Per Postschiff durch die Südsee: Das Schiff “Aranui” ist die Lebensader der entlegenen Marquesas-Inseln. Regelmäßig fährt sie von Tahiti zu den Eilanden und ich hatte das große Glück dabei zu sein. Denn das kombinierte Fracht- und Passagierschiff vermittelt einzigartige Einblicke in das Leben der Menschen dieser abgelegenen Inselwelt im Pazifik.
Inhaltsverzeichnis
Die “Aranui”: Lebensader der Südsee
Brutus möchte ich ungern in einer dunklen Ecke begegnen. Der Mann mit dem Stiernacken hat einen Monsterbizeps wie ein Schwergewichtsboxer und Pranken wie Bratpfannen. Zu allem Überfluss ist der Mann von den Marquesas, die zu den entlegensten Inseln der Welt zählen, von Kopf bis Fuß tätowiert. Nicht etwa mit niedlichen Blümchen oder Liebesschwüren für die Herzensdame, sondern mit martialischen Mustern, die dem Betrachter das Blut in den Adern gefrieren lassen.
Doch der 100-Kilo-Koloss – verteilt auf stattliche 160 Zentimeter – ist lammfromm. Wenn der kleine Jean über die „Aranui“ turnt, wie ein Wirbelwind durch die Gänge des Schiffes fegt und das fröhliche Kindergeschrei jedes Motorengeräusch übertönt, füllt sich Brutus‘ strenger Blick mit unendlicher Herzenswärme.
Der kleine Franzose, jüngster Passagier des Südsee-Frachters, wird geherzt und gedrückt, kugelt sich vor Lachen angesichts der absurden Grimassen des tätowierten Gesichtes und wird schlussendlich Huckepack genommen. Ein beherzter Ritt von Bug zu Heck – fertig ist das Animationsprogramm auf der „Aranui“ durch die Besatzung.
Die “Aranui” auf dem Weg zu den Marquesas
Von Tahiti zu den Marquesas
Die schmucke Lady ist ja auch etwas Besonderes, eine Mischung aus Frachter und Passagierdampfer. Als die Compagnie Polysienne de Transport Maritime Ende der 70er-Jahre einen regelmäßigen Schiffsverkehr von Tahiti zu den gut 1500 Kilometer entfernten Marquesas-Inseln initiierte, ging es vor allem darum, die Bewohner des isolierten Archipels im Pazifischen Ozean mit dem Nötigsten zu versorgen.
Schon ein paar Jahre später wurde die „Aranui 1“ so umgerüstet, dass auch Passagiere Platz fanden. Allzu viel Komfort, gar Kreuzfahrtfeeling durften die mutigen Seebären nicht erwarten. Doch die einmaligen Landschaften der Inseln Hiva Oa, Tahuata oder Fatu Hiva, die Gastfreundschaft der Polynesier entschädigten für die Nächte im brütend-heißen Schlafsaal mit Jugendherbergscharakter.
Die Postschiffe der Südsee werden größer
Längst sind die Fahrten zu den Marquesas ein einträgliches Geschäft für die Compagnie geworden: Auf die „1“ folgte die „2“, später die „3“ und schließlich die „5“: Weil die Reedereifamilie chinesische Wurzeln hat und die Zahl vier in China für Unglück steht, gibt es keine Aranui mit der Kennung 4.
Die Aranui 5 hat Platz für 254 Passagiere
Der jüngste Neuzugang für die polynesische Variante eines Postschiffes kommt einem richtigen Kreuzfahrtschiff schon ziemlich nahe. Die 103 Kabinen für 254 Passagiere sind edel eingerichtet. Im Restaurant wird Haute Cuisine serviert, und in der Skybar fließt der Schampus in Strömen. Nur die Gemeinschaftsschlafräume für bis zu acht Personen sind eine Reminiszenz an die schwimmenden Vorgänger. Denn die Aranui wird vor allem wegen ihres Mangels an Cruise-Glamours von den meisten Passagieren verehrt. Und: Der lockere Dresscode gilt für Passagiere, als auch für das Servicepersonal.
Was das Postschiff der Südsee auszeichnet: am Heck komfortabler Passagierdampfer mit Außenpool, Boutique, Massageraum und Fitnesscenter; am Bug ein Frachter, unverzichtbare Lebensader für einen der exotischsten Flecken auf dem Globus.
Das nagelneue Kanu für Jeremié, das in Tahiti verladen wurde, würde wohl kaum seinen Weg zu seinem neuen Besitzer finden, wenn es die „Aranui“ nicht gäbe. In den Katakomben des Frachters stapeln sich sehnsüchtig erwartete Elektrogeräte, tonnenweise Lebensmittel und unverzichtbares Baumaterial. Selbst ein kleines Schiff, eindeutig betagteren Alters, hat auf dem Vordeck Platz gefunden, gleich neben den sonor brummenden Kühlcontainern mit Speiseeis, Bierkisten und Fertigmahlzeiten.
Auf der “Aranui” sitzt jeder Handgriff
Ähnlich der minutiös geplanten Choreografie einer Ballettvorführung wuseln marquesanische Matrosen mit mächtigen Muskelpaketen umher. Jeder Handgriff sitzt, jeder Millimeter Platz wird ausgenutzt, schließlich warten die abgelegenen Inseln händeringend auf den Nachschub aus Tahiti, auf jene Dinge, die man zum Leben so braucht: Autos, Tiefkühlhähnchen und englische Butterkekse, Schulbücher für die Kleinsten und Kondome für die Familienplanung.
Während Kranführer Brutus die letzten Paletten an Bord hievt, machen es sich die Passagiere schon auf dem Sonnendeck bequem: mit einem Rum Punch, der in den folgenden zwei Wochen zum unverzichtbaren Begleiter bei atemberaubenden Sonnenuntergängen werden wird.
3500 Kilometer liegen vor der “Aranui”
Fast 3 500 Kilometer wird die „Aranui“ in diesem paradiesischen Nirgendwo aus azurblauem Himmel, türkisfarbenem Wasser und schneeweißen Schäfchenwolken zurücklegen, mit Passagieren, die dem magischen Lockruf der Südsee erlegen sind. Das wohlhabende Rentnerehepaar aus Deutschland, die Flitterwöchner aus Frankreich, die Aussteiger auf Weltreise, die die Überfahrt im Schlafsaal gebucht haben- für alle sind die einsamsten Eilande Französisch-Polynesiens Terra incognita.
Das 126 Meter lange Kombischiff ist Nabelschnur und Lebensader zugleich. Alle zwei Wochen startet der Versorgungsdampfer zu einem neuen Törn, wirft Anker vor den stecknadelkopfgroßen Atollen der Tuamotos -schneeweiße Sehnsuchtsziele inmitten eines changierenden Farbenspiels-, bevor er Kurs auf die wildromantischen Marquesas setzt. Dort wird die Ankunft der Aranui sehnsüchtig erwartet, weil das Schiff auf seiner Reise zurück Kopra, Zitrusfrüchte, Fisch sowie Fässer voll Noni-Saft mitnimmt.
Die Marquesas: Inseln im endlosen Nichts
Zivilisationsflüchtlinge verirren sich nur höchst selten an diesen mythischen Ort, für den die Bezeichnung „am Ende der Welt“ mal nicht abgedroschen klingt. Fast 15 000 Kilometer von Deutschland entfernt liegen die zwölf exotischen Eilande der Marquesas im endlosen Nichts des einsamsten Seegebiets der Welt.
Über 4 000 Kilometer sind es bis Hawaii, 7 000 Kilometer hinüber nach Südamerika, und selbst Neuseeland liegt fünf Flugstunden entfernt. Kein Containerschiff kreuzt den Weg der „Aranui“, kein abenteuerlich gestimmter Weltumsegler, noch nicht einmal ein Luxusliner ist hier unterwegs. In dieser Wasserwüste bleiben ein paar verspielte Delfindamen und ihr Alphamännchen unsere einzigen Begleiter.
Die Marquesas haben nur wenig mit dem gängigen Bild der Südsee gemein. Es sind keine flachen Atolle mit breiten Sandstränden, hier ragen über und über mit Dschungel bedeckte steile Berge in den Himmel; bizarr geformt und schon von weitem sichtbar. Die wild gezackten Bergspitzen inmitten der tobenden Brandung des Ozeans sind die Überbleibsel vorzeitlicher Vulkane. Sie wirken auf den Betrachter, als wären sie gerade vom brodelnden Erdinnern ausgespuckt worden.
Die Marquesas: Vulkankinder, statt Südsee-Klischee
In dieser rauen, fast abweisend wirkenden Welt gibt es keine Korallen, keine Lagunen, keine puderzuckerweißen Strände. Stattdessen gibt es meeresumtoste Steilküste, totale Abgeschiedenheit und Natur im Überfluss.
Ziegen stolzieren mit traumwandlerischer Sicherheit über den steinigen Untergrund. Frei lebende Pferde, klein von Wuchs, machen sich über das Grün her. Der Saft des immergrünen Noni-Baums, der überall in den fruchtbaren Tälern zu finden ist, gilt als wahres Wunder-Heilmittel bei allerlei Gebrechen. Mormonen seien gar überzeugt, dass der Trunk ein biblisches Alter garantiere, erzählt Bernard, der kahlköpfige Cruise-Direktor aus dem Elsass. Und fügt hinzu:
Der Saft schmeckt so scheußlich, dass keiner freiwillig 100 Jahre alt werden möchte.
Geheimnisvolle Kultorte auf den Marquesas
Einst lebten bis zu 100 000 Menschen auf dem Archipel der Maquesas. Über ihre Kultur ist nur wenig bekannt. Sicher ist: Die Inselbewohner waren nicht gerade barmherzig, sondern reichlich blutrünstig.
In die geheimnisumwitterten Ruinen der alten Kultstätte Kamuihei auf Nuku Hiva hatte lange keine Menschenseele einen Fuß gesetzt, bis Archäologen auf die schwarzen Basaltblöcke in dem verwunschenen Tal stießen. Bewacht wird es von Tikis, steinernen Götterfiguren mit Glupschaugen und Stummelbeinchen. Was die Forscher im Wurzelwerk eines uralten Banyanbaumes fanden, ließ ihnen den Atem stocken: jede Menge Schädel und Gebeine. Kannibalismus war in dem Inselreich bis ins 19. Jahrhundert gang und gäbe.
Menschenfressende Insulaner?
Zuletzt gingen die Geschichten menschenfressender Südseeinsulaner zu Zeiten Herman Melvilles um die Welt. Dieser war 1842 nach seiner Desertion als Walfänger auf Nuku Hiva gestrandet und von Ureinwohnern gefangen gehalten worden. Dass er nur mit Mühe den Menschenfressern entkam, entsprang wohl der Fantasie des Autors. Der letzte Fall von Kannibalismus auf den Marquesas wurde offiziell in den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts dokumentiert. In den weit verbreiteten Erdöfen brutzelt wie seit Urzeiten Fleischiges – mit dem Unterschied, dass es heute schmackhafte Ziegen und Schweine sind und nicht geopferte Menschen.
Der Niedergang der Marquesas begann mit der Ankunft des britischen Entdeckers James Cook und seiner Flotte. Im Gepäck: die drei großen Geißeln der europäischen Gesellschaft. Der tödliche Mix aus Alkohol, Waffen und Krankheiten raffte die meisten Insulaner dahin.
100 Jahre später war die Bevölkerungszahl auf den Inseln auf knapp 2000 geschrumpft. Heute sind weder Krankheiten, noch Morde, noch Kriege schuld daran, dass die Marquesas so dünn besiedelt sind. Wer in dem Südseeparadies geboren wird, sich nicht mit der Endlosschleife aus Müßiggang und Arbeitslosigkeit abfinden will, wandert aus. Nach Tahiti, oder am besten gleich nach Frankreich.
Paul Gauguin: ein “Wilder unter Wilden”
Einer, der aus Frankreich floh, weil er als „Wilder unter Wilden“ leben wollte, war der Maler Paul Gauguin. Als er zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Hiva Oa kam, war er bereits von den Folgen der Syphilis gezeichnet. Das hielt ihn nicht davon ab, junge, sehr junge Mädchen in seinem „Haus der Freuden“ zu empfangen, das er mit Hilfe der Einheimischen aus Holz, Schilfmatten und geflochtenem Stroh gebaut hatte.
Ein himmlischer Ort für die letzte Ruhe
Als der Maler starb, ließ der Bischof die Lasterhölle niederbrennen. Das Museum, in dem lediglich Kopien seiner Werke zu sehen sind, wurde sehr viel später gebaut. Seine letzte Ruhe fand der begnadete Impressionist, dessen Gemälde viel zum Bild der Südsee beigetragen haben, auf dem pittoresken Friedhof hoch über dem Meer, neben dem Grab Jacques Brels. Der Platz gesäumt von Palmen, deren Wedel sich sacht in der sanften Ozeanbrise bewegen, hätte den beiden Künstlern gefallen.
Zwei Wochen Müßiggang auf der “Aranui”
Viel zu schnell plätschern die Tage dahin, im Gleichklang aus beschaulichem Bordleben, aufschlussreichen Exkursionen und herzlichen Begegnungen mit den Einheimischen.
Deren ungekünstelte Heiterkeit überträgt sich auf jeden. Fast scheint es, als bringe die „Aranui“ die große, weite Welt zu diesem gottverlassenen Außenposten; als hätten dessen Bewohner nur darauf gewartet, endlich mal wieder ein großes, buntes Fest zu feiern. Blumenkränze aus betörend duftenden Tiaré-Blüten wechseln den Besitzer, junge Mädchen wiegen sich verführerisch in den Hüften, was sittenstrenge Missionare einst um den Verstand brachte und zum jahrhundertelangen Verbot der Tänze führte. Männer mit Tattoos am Arm und einer Kette aus Wildschweinhauern um den Hals werfen sich in Furcht einflößende Posen, so wie es einst die Altvorderen vor ihren Kriegszügen getan haben.
Die Crew der “Aranui” leistet Schwerstarbeit
Währenddessen muss die Crew Schwerstarbeit leisten, nicht nur beim Abladen der Güter, sondern schon zuvor beim Ankern – weil die Häfen kaum Platz für den Pott bieten.
In der Hauptstadt Taiohae auf der Insel Nuku Hiva, in deren Rücken die mit Palmen, Brotfruchtbäumen und wildem Hibiskus überwucherten Berge wie ein Amphitheater aufsteigen, braucht es wagemutige Matrosen in heftig schaukelnden Booten, um armdicke Stahltrosse in der schlundförmigen „Hafeneinfahrt“ zu befestigen. Während die aufgehende Sonne dicke Strahlenbündel durch den Morgendunst schickt, dreht sich das Schiff im Zeitlupentempo um seine eigene Achse, sehr zur Freude der Frühaufsteher und ihrer Kameras.
Noch mehr vor die Linse gibt es auf Ua Huka, wo die Brandung ungestüm gegen steil abfallende Klippen donnert und sich die Wellen weiße Schaumkronen aufgesetzt haben.
Das schafft der nie
unkt ein altkluger Möchtegern-Matrose angesichts der schmalen Bucht von Vaipaee, die wie ein Fjord in die unbezwingbare Felsbastion hineinragt. Doch erneut läuft das frühmorgendliche Wendemanöver ohne Schrammen ab.
Abschied von den Marquesas
Nach etlichen Tagen in dieser verwunschenen Welt heißt es Abschied nehmen, von wolkenumflorten Bergspitzen, fruchtbaren Tälern, wo sich scharlachrot blühenden Flamboyant-Bäume fast provokativ in Szene setzen, von strahlenden Kinderaugen und wilden Kerlen, die laut grunzend den Schweinetanz aufführen.
All die Südsee-Schönheiten mit ihrem hüftlangen, tiefschwarzen Haarschmuck brennen sich ins Gedächtnis ein, ebenso wie die Essenstafeln für die Passagiere der Aranui, zu denen jeder Insulaner das beste Geschirr seines Heimes beigesteuert hat.
Die “Aranui”: zurück in Papeete
Die bizarren Berggipfel von Ua Pou, die an kunstvoll gemeißelte Obelisken erinnern, baden im gleißenden Licht der tief stehenden Nachmittagssonne. Fregattvögel mit ihrem leuchtend roten Kehlsack kreisen über den umtosten Klippen. Mit jeder Meile verblasst die spektakuläre Kulisse aus Zacken und Zinnen etwas mehr, bis sie endgültig und unwiederbringlich vom Horizont verschwindet. Noch einmal stimmt die Bord-Band polynesische Lieder an, die von schönen Mädchen, unglücklicher Liebe und brennendem Heimweh künden. In wenigen Tagen wird die „Aranui“ zurück in Papeete sein, bereit für den nächsten Trip zu den entlegensten Inseln der Welt.
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Eine äußerst interessante Reise.
Dass man diese “Welt” der wilden Kerle, die laut grunzend den Schweinetanz vorführen mit dem Postschiff erkunden kann, ist mir ganz neu.
Vielen Dank für deinen tollen und bereichernden Bericht.
Liebe Grüße Clarissa
Liebe Clarissa, nun das Postschiff wird auch jedes Jahr größer. Und damit kommen auch mehr Touristen mit. Aber der Grundgedanke, die Menschen auf den Marquesas mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen, ist geblieben.
Hallo Roswitha,
möchte schon länger auf die Aranui, aber mangels Reisegefährtinnen hab ichs sein lassen. Jetzt werd ich 60 und mein Mann mag auch nicht.
Also pack ichs allein.
Schlafsaal? Es gibt auch 4er…. Ists dort wirklich soooo heiss?
lg
Hermine aus Bayern
Hallo Hermine,
Heiß empfindet natürlich jeder Mensch unterschiedlich. Für mich wäre der Schlafsaal nichts. Aber diese Frage stellt sich für dich ja nicht. Hast du dir mal überlegt, eine Reisebegleitubg zu suchen. Es gibt ja im Internet etliche Gruppen für eine solche suche. Ich kann dir die Reise nur empfehlen. Es war eine der schönsten Touren deines Lebens, weil die Inseln einfach paradiesisch sind und man dank des Schiffes ganz eng mit den Menschen in Kontakt kommt.ich wünsche dir jedenfalls viel Spaß.