Was haben wir uns nicht alles vorgenommen für die Tage im Tessin, rund um den Luganer See. Wir wollten durch die Via Nassa flanieren, jene 270 Meter lange Prachtstraße im alten Stadtkern von Lugano, wo es nur so von exklusiven Geschäften und Boutiquen mit horrenden Preisen wimmelt. Wir wollten entlang der Uferpromenade nach Paradiso schlendern, dessen vielversprechender Name so gar nicht zu den gesichtslosen Bauten passen will. Und natürlich standen die Berge auf dem Programm, diese mächtigen Himmelsstürmer, die so herrlich die mediterrane Atmosphäre am Seeufer kontrastieren.
Inhaltsverzeichnis
Auf der Sonnenseite der Alpen
Doch dann stellen wir fest, dass weniger mehr ist, dass auch auf der Sonnenseite der Alpen der Himmel nicht immer blau ist, sondern es in Strömen regnen kann. Das Wetter, dieser sprunghafte Begleiter, ist eine Seite; die Region am Luganer See die andere. Sie wirkt beruhigend, entschleunigend und macht uns bewusst, dass der Augenblick zählt, nicht die am heimischen Esszimmertisch geschmiedeten Pläne.
Schon beim Bummel durch Luganos Altstadt vergessen wir die Zeit. Schon bald sitzen wir Eis schlotzend auf Uferbänken und genießen den Blick auf See, Berge und Palmen. Wir stehen bewundernd vor den alten Villen, die von vergangenem und gegenwärtigem Reichtum künden, tauchen ein in das quirlige Leben auf den Plätzen, die eindeutig südländischen Charakter haben. Die Antwort auf die Frage „Bin ich noch in der Schweiz oder schon in Italien?“ tendiert eindeutig zur zweiten Möglichkeit.
City-Highlight am Luganer See: Lugano
Lugano: Die berückend schöne Kulisse macht ein wenig sprachlos. Ich frage mich insgeheim, warum sich Hollywood-Beau George Clooney für den nahen Comer See und nicht für die schweizerische Schwester entschieden hat. Lugano habe gewisse Ähnlichkeiten mit Rio de Janeiro, habe ich in einem Bericht über die größte Stadt des Tessins gelesen – eine ziemlich wahnwitzige Gegenüberstellung; trotz des San Salvatore, der wie ein sattgrüner Zuckerhut über dem verästelten See thront.
Schweizerisch-mediterraner Kulturmix
Einen solchen Vergleich hat der schweizerisch-mediterrane Kulturmix nicht nötig. Lugano, das in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts unter die Herrschaft der Mailänder Visconti gelangte, später von französischen Söldnern besetzt wurde und seit 1513 zur Eidgenossenschaft gehört, ist reich an eigener Attraktivität. Das darf man von einem wichtigen Banken- und Handelsplatz zwischen Nord und Süd auch erwarten.
Glamour und schöne Ecken
Wäre da nur nicht der Verkehr, der sich tagein, tagaus entlang der Seepromenade quält, angeführt von Luxuskarossen mit Züricher und Berner Kennzeichen. Stoßverkehr sowie die allgegenwärtigen Bausünden in bester Lage lassen sich auf den ersten Blick nur schwer mit Grandezza verbinden. Und doch sehe ich schnell über diesen Makel hinweg. Denn Lugano hat immer noch genug Glamour, genug schöne Ecken, um ein Nordlicht ins Schwärmen zu bringen und die Frage aufzuwerfen: Warum bist du nicht hier geboren?
Auf halber Strecke nach Mailand
Natürlich ist die Altstadt mit ihren schmalen Gassen schrecklich aufgehübscht. Kein Haus ohne snobistische Boutique. Kein Platz ohne sündhaft teure Restaurants, wo die Portion Pasta mehr als ein Rumpsteak daheim kostet. Doch das stört mich nicht, an diesem Ort, wo man auf halber Strecke nach Mailand ist. Die Schuhabsätze der eleganten Signoras sind dünner, die engen Leopardenhosen der Signorinas häufiger, die handtaschengroßen Hunde an der Leine zahlreicher.
Luganos eleganter Salon
Von der Uferpromenade, gesäumt von uralten, Schatten spendenden Bäumen, hat man einen göttlichen Blick über das Häusermeer, den dunkelblau schimmernden See mit seinen fjordartigen Einbuchtungen und die Spalier stehenden Berge, die sich im späten Frühjahr sowie im Frühherbst mit Schneehaube präsentieren. Die Kirche Santa Maria degli Angioli, letzter Rest des im 15. Jahrhunderts erbauten Franziskanerklosters, ist wegen seiner Fresken ein Publikumsmagnet. Und in den Altstadtgassen sind noch immer zahlreiche Palazzi mit üppig verzierten Fassaden zu finden.
Die Piazza della Riforma, Luganos eleganter Salon mit schmucken bonbonfarbenen Bauten, soll der schönste Platz des Tessins seins. Ob er diese Auszeichnung verdient oder die Ehre doch eher der Piazza Grande in Locarno zusteht, weiß ich nicht. Einen perfekteren Logenplatz, um den stilvollen Aufmarsch von Reich und Schön zu verfolgen, gibt es jedenfalls nicht.
Vom Palace zum Kulturzentrum
Dass Neu und Alt durchaus harmonieren, zeigt sich am Kunst- und Kulturzentrum Arte e Cultura, mit dem sich Lugano mit den großen Schweizer Museen wie der Fondation Beyeler in Basel oder dem Paul-Klee-Zentrum in Bern messen möchte. Angesichts der vielen Beispiele für belanglose Nachkriegs-Architektur stelle ich mir schon die Frage, warum sich ausgerechnet an diesem 2015 eröffneten Prestigebau so viel Streit entzündet hat – zumal durch die eindrucksvolle Anbindung an ein modernes Museumsgebäude die Fassade des traditionsreichen Hotel Palace erhalten wurde.
Polierter Stein und reichlich Glas
Zwei Jahrzehnte lang dümpelte die Luxusherberge wie ein abgetakelter Ozeandampfer vor sich hin, schwer gezeichnet vom Wellenschlag der Geschichte. Vandalen hatten das Grandhotel heimgesucht, ein Feuer den Rest erledigt. Nur die beiden Atlasfiguren, die Europas Adel, neureiches Bürgertum und Hollywoods Jetset kommen und gehen sahen, bewahrten Haltung. Investoren bissen sich an dem geschichtsträchtigen Bau die Zähne aus. Mal liebäugelten sie mit Erhalt, mal mit Abriss, bevor sich die Idee eines neuen Kulturzentrums durchsetzte. Nicht jedem gefällt der Neubau mit seiner Hülle aus poliertem Stein und reichlich Glas, doch so blieb mindestens ein Rest der Hotelikone erhalten, wo Hermann Hesse Lesungen gab.
Mit Hesse um den Luganer See
Dem Literaturnobelpreisträger begegnen wir auf der Reise durch den Landstrich am Luganer See noch häufiger.
Die Tessiner Landschaft hat mich stets wie eine vorbestimmte Heimat oder doch wie ein ersehntes Asyl angezogen
schrieb der aus Calw stammende Schriftsteller. 1907 kam er erstmals ins Tessin, weilte zu einem Kuraufenthalt auf dem legendären Monte Verità, wo Weltverbesserer aller Art eine Gegenwelt zum urbanisierten, industrialisierten und technisierten Norden geschaffen hatten.
Ein Leben auf dem Goldhügel
Zwölf Jahre später siedelte Hesse nach einem Selbstmordversuch und heftigem Streit mit der Familie nach Montagnola über, auf den Colina d’oro, den Goldhügel. „Hier ist die Sonne intensiver und wärmer, die Berge sind röter, hier wachsen Kastanie, Trauben, Mandeln und Feigen“ pries der Wahl-Schweizer seine neue Heimat. Der blieb er bis zu seinem Tod 1962 treu. Die Einheimischen verpassten dem scheuen und nachdenklichen Neubürger mit dem Strohhut den Spitznamen „Il paciügon“, was soviel wie Wirrkopf oder Chaot bedeutet.
Verliebt in das südliche Tessin
Doch der arme Poet, der zudem malte und Aquarelle verkaufte, fügte sich schnell ein, in die Gesellschaft aus Menschen, die „gut, wohlerzogen und freundlich sind“. Er verliebte sich in die Landschaft am Luganer See mit ihren Hügeln und verschneiten Bergspitzen, in die von Pinien gesäumten Wege, in die bunten Wiesen und die Wälder voller Kastanienbäume – und in die einfachen Grotti, die kleinen Schankstuben, wo er dem Wein und der guten Küche der Hausfrau zusprach.
Seine Wohnung in der Casa Camuzzi hatte zwar weder Heizung, noch sonstige Annehmlichkeiten. Doch dafür bot die Sonnenterrasse einen unglaublichen schönen Blick über den Luganer See. Die wunderbare Landschaft war Balsam für die Seele des Getriebenen: Hier entstanden seine wichtigsten Werke wie „Klingsors letzter Sommer“ , „Narziss und Goldmund“, „Das Glasperlenspiel“ und Hesses meistgelesenes Werk „Siddhartha“.
Ein Museum für den “Steppenwolf”
Der Waldweg von seinem Wohnort Montagnola hinüber nach Lugano, den der ewige Wanderer so gerne ging, ist niemandem zu empfehlen. Die Strecke ist so grausig verbaut, dass man lieber den Postbus nimmt, wenn man das Hesse-Museum im Torre Camuzzi in unmittelbarer Nachbarschaft zur malerischen Casa Camuzzi besuchen möchte. Dort lernt man nicht nur Vieles über das Leben des Literaturnobelpreisträgers; dort erfährt man auch, wie viele Menschen der „Steppenwolf“ beeindruckt und beeinflusst hat: Udo Lindenberg beispielsweise hat sich mit einem gekritzelten Selbstporträt mit Hut und Sonnenbrille im Gästebuch verewigt.
Pittoreskes Dorf am Luganer See: Carona
Wer einen jener Ort kennenlernen möchte, die Hesse besonders geliebt hat, muss nach Carona, dem pittoresken Dorf am Fuße des Monte San Salvatore. Er lernte dieses 1000 Jahr alte Dorf mit seinen schmalen Gassen, der überdimensionierten Kirche und den hübschen Häusern gleich im ersten Sommer kennen. In dieser herben, unverfälschten Dorfschönheit in exponierter Lage traf er auf seine spätere Frau Ruth. Die beschrieb er ziemlich blumig: “Plötzlich stand die Königin der Gebirge da, schlanke, elastische Blüte, straff und federnd, ganz in Rot, brennende Flamme, Bildnis der Jugend.”
Labyrinthartige Gassen
Auch heute noch ist die Ankunft in Carona mit dem Postbus spektakulär. Die Straße führt durch jenen schmalen Torbogen nahe der Kirche San Giorgio, den Hesse literarisch verarbeitete:
… da war das Ziel, plötzlich, unverhofft: ein dunkler Torgang, ein große, hohe Kirche aus rotem Stein, froh und selbstbewusst in den Himmel hinan geschmettert, ein Platz voll Sonne, Staub und Frieden, rot verbrannter Rasen, der unterm Fuße bracht, Mittagslicht von grellen Wänden zurückgeworfen
schrieb der Dichter, der dem bezaubernden Waldkirchlein Madonna d’ Ongero mehr als einmal einen Besuch abstattete. Viel hat sich seit jener Zeit nicht verändert. Die schmalen Gassen sind so labyrinthartig, dass man sich schnell verlaufen kann. Die Häuser scheinen aus der Zeit gefallen, sehen noch immer aus wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich Carona einen Namen als Künstlerdorf machte.
Eine Wohlfühlinsel: die Villa Carona
Ob Hesse auch der Villa Carona einen Besuch abgestattet hat, wie wir während der Wanderung vom San Salvatore hinunter nach Morcote? Wir sind zufällig auf diese wunderbare Wohlfühlinsel gestoßen, auf diesen verwunschenen Garten, auf das kleine Restaurant unter einen blumigen Himmel aus lilafarbenen Glyzinien. In dem lauschigen Paradies findet wohl jeder sein Lieblingsplätzchen? Hier ein Tisch neben dem Fliederstrauch, dort eine Sonnenliege beim Kamelienbusch – so stellt man sich zweifelsohne italienisches Lebensgefühl vor, am besten versüßt mit einem Glas Prosecco. „Der Nachmittag ging hin wie im Paradies“: Nie passte Hermann Hesses Satz besser.
Mit Liebe restauriert
Das Drei-Sterne-Haus, das zu den historisch interessantesten Häusern Caronas zählt, ist ein typisches Tessiner Patrizierhaus. Um 1780 wurde es von einer reichen Mailänder Unternehmerfamilie als Sommerresidenz errichtet und diente fast 100 Jahre lang der Familie als Rückzugsort in den heißen Sommermonaten. Um 1850 wurde der Garten mit viel Liebe neugestaltet. Besitzerwechsel, Leerstand – all das erlebte die Villa Carona. 1951 zogen die ersten Hotelgäste ein, 50 Jahre spät übernahmen Cornelia und Jörg Deubner-Marty das kleine Paradies.
„Es war Lieb auf den ersten Blick“ erzählt der Hotelier, der sich mit unglaublich Herzblut und nicht weniger Sachverstand an die Sanierung der historischen Bausubstanz machte. Mit großem Aufwand wurden Deckenfresken freigelegt. Illusionistische Malerei an Decken und Wänden kam zum Vorschein, ebenso wie der schachbrettartig verlegte, rot-schwarze Plattenboden und die verspielten Blumenmotive im Frühstücksraum.
Jedes Zimmer ein Kleinod
Jedes Zimmer dieses Kleinodes verrät die sorgsame Handschrift der Betreiberfamilie, deren Ziel es ist, Altes zu bewahren und es behutsam um Neues zu ergänzen. Selbst die alten Badezimmer, die von einer anderen Zeit künden, hat das Paar wo immer möglich erhalten. Fernseher, gar einen Lift für Fußkranke sucht man in dem Patrizierhaus vergeblich. Warum auch, wenn sich vor den großen Fenstern Landschaftskino vom Feinsten abspielt.
Der “Zuckerhut” am Luganer See: der San Salvatore
Das beschauliche Carona, das einst berühmte Maler, Stuckateure und Meister der Steinmetzkunst beherbergte, die im Sommer in den norditalienischen Metropolen ihr Brot verdienten und sich während der Wintermonate der Ausschmückung ihrer Wohnhäuser widmeten, liegt an einem der schönsten Wanderwege hoch über dem Luganer See. Der zehn Kilometer lange Wanderung von Luganos Hausberg San Salvatore bis zum Postkartenidylll Morcote ist ein Klassiker, an dessen Ende ein steiler Abstieg über schier endlose Treppen steht.
Hinauf mit der Funicolare
Der Einstieg ist umso leichter. Die ersten 600 Höhenmeter von Luganos Nachbarstadt Paradiso zum Gipfel des San Salvatore auf über 900 Meter überwinden wir nämlich mit der Standseilbahn. Nur eine gute Viertelstunde dauert die Fahrt mit der Funicolare zu einem der schönsten Aussichtsberge des Tessins.
Entstanden aus einem prähistorischen Meer
Der Monte San Salvatore, von den Einheimischen liebevoll Zuckerhut genannt, ist ein besonderer Berg, geradezu legendär. Er entstand aus einem prähistorischen Meer in einer Umgebung, die dem heutigen Archipel der Bahamas sehr ähnlich war. Die Beweise für seinen maritimen Ursprung können im Museum der Gesteine, Mineralien und Fossilien besichtigt werden. Es ist in den Räumen des antiken Hospizes untergebracht, das einst Armen und Pilgern Obdach gewährte.
Tessiner Solitaire als Pilgerziel
Schon im 11. Jahrhundert pilgerten Gläubige zu dem Berggipfel. Auf ihm soll einer alten Legende zufolge der Sohn Gottes während seiner Himmelfahrt eine kurze Rast eingelegt haben. Mal abgesehen von dieser Mär, die großes Gottvertrauen verlangt: Gestern wie heute dürften sich die Menschen an dem unvergleichlichen 360-Grad-Panorama von diesem Tessiner Solitaire ergötzt haben. Der Blick schweift über ein Meer aus Drei- und Viertausendern, über das verästelte Blau des Luganer Sees und verliert sich im Dunst, der die Ebene der Lombardei verschluckt.
Man muss hier oben gestanden haben, um sich ein Bild von seiner ganzen Größe und Pracht zu machen, und dann wird man diesen Augenblick zu den schönsten und unvergesslichsten des Lebens zählen
beschrieb der deutsche Landschaftsphilosoph C.C. Lorenz Hirschfeld sein Gefühl angesichts des atemberaubenden Rundblicks. Wer dem kleinen Kirchlein aufs Dach steigt, wird seine Lobeshymne nachvollziehen können. Für mich, den begeisterten Eisenbahnbahn, ist eine Fahrt mit der Funicolare Pflicht. Die ist ein rechter Oldtimer, präsentiert sich aber kein bisschen antiquiert, sondern hochmodern in knallrotem Gewand.
Mitte des 19. Jahrhunderts gab es erste Überlegungen, Luganos Hausberg touristisch zu erschließen. Es war der unternehmungslustige Florentiner Stefano Siccoli, von dem die Idee einer Standseilbahn stammte. Nicht nur die: Der Pächter der bescheidenen Gastwirtschaft auf dem Gipfel ging gleich noch mit einer Fahrstraße sowie einem großen Hotel ins Rennen – Projekte, die sich allesamt als unrealisierbar herausstellten. Die zur Zeichnung aufgelegten Anteile zur Finanzierung entpuppten sich als Ladenhüter.
In 26 Minuten auf den Berg
Übrig blieb der Traum von einer Bahn von Lugano auf den San Salvatore. Im Juli 1888 begannen die Bauarbeiten, schon im März 1890 ging die Standseilbahn in Betrieb. 26 Minuten brauchten die ersten Züge, vier Schweizer Franken kostete die Hin-und Rückfahrt. Heute muss man 30 Schweizer Franken auf den Tisch legen, um Luganos Zuckerhut bequem zu erklimmen. Wie beliebt das Rauf und Runter mit dem Zügli ist, markierte der 24. August 2017. Damals wurde der 18 Millionste Passagier begrüßt.
Der Zauber des Monte Generoso
Luganos Hausberg sei die Seele der südlichen Schweiz, heißt es. Seine Ausnahmestellung verdankt der San Salvatore sicherlich seiner unvergleichlichen Lage. Doch in puncto Panorama hat er mächtig Konkurrenz. Noch schöner fand ich den Monte Generoso, obwohl der sich in dichtem Nebel- und Regengewand versteckte. Doch das stille Muggio-Tal zu seinen Füßen, mit winzigen Dörfern, die der Gegenwart entrückt zu sein scheinen, wurde nicht umsonst zur “schweizerischen Landschaft des Jahres” gewählt. Selbst schlechtes Wetter kann dieser Ecke nicht ihren Zauber rauben.
Die südlichste Ecke der Schweiz
Südlicher geht es nicht in der Schweiz. Und wer vom Monte Generoso zu Wanderungen ausschwärmt, weiß häufig nicht einmal, ob er mit beiden Beinen noch im Land der Eidgenossen steht oder mit einem bereits in Italien. Es ist, als würde der letzte Vorposten der Tessiner Alpen eine Brücke zwischen den Alpen und der Po-Ebene schlagen. Im Rücken türmen sich 80 Alpengipfel auf, nach vorne fallen schroffe Steilwände mehrere Hundert Meter senkrecht ab. Die Häuser von Melide gut 1 400 Meter tiefer ähneln bunten Bauklötzchen aus dem Spielzeugkasten.
Königliche Gäste nutzten die Bergbahn
Die Schweiz wäre nicht die Schweiz, wenn sie auch diesen Berggipfel nicht mit einer Bahn bestückt hätte. Schon 1890, rund 20 Jahre nach der Einweihung der Rigi-Bahn, nahm die Monte-Generoso-Bahn ihren Betrieb auf. Königin Margarethe von Savoyen, der spätere König von Italien, Vittorio Emanuele III, aber auch Normalsterbliche ließen sich per Dampfross hinaufkutschieren, wo sie ein gesundes Bergklima, ein hübsches Hotel namens Bellavista und eine einmalige Aussicht erwartete.
Migros-Lenker als Bahnretter
Richtig erfolgreich war die Schmalspur-Zahnradbahn zunächst nicht. Die Fahrgastzahlen blieben hinter den Erwartungen zurück. Mehrfach standen die jeweiligen Betreiber vor dem Ruin. In den 30er Jahren wollte der damalige Betreiber der neun Kilometer langen Strecke gar die Gleise abbauen, um sie der nach Metall lechzenden Kriegsindustrie zu verkaufen. Glücklicherweise sprang Unternehmer Gottlieb Duttweiler, Gründer des Migros-Konzerns, in die Bresche. Er kaufte die Zahnradbahn und erhielt sie so für künftige Generationen. Heute zuckeln die leuchtend blau-roten Waggons von April bis November in 40 Minuten vom Bahnhof Capolago hinauf auf den Monte Generoso.
Staunen über die Steinblume am Luganer See
Der ist nicht nur wegen der überwältigenden Aussicht und den Wanderwegen eine Tagestour wert. Seit 2017 thront auf dem Südtessiner Berg ein so außergewöhnliches Bauwerk, dass selbst im fernen Japan Architekturfans in Lobeshymnen ausbrechen. Nicht jedem Einheimischen gefällt die Fiore di pietra, die Steinblume auf schroff-felsigem Grund. Manchem Kritiker ist der spektakuläre Neubau mit seinen konkav gestalteten, sich dem Wind entgegenstemmenden Türmen zu expressiv. Andere sehnen sich nach alpenländischer Heimeligkeit auf diesem felsigen Bergplateau.
Bottas nüchterne Formensprache
Man muss die steinerne Blume nicht mögen, aber weltweite Aufmerksamkeit ist ihr sicher. Entworfen wurde das neue Wahrzeichen des Südtessins nämlich von dem Stararchitekten Mario Botta, dessen klare und nüchterne Formensprache zu seinem Markenzeichen geworden ist. Der Meister musste nicht lange gebeten werden, wuchs er doch zu Füßen des Monte Generoso auf. Für die Jugend der umliegenden Dörfer war es ein sportliches Kollektiv-Abenteuer, den Grenzberg in aller Frühe zu erklimmen. Und Botta war mittendrin, ließ sich bei schönem Wetter an der schier unendlichen Sicht und der Leichtigkeit dort oben berauschen.
Tessins neues Wahrzeichen
Wer seine Steinblume inmitten des geologisch und botanisch außergewöhnlichen Generoso-Gebiets besucht, staunt über seinen Mut, an der steil abfallenden Wand des Aussichtsberges ein sturmfestes Gebäude zu planen. Eines mit eckig gewölbten Blütenblättern, dessen Fassade aus glatt-poliertem und rauem Granit die von Wind und Wetter gezeichneten Felswände aufgreift. Das Monument erkunden, sich im Restaurant verwöhnen lassen und auf der Dachterrasse den 360-Grad-Rundblick genießen – das alles bietet die Gegenwart oben auf dem Grenzberg. Die Steinblume macht das Tessin um ein Wahrzeichen reicher.
Und zum Schluss noch einige weitere Impressionen vom Luganer See, aus Gandria, dem für mich schönsten Ort. Zu erreichen ist diese unverschämt romantische Ortschaft entweder mit dem Schiff oder zu Fuß, auf dem wunderbaren Olivenweg. Die Ausblicke sind einfach himmlisch:
Mein Dank gilt Ticino Tourismus, die mich zu dieser Reise eingeladen haben. Trotz dieser Unterstützung bin ich in meinem Urteil unabhängig. Sollte euch dieser Artikel gefallen haben, dann kommentiert fleißig und teilt ihn auf euren sozialen Netzwerken.
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