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    Categories: Reisen

Verantwortungsvoll Bloggen bleibt oft ein frommer Wunsch

Reisejournalisten, Blogger, Influencer: Nichte gerade eine homogene Gruppe, und doch haben sie eines gemein – sie wollen Lust auf die schönen Orte dieses Planeten machen, Leser und Zuschauer informieren, im günstigsten Fall ihr Publikum sensibilisieren, weil Tourismus eben nicht nur ein für viele Länder wichtiger Wirtschaftszweig ist, sondern auch einen Eingriff darstellt – in die Umwelt und das Leben der Einheimischen.

Meine Bloggerkollegin Andrea von Indigo-Blau hat kürzlich die Frage gestellt, ob verantwortungsvolles Bloggen überhaupt geht. Sie hat über ihre Bauchschmerzen geschrieben, weil sie für ein Buchprojekt über Orte schreiben sollte, die eigentlich Wildnis bleiben müssten.

Was die Lust am Reisen mindert

Bauchschmerzen habe ich schon lange, nicht erst seit gestern. Ich bin schon ziemlich lang im Geschäft: Seit über zwei Jahrzehnten als Leiterin einer Reiseredaktion, seit einigen Jahren als Bloggerin, weil mir die 9000 Anschläge einer Titelseite einfach nicht mehr ausreichten, um einer Destination auch nur halbwegs gerecht zu werden.

Ich habe in dieser langen Zeit unendlich viele Geschichten gelesen, über Orte oder Landstriche, von denen ich zuvor nicht einmal den Namen kannte – wie beispielsweise die autonome Republik Tuwa im Süden Sibiriens. Ich habe Geschichten von Ländern angeboten bekommen, die – sagen wir es einmal freundlich – eher in die Gattung Diktatur fallen. Ich habe mich für Texte über ferne Gestaden begeistert, die zwar schön anzusehen, aber für die meisten Leser unerreichbar sind – weil schon der Flug ein halbes Monatseinkommen kostet.

Auch solch malerische Ecken gibt es noch auf der Welt. Man muss sie nur finden.

Tourismus: Fluch und Segen

Bauchweh, gar schlechtes Gewissen? Das hat sich erst im Lauf der Jahre eingestellt; erst zögerlich, in den vergangenen Jahren vermehrt, weil auch der unverbesserlichste Weltenbummler nicht übersehen kann, dass Tourismus heute mindestens so sehr Fluch, wie Segen ist. In 60 Jahren Tourismus hat der reichere Teile der Welt es geschafft, selbst die geheimsten Orte des Planeten zu erobern. Weiße Flecken auf der Landkarte – wo soll es die denn noch geben? Geheimtipps? Können ja nicht so geheim sein, wenn es Menschen gibt, die ihre Schönheit in Wort und Bild fassen.

Pauschalreise statt Abenteuer

Jules Vernes Reise in 80 Tagen um die Welt – ein unvorstellbares Unterfangen im Jahr 1873, als der Roman erschien – ließe sich doch heute in einem Bruchteil der Zeit erledigen. Ein Round the World-Ticket gibt es doch schon für wenig Geld, und herausfordernd ist allenfalls die Frage, in welche Richtung der Käufer die Welt umkreisen möchte.

Ob ein solches Abhaken von Zielen überhaupt sinnvoll ist, ob man einer Destination überhaupt gerecht wird, wenn nach drei Tagen schon die nächste folgt – darüber machen sich eben viele keine Gedanken. Wir sind schnell dabei, Chinesen zu verurteilen, die „Europe in eight Days“ propagieren, die nach Neuschwanstein und Rothenburg ob der Tauber nach Paris düsen und anschließend London erkunden. Aber wenn ich Reiseangebote namens „Kanada intensiv“ entdecke, die in 13 Tage Toronto, Quebec, die Niagara-Wasserfälle, die Nationalparks im Westen, das Okanagan Valley und noch ein bisschen Abenteuer im Yukon reinpacken, frage ich mich, wo da die Unterschiede liegen.

Um Städte wie Barcelona mit Millionen Touristen mache ich schon lange einen Bogen.

Reisen war und ist ein Statussymbol

Reisen ist ein Statussymbol wie der PS-starke Schlitten vor der Haustüre oder die eigenen vier Wände. Machen wir uns da mal nichts vor! Bruce Chatwin, der binnen sechs Monaten 5000 Kilometer zu Fuß durch Patagonien zurücklegte und seinen Kindheitsträume verwirklichte, mag ein Abenteurer gewesen sein. Die Mehrzahl, die heute auf Reisen geht, ist es nicht.

Ich meine damit nicht nur jene, die Abenteuer als Pauschale buchen: eine Wandertour zu den Vulkanen Kamtschatkas, natürlich mit Koch; eine Tour zu den Kopfjägern Borneos mit eingeschlossener Übernachtung im traditionellen Langhaus oder – um die Perversion rund zu machen – eine exklusive Golfreise über fünf Kontinente im privaten Jet im Gegenwert eines ziemlich gehobenen Mittelklassewagens.

Der betreuenden Agentur, die wegen Berichterstattung über dieses „außergewöhnliche Angebot“ anfragte, habe ich eine geharnischte Absage erteilt – und ziemliches Unverständnis geerntet. Bei anderen Zielen sind wir Journalisten, Blogger, Influencer weniger zimperlich. Mit all den Geschichten über paradiesische Malediven-Eilande, die ich angeboten bekomme, könnte ich meine privaten Wände pflastern. Tauchen auf Fidschi? Auch dafür gibt es einen Markt. Trekking durch Neuseeland? Wird gut gebucht.

Die Ökologie? Lange kein Thema bei Reiseblogs

Wer hat sich denn vor einigen Jahren überhaupt einen Gedanken über seinen ökologischen Fußabdruck gemacht. Sich für die Auswirkungen des Fliegens für die Atmosphäre unseres Planeten interessiert? Im Gegenteil. Dank Ryanair & Co. könnten jetzt endlich auch „normale Menschen“ reisen, ließ mich kürzlich ein Bloggerkollege wissen, der sich vehement für das Recht auf billige Flugreisen einsetzte. Mir greift diese Argumentation zu kurz, weil die „billigen“ Preise nämlich Resultat von ziemlich ausbeuterischem Geschäftsgebaren sind und auf Kosten der Umwelt gehen.

Ich sitze im Glashaus

Mir ist klar: Ich sitze im Glashaus, weil auch mein eigenes Verhalten keineswegs frei von jeder Schuld ist. Ich reise, seit ich denken kann; es ist mein größtes Hobby, und ich schwimme auch nicht nach Australien. Aber den viertägigen Kurztrip übers Wochenende mit dem Flieger – den verkneife ich mir. In Europa bin ich nur noch mit Bahn und Fähre unterwegs (und ich habe entgegen des landläufigen Bahn-Bashings bislang jede Zugfahrt überlebt). Zum Wohle der Gesundheit habe ich Wandern und Radfahren als wunderbares Fortbewegungsmittel entdeckt. Ich kompensiere jeden Flug, was mir nicht selten hämische Kommentare einbringt und fahre meinen Fleischkonsum runter. Auf das Schnitzel kann ich nämlich verzichten, aufs Reisen nicht.

Instagram: die Fake-Welt

Muss ich jedes unvergessliche Erlebnis in die Welt hinausposaunen? Muss ich nicht. Ich bin ohnehin kein Instagram-Girl, das sich in neckischer Pose, am besten im String-Tanga vor einem balinesischen Himmelstor präsentiert. Das würde – wäre ich im passenden Alter und mit entsprechenden körperlichen Vorzügen gesegnet – ohnehin meinem Bild von einer emanzipierten Frau widersprechen. Aber in Zeiten von GNTM sind solch altmodischen Vorstellungen, besser durch Geist, denn durch Kurven zu überzeugen, wohl überholt.

Ich spreche auch nicht von jenen lebensmüden Selfie-Maniacs, die gefährlich nahe am Abgrund des Felsvorsprungs Trolltunga in Norwegen herumturnen. Auch nicht von jenen Fotokünstlern, die einen graubraunen Alpensee in ein karibisches Smaragdgrün hüllen- das unterscheidet sich in nichts von den Fake-News einiger Twitter- und Facebook-Nutzer.

Instagram-Star: Das Gasthaus “Äscher” im Appenzeller Land.

Wort, Bild und Ton beeinflussen die Reisecommunity

Ich rede von all denen, die sich offenbar wenig bewusst sind, wie sehr Wort, Bild und Ton die Reisecommunity beeinflussen. Selbst Medien, denen ich lautere Absichten unterstelle, lösen mit Veröffentlichungen gelegentlich einen Hype aus, den sie nicht wollen können. Beispiel: National Geographic. Das älteste und berühmteste Natur- und Wissensmagazin der Welt machte ein uriges Schweizer Berggasthaus mit einem einzigen Bild über Nacht zum Star.

Seitdem ist es mit der Ruhe im „Äscher“ vorbei, das abenteuerlich-kühn an einer steilen Felswand klebt, mitten im Appenzeller Land, wo die Welt auf den ersten Blick noch so heil wie in den Büchern von Johanna Spyri erscheint.

Ja, auch früher sind Wanderer im „Äscher“ eingekehrt zu den allseits gerühmten Rösti und einem kühlen Bier. Zuvor bewältigten sie den schweißtreibenden Aufstieg über 850 Höhenmeter, was den Strom der Besucher ganz automatisch eindämmte.

Das Magazin-Cover, für das übrigens die störenden Drahtseile der Ebenalpbahn wegretuschiert wurden, sowie ein paar Tausend Bilder auf Instagram treiben ein neues Klientel nach oben: Asiaten mit Selfiestick, Europäerinnen mit High Heels, Amerikaner mit teurer Fotoausrüstung. Statt gewandert wird gegondelt, und mehr als ein Foto für die eigenen sozialen Netzwerke muss es auch nicht sein.

Jeder Reisebeitrag ist Werbung-positiv oder negativ

Es ist ein schmaler Grat. Hier der Wunsch, Menschen zu informieren und sie auf schöne, vielleicht weniger bekannte Ecken aufmerksam zu machen. Dort die Gefahr, ein Stück weit den Overtourism zu befeuern. Vor etlichen Jahren habe ich eine Reisegeschichte zum Lahntal geschrieben, nichts Weltbewegendes über einen Landstrich, der kein touristischer Hotspot war. Tage später rief die Chefin des dortigen Tourismusamtes bei mir an und bedankte sich für den Artikel: Die Verleihstationen der Kanus hätten sich vor Anfragen nicht retten können. Schön für die Unternehmen, weniger gut für den Fluss und seine Ufer.

Das Reisen wird zum Dauerzustand

Verantwortungsvolle Autoren wissen, dass Overtourism immer mehr Regionen und Städten zu schaffen macht. Denn die schönsten Wochen des Jahres sind halt keine einmalige Sache, sondern Dauerzustand. Wir nutzen das Wochenende für den Autoausflug mit Übernachtung, fliegen mit dem Kegelverein für vier Tage nach Malle, starten zum Roadtrip durch Südafrika, suchen im Winter die Pisten von Ischgl heim, um mit Corona im Gepäck nach Hause zu fahren. Vor 30 Jahren haben allein schon die Flugpreise mein Reisefieber gedämpft. Wenn ich die Besuchermassen an einigen besonders schönen Orten betrachte, scheint dieses Zurück zu gerechter Preisgestaltung auch die einzige Möglichkeit zu sein, um diese Ecken zu retten.

Die Einheimischen nicht aus dem Blick verlieren

Corona hat Orten wie Venedig oder Dubrovnik eine Verschnaufpause verschafft. Aber wie lange wird sie anhalten? Zwei Monate, eine ganze Saison, vielleicht ein Jahr? Wer über diese Orte schreibt, darf sich nicht nur mit den schönen Seiten begnügen. Er muss auch zeigen, was es für die Einheimischen bedeutet, von den Touristenströmen an den Rand gedrängt zu werden. Oder machen wir uns mit jenem ziemlich angesäuselten Mallorca-Fan gemein, der folgendes zum Besten gab: Die Mallorquiner müssten sich halt überlegen, wo sie leben.

Wunderschön, aber hoffnungslos überlaufen: die Tempel von Angkor.

Nicht über jeden Ort bloggen

Ich habe mich notgedrungen von einigen Orten verabschiedet, die mir einst als Paradies erschienen: Von Angkor, aus dem ich bei meinem zweiten Besuch buchstäblich geflohen bin, weil die Horden gedankenloser Touristen dem Ort seine Würde rauben. Von meinen geliebten europäischen Metropolen, wo es längst keine Nebensaison mehr gibt. Von all jenen „Places to be“, die irgendein Zeitgenosse zu solchen gekürt hat.

Ja, es gibt sie die verwunschenen, die malerischen, die idyllischen Ecken. Alleine bin ich auch dort nicht, aber zumindest habe ich nicht halb Deutschland im Schlepptau. Damit das so bleibt, damit mein Lieblingsplatz auch nächstes Jahr noch ein kleines Paradies auf Erden ist, behalte ich seinen Namen für mich.

Roswitha:
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