in den Deutschland bequem zehnmal reinpassen würde, sollte Anschluss an die Welt haben, die mit Sechstausendern gespickten Anden kein Hindernis mehr darstellen. Ein Schienenstrang ins chilenische Antofagasta musste her, um all die im Fels verborgenen Bodenschätze zum Stillen Ozean zu befördern. Machbar war das kühne Projekt einer Eisenbahnstrecke durch endlose Einöde, harten Fels und über schwindelerregende Pässe wie den Huaytiquina. Eine Gruppe hartgesottener Burschen hatte den langen Marsch durch El Noa gewagt, wie die Argentinier den einsamen Nordwesten ihres Landes nennen, und nach zwölf Tagen das chilenische Sao Pedro de Atacama erreicht.

Endlose Einöden begleiten den Tren a las Nubes auf seiner Fahrt Richtung Chile.

1920 wurde schließlich mit dem Bau des technischen Meisterstücks des nordamerikanischen Ingenieurs Ricardo Fontaine Maury begonnen: einer tollkühnen Schmalspurtrasse mit 3 300 Meter Höhenunterschied, 1 328 Kurven, 44 Brücken und Viadukten sowie 21 Tunnels. Über tausend Arbeiter zogen mit 150 Maultierkarren, vierhundert Schaufeln, 300 Pickeln und jeder Menge Sprengstoff in die Berge und verlegten 855 000 Schwellen aus Quebrachoholz. Einer von ihnen hieß Josip Broz; später ging er als Jugoslawiens Staatspräsident Tito in die Geschichtsbücher ein. Mehr als 600 Männer starben während der Bauzeit, die meisten bei Sprengungen. Doch auch der ständige Kampf gegen raues Wetter, Schneestürme, Hitze, dünne Luft und den gefürchteten „viento blanco“ forderte seine Opfer.

Zick-Zack-Kurs des Wolkenzuges

Maury, der sich bereits mit dem Bau der Eisenbahnen auf Kuba und rund um Buenos Aires in die Geschichtsbücher eingetragen hatte, muss ein rechter Tüftler gewesen sein. Eine herkömmliche Zahnradbahn hätte es seiner Meinung nach nicht getan, wegen der extremen Temperaturschwankungen. Dafür brauchte es innovative Lösungen für steilere Passagen. Ob es nun wirklich Ziegen am Hang waren, die Maury auf den Zickzack-Kurs brachten, um größere Steigungen zu meistern? Das Prinzip des Vor- und Zurück auf einer Z-förmigen Linie entpuppte sich jedenfalls als perfekte Lösung.

Wunder der Ingenieurkunst

Eisenbahnfreaks sind angesichts dieses Wunders der Ingenieurkunst völlig aus dem Häuschen. Die übrigen Passagiere begeistern sich eher für die göttliche Inszenierung vor den Panoramafenstern. Steingraue Geröllfelder wechseln sich ab mit tropischen Nebelwäldern, die von Moosen, Flechten und Baumschmarotzern nur so strotzen. Esel, Lamas und grazile Vikunjas grasen auf grünen Koppeln. Hie und da erzählen verfallene Lehmgehöfte und verlassene Geisterorte vom rauen Leben der Bergleute, die längst weitergezogen sind. Kraftstrotzende Büsche mit dem hübschen Namen Palam-Palam steuern gelbe Farbeinsprengsel bei, knallige Flamboyantbäume schmücken sich in herrlichstem Lila.

Wachsen entlang der Strecke des Tren a las Nubes wie Unkraut: Kakteen.

Mit jeder Windung wird die Landschaft urtümlicher, fantastischer. Der nackte Fels, der Gleise und Straße zu verschlingen droht, liegt da wie ein zerknülltes Tischtuch, achtlos weggeworfen von unbekannter Hand und auf Ewigkeit versteinert. Tiefe Gräben und Furchen durchpflügen das steinerne Meer, ein paar Meter weiter türmen sich mächtige Felsbrocken zu skurrilen Figuren aus dem Feenreich auf. Als habe ein Zauberer alle Farben der Erde über der Landschafts-Leinwand ausgekippt, leuchten die mächtigen Massive in zartestem Rosa, in milchigem Weiß, in kräftigem Karneol. Selbst die Cardones, die der große Carl von Linné als „haarige Wachskerzen“ einstufte, kapitulieren vor dieser geschundenen Steinwüste, die nur noch einigen Grasbüscheln Halt bietet. In dramatischer Pose recken die genügsamen Kandelaberkakteen ihre stachligen Arme dem wolkenlosen Himmel entgegen, stumme Wachsoldaten, die tapfer Hitze und Kälte, Sturm und Schnee trotzen. Für die Indios verkörpert jeder Kaktus einen Verstorbenen, der das einsame Hochland beschützt. Und irgendwann – so ihr fester Glauben – werden die Ahnen wiederkehren, um sich für all das erlittene Unrecht zu rächen.

Die Berge im Nordwesten Argentiniens leuchten in allen Farben.

„Hier oben spricht Argentinien mit dem Himmel“, erzählt Federico, der 22-jährige Student mit deutschen Vorfahren. Schon als Kind zog es ihn in diese raue Einöde, wo Gletscherriesen wie der Nevado de Acay (5716 Meter) oder der Nevado de Chañí (5896 Meter) einen stahlblauen Himmel liebkosen. Federicos Großvater war Ingenieur beim Eisenbahnbau, was erklärt, warum der Enkel mit geradezu zärtlicher Liebe von dem stählernen Baby spricht. Dass Touristen nun den größten Teil der Strecke mit dem Bus zurücklegen müssen, treibt dem Fußballfan die Zornesröte ins Gesicht.

Tren a las Nubes vor dem Aus?

Doch auch dies passt zur Gesichte des Tren a la Nubes, der schon mehrfach vor dem endgültigen Aus stand. Ausgerechnet einem Buslinienbetreiber hatte die Regierung die Zugstrecke übertragen, und der hatte verständlicherweise kein Interesse an der unliebsamen Konkurrenz. Ein anderes Mal fehlte das Geld für notwendige Reparaturen. Das Gleisbett verrottete, die Waggons vergammelten. Nicht mal mehr Güterzüge ratterten über die Schmalspurtrasse, die einst eine der wichtigsten Verbindungen zwischen den zerstrittenen Nachbarn war. Ob Eisenbahnfans jemals wieder die ganze Strecke zwischen Salta und La Polvorilla befahren können? Die Bus-Bahn-Variante ist jedenfalls eine ärmliche Alternative.

Der Tren a las Nubes am späten Nachmittag auf der Fahrt zurück nach Santa..

Statt in die Quebrada del Toro, die Schlucht des Stieres, zu starren, bleibt den Buspassagieren nur der Fotostopp am längsten Viadukt der Strecke. Es überspannt in gut 20 Metern Höhe ein ausgetrocknetes Flussbett. Ich konnte mich noch dem Nervenkitzel hingeben, mich aus dem Fenster zu lehnen, in den Abgrund zu blicken und Stoßgebete gen Himmel zu schicken, dass der Tren a las Nubes brav Kurs hält. All die schneckenförmige Windungen, durch die sich der Zug nach oben schraubt, all die „Zickzack-Weichen“, ohne die manche steile Passage nicht zu meistern wäre – geopfert auf dem Altar des Straßenverkehrs.

Die Überquerung des Viadukts La Polvorilla ist der Höhepunkt der Fahrt mit dem Tren a las Nubes.

Immerhin hat der Wolkenzug am Viadukt „La Polvorilla“ auf 4 220 Metern Höhe noch einen großen Auftritt. Wie Lemminge hasten die Passagiere durch den schmalen Gang, stürzen sich hinaus ins Freie – und sind augenblicklich erschlagen. Wie bleiern sind auf einmal die Beine, wie kräftezehrend das Atmen in dieser ungewohnt dünnen Luft. Ein schmerzhafter Schwindel ergreift viele – keineswegs nur wegen der halsbrecherisch anmutenden Spannbrücke, die eines der schwierigsten Bauprojekte war.

Kühne Eisenbahnbrücke

Wie ein gefallener Gigant liegt sie über der 60 Meter tiefen Schlucht. Die kunstvolle Metallkonstruktion – der längste Pfeiler misst immerhin 67 Meter – soll laut Reiseführer über 1600 Tonnen wiegen. Heerscharen hasten zum Aussichtspunkt, von wo aus man den herrlichsten Blick auf das ebenso kühne, wie elegante Bauwerk hat. Andere balancieren draufgängerisch am Abgrund, während der Zug sehr zur Freude der Fotografen vorwärts und rückwärts rangiert. Vergessen sind die pochenden Kopfschmerzen, die Enge in der Brust, der elendigliche Brechreiz. Zur Not kann man ja auf den bitteren Coca- Blättern herumkauen oder sich beim Bordarzt eine extra Portion Sauerstoff verpassen lassen.

Diese hübschen Lederschuhe gab es in San Antonio zu kaufen.

In der Minenstadt San Antonio de los Cobres ist der Wind zu einem Ungetüm angeschwollen, das wie verrückt an Fenstern und Türen zerrt und Grasbüschel vor sich hertreibt. Der feine Staub legt sich als dünner Film auf Haut und Kleidung, vermischt sich mit dem schmierigen Ruß der Diesellok. Von allen Seiten eilen Einheimische herbei, in Ponchos gemummelte Frauen, die selbst gestrickte Pullover, Handschuhe und Schals zum Kauf anbieten. Schmalbrüstige Kinder verdienen sich mit selbst geschnitzten Tierfigürchen ein paar Peso. Es sind dunkle, von Wind und Kälte zerfurchte Gesichter, in die man blickt; ernste Augen, in denen sich selten ein Anflug von Freude verirrt. Nur den Kleinsten, verpackt wie dicke Wollpakete, entfährt ein Lächeln angesichts der blassen Gestalten in kurzen Shorts und luftigen T-Shirts.

Am späten Nachmittag bekommen die Passagiere den Namensgeber des Wolkenzuges zu Gesicht.

Am späten Nachmittag bekommen die Passagiere dann doch noch die Namensgeber des Tren a la Nubes zu sehen. Zuerst sind es nur ein paar feine Schleier, die wie von Feenhand über das leuchtende Blau geworfen wurden. Dann kriechen dicke Schwaden an den grau-braunen Silhouetten der Berge empor. Nur der Acay, der höchste Berg entlang der Strecke, lugt trotzig hervor. In der weltabgewandten Bergarbeitersiedlung San Antonio ist längst wieder Ruhe eingekehrt, die provisorischen Stände sind weggepackt. Die Busse mit den Ausflüglern sind entschwunden. Die Puna träumt im milden Licht der Abendsonne. In einigen Tagen wird er wiederkommen, der Tren a las Nubes auf seinem Höhenflug ins Nirgendwo.

 

Der Tren a las Nubes
Leider befährt der Tren a las Nubes nicht mehr die komplette Strecke von Salta bis zum Viadukt „La Polvorilla“ auf 4 220 Metern Höhe, sondern nur noch den letzten Abschnitt ab der Minenstadt San Antonio de los Cobres. Ob sich das in nächster Zeit wieder ändern wird, steht in den Sternen. Derzeit gibt es nur die Möglichkeit, mit dem Bus nach San Antonio zu fahren, um dort in den Wolkenzug einzusteigen. Die Tour wird als Ganztagesausflug ab Salta angekommen. Wer auf eigene Faust diese Ecke Argentiniens erkundet, kann allerdings auch nur die Zugfahrt buchen. Die offizielle Buchungsseite ist allerdings nur auf Spanisch.

 

Zum Berg der Farben
Und wenn wir schon einmal im unterschätzten Nordwesten Argentiniens sind: Die Quebrada de Humahuaca, eine 150 Kilometer lange Schlucht in der Provinz Jujuy, gehört seit 2003 zum Unesco-Welterbe. Die karge Vegetation steht in krassem Gegensatz zum Farbenreichtum der Steine. Der berühmteste ist der Cerro de los Siete Colores, der Berg der sieben Farben, unweit des Ortes Purmamarca. Wer die Intensität der von verschiedenen Mineralien geformten Landschaft in voller Farbenpracht fotografieren möchte, muss früh aufstehen. Von Salta aus werden Tagesauflüge zur Quebrada de Humahuaca angeboten.

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Und wenn ihr schon mal in Argentinien unterwegs seid: Auf keinen Fall Buenos Aires auslassen – für mich die schönste Stadt Südamerikas. Hier geht es zu meinem Bericht über die Barrios der “Stadt der guten Lüfte”

 

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Roswitha:
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