Das Robinsondasein beginnt mit viel Geschnatter. Wenn ich auch nur einen Augenblick die Hoffnung hatte, auf der Insel Hasselö im Schärengarten vor Västervik alleine zu sein, um den Ballast des Alltags, den Krach der Zivilisation hinter mir zu lassen, dann holt mich die fröhliche Weiberrunde schnell in die Gegenwart zurück.
Inhaltsverzeichnis
Schärentour mit der “MS Freden”
Die munter plappernden Ladies, allesamt nicht mehr ganz taufrisch, stürmen zielstrebig aufs Sonnendeck der MS „Freden“, die schon bessere Tage gesehen hat, und packen erst mal den Inhalt der mitgebrachten Picknick-Körbe aus: Lachshäppchen, Schampus und die in Schweden unvermeidlichen Köttbullar, die mit ordentlich Senfsoße ganz passabel schmecken.
Dabei gibt’s an dem kleinen Kiosk auf dem Unterdeck auch allerhand Ess- und Trinkbares. Doch was ein echter Schwede sein will, bringt seine Schätze lieber mit. Zumal der Schampus aus dem Systembolaget – jenem staatlichen Unternehmen, das ein Monopol auf Wein, Schnaps und Bier hat – ohnehin unbezahlbar wäre. Wenn es ihn auf der „MS Freden“ geben würde.
Warum ich Schweden so liebe
Schweden ist wie eine Sucht, eine Droge, von der der Infizierte nicht lassen kann, wenn er erst mal davon genascht hat.
- Das helle, klare Licht des Nordens, das Seen, Wälder und die bezaubernden Puppenstuben-Häuschen in kräftigen Tönen strahlen lässt;
- die Bäche in endloser Zahl, die sich ungebändigt und ungezähmt ihren Weg durch Felder, Wiesen und Wälder suchen;
- die rötlich-grauen Felsen, die während der Eiszeiten glatt wie ein Kinderpopo geschmirgelt wurden; der Kaventsmann von Elch, der zu früher, bereits tagheller Morgenstund‘ seelenruhig an der Hauptverkehrsstraße entlang trottet und Autofahrer in helle Aufregung versetzt. Ansonsten ist die Fahrt über wellige Asphaltbänder für mitteleuropäische Wagenlenker das reinste Vergnügen. Bei rund 20 Schweden pro Quadratkilometer ist es in dem skandinavischen Land nämlich ein Leichtes für Mensch und Tier, sich aus dem Wege zu gehen.
…wegen seiner Elchparks
Der Elchpark von Malila, Kristineberg, Telefon (0046) 70 6459077 hat uns besonders gut gefallen. Er hat von April bis Mai geöffnet. Familie Österberg mit ihren vier Kindern lebt mit vier Elchfamilien zusammen, neben Hirschen, Kaninchen, Ziegen und Hühnern. Damit du die Tiere von Nahem betrachten kannst, führt ein eingezäumter Weg durch die Elchgehege. Alle Besucher bekommen Futter für die Elche – und die haben praktisch immer Hunger. Der Eintritt für Erwachsene kostet 140 schwedische Kronen, für Kinder (drei bis zwölf Jahre) 60 schwedische Kronen.
Warum du Mittsommer nicht verpassen solltest
Eng – nach schwedischen, nicht nach deutschen Maßstäben – wird es in Küstenstädten und auf Schäreninseln nur, wenn Mittsommer naht, Dann wird es selbst um Mitternacht nicht richtig dunkel . Die Großstädter zieht es hinaus in diese heile Welt, deren Bilder von Unbeschwertheit und Unberührtheit sich dank zahlreicher Kinderfilme im kollektiven Gedächtnis eingebrannt haben.
Flinke Hände schmücken die Maibaumstange mit Kränzen. Weizenblonde Maiden stecken sich Blüten ins Haar. Musikanten geben Volksweisen und Trinklieder zum Besten. Kinder hüpfen mutig ins glasklare, aber noch immer kalte Wasser, Schwedens zweitwichtigstes Fest nach Weihnachten ist der Auftakt für lange Schulferien.
Die Schären: eine Welt für sich
Außerhalb der Hochsaison wirken die Schäreninseln wie der Welt entrückt. Manche dieser Eilande sind im Besitz von Flechten und Moosen; auf anderen wetteifern meterhohe Farne mit Wacholdersträuchern um die Vorherrschaft.
Zwischen zentnerschweren Findlingen recken sich gertenschlanke Birken in den Himmel, beugen sich elastisch dem auffrischenden Wind. Libellen, schillernd wie ein Regenbogen, tänzeln anmutig in der steifen Brise. Kraftstrotzende Kaltblüter grasen friedlich auf blumenübersäten Wiesen. Vorwitzige Fohlen traben übermütig durchs Terrain. Steinreich ist diese kleine schwedische Welt mit ihren putzigen Pippi-Langstrumpf-Häusern, die sich gemütlich zwischen mühsam von Menschenhand aufgeschichteten Steinmauern eingerichtet haben.
Unterwegs im Schärengarten von Västervik
Die wenigsten der blutroten Holzhäuser zwischen windgebeugten Tannen und Birken sind dauerhaft bewohnt. Fast alle werden nur als Sommerquartier genutzt; manche vermietet. Dann werden Kind und Kegel in die zuverlässigen Schärentaxis verladen, Lebensmittel gebunkert und Schwedens Fahne mit Stolz gehisst.
Manchmal gibt es in diesen Robinson-Heimen nicht mal fließend Wasser, schon gar keinen Strom. Herd und Kühlschrank werden mit Gas betrieben, der Holzstapel für den Kamin lagert um die Ecke. Das Plumpsklo befindet sich in erträglicher Entfernung. Die besten Fanggründe direkt vor der Haustüre gibt es als Zugabe. Spätestens nach zwei Tagen haben ängstliche Naturen alle Gedanken an Vorsichtsmaßnahmen über Bord geworfen: Die Haustüre abzuschließen, käme ohnehin keinem echten Insulaner in den Sinn.
Hasselö und Sladö: Idylle pur im Schärengarten
Hasselö und seine über eine fünf Meter lange Brücke zu erreichende Nachbarinsel Sladö sind Idylle pur. Kein Auto stört diese stille Szenerie, nur ein zum Cabriobus umfunktionierter Traktor tuckert mit der fröhlich schnatternden Weiberschar über den einzigen Kiesweg der Insel.
Ich könnte mir eines der knallgelben Fahrräder ausleihen, die am Fähranleger in Reih und Glied auf die Passagiere warten. Doch gutes Schuhwerk tut es auch: Sladö, dieses bezaubernde Naturreservat mit seinen urtümlichen Erdkellern, darf ohnehin nur zu Fuß erobert werden. Auf den blank gescheuerten Felsen, die sich an warmen Sommertagen angenehm aufheizen, läuft es sich ohnehin am besten barfuß.
Västervik: eine der schönsten Städte an Schwedens Ostküste
Västervik mit seinen gut 20 000 Einwohnern ist für schwedische Verhältnisse schon eine richtige Großstadt und eine quietschlebendige obendrein. Am Fiskaretorget, wo die Ausflugsboote und Schärentaxis ablegen, bieten Fischer geräucherten Aal und fangfrische Krabben an. Gleich um die Ecke, in der Hamngatan und der Fabriksgatan klicken die Fotoapparate – angesichts der vielen schönen Holzhäuser aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die kleine Cafés, Restaurant und Läden für Kunsthandwerk beherbergen.
Lysingbadet- mehr als ein Campingplatz
Besonders stolz ist die Schärenstadt, die sich gerne als „Perle der Ostsee“ bezeichnet, noch auf drei andere Dinge. Zum einen wuchsen Tennisspieler Stefan Edberg und Abba-Mitglied Björn Ulvaeus in ihren Mauern auf. Zum anderen fand die Camper-Bewegung hier eine Heimstatt.
„Lysingbadet“ wurde schon in den 30er-Jahren eröffnet. Die Anlage als schnöden Campingplatz zu bezeichnen – übrigens der größte ganz Schwedens – ist schon ziemlich verwegen. Viel eher ist die riesige Fünf-Sterne-Anlage ein Urlaubsparadies mit einer Unmenge von Aktivitäten: Golf und Minigolf, Angeln, Spazierwege, kinderfreundlicher Sand-Badestrand, Restaurants, Cafés, Pools mit Rutschen, Spielplatz und einen asiatischen Garten lassen keine Langeweile aufkommen. Und das alles zu recht moderaten Preisen.
Wer kein Zelt dabei hat, auch nicht mit dem Wohnmobil kommt, kann sich eine der gut ausgestatteten Hütten mieten, von deren Seeterrassen aus man den schönsten Blick auf die vorgelagerten Inseln hat.
Schwedens schönster Schärengarten
Für die Menschen in Västervik ist klar: Unser Schärengarten ist der schönste Schwedens. Was im ersten Moment ziemlich großspurig, ja prahlerisch klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als nachvollziehbare Einschätzung. Denn während die meisten der paar tausend Inselchen im Umkreis von Stockholm mit exklusiven Villen bestückt sind, kommen 300 Kilometer weiter südlich Robinson-Gefühle auf. Fast 5 000 Inseln und Felsen finden sich entlang des 70 Kilometer langen Küstenstreifens – manche nur einen Katzensprung voneinander entfernt, andere durch ein schmales Band Wasser getrennt.
Mit dem Segelboot von Schäre zu Schäre
Zwischen ihnen brodelt die Ostsee, faucht der Seewind, schippert ab und an ein Segelboot vorbei, das in dem aquatischen Labyrinth gute Seekarten braucht. Manche dieser glatt polierten Granit-Eilande gleichen gestrandeten Walen, andere sind nicht viel mehr als ein angenagter Felszahn im Wasser. Wer sich in ein Kajak zwängt, muss sich nicht wundern, wenn neben ihm plötzlich der grau-schwarze Kopf eines verspielten Seehundes auftaucht, der das seltsame Wesen neugierig mit seinen Kulleraugen mustert.
Hasselö, Ido oder Stora Grindö: Refugien im Meer
Wie mag es sich früher auf diesen fernen Refugien im Meer wohl gelebt haben? Ohne ständige Bootsverbindung zum Festland, ohne Strom, ohne Tante- Emma-Laden, ohne Handy, Twitter und Facebook? Vor allem aber ohne die schwimmenden Schärentaxis, die selbst im Winter die entlegensten Eilande ansteuern und die der Natur trotzenden Insulaner mit allem Notwendigen und Neuigkeiten vom Festland versorgen.
Wer auf Idö mit seinem alten Lotsenausguck, auf Stora Grindö mit seinen beschaulichen Bootshäusern oder auf irgendeiner anderen Schäreninsel überleben will, muss wohl aus besonderem Holz geschnitzt sein – wie die Fischer, die nach vorheriger Absprache hin und wieder Feriengäste mit auf große Fahrt nehmen. Mit Freude zeigen sie Landratten, wie Netze und Reusen ausgelegt werden, wie hart das Leben da draußen ist. Viel zappelt dieses Mal nicht in den Netzen, ein paar Plattfische, ein Dorsch und ein Seebarsch. Doch Aufgeben kommt für die Männer nicht in Frage.
Ab September, wenn die Ausflugsboote ihre Touren einstellen, sind die zwei Dutzend Insulaner wieder unter sich. Sie freuen sich über die goldgelben Farben des Birkenlaubs und die wenigen Urlauber, die sich von Sturm und Wellengang nicht abhalten lassen.
Richtig hart wird es erst in den Monaten danach
erzählt der Kapitän der „Freden“, der selbst auf Sladö Zuhause ist. Im Spätherbst und im Frühjahr sei die Eisdecke der Ostsee nicht dick genug, um mit dem Schneemobil nach Västervik zu kommen. Doch dafür ist die Hektik da draußen ganz weit weg.
Mit dem Schärentaxi kann man das ganze Jahr über hinaus in die Schären. Das ist vor allem für jene Inseln interessant, die nicht per Ausflugsboot angefahren werden. Es gibt sowohl reguläre Fahrten als auch die Möglichkeit, ganz nach eigenem Wunsch zu buchen. Fahrten müssen im Voraus bestellt werden.
Schweden ist mir zur zweiten Heimat geworden – entsprechend viele Beiträge gibt es auf meinem Blog. Einfach hier klicken. Und wenn dir dieser Beitrag gefallen hat, dann teile ihn doch über deine sozialen Netzwerken. Und ich freue mich natürlich über jeden Kommentar.
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