Wieder eine winterliche Flusskreuzfahrt: Nachdem wir vor einigen Jahren in der Adventszeit auf der Seine unterwegs waren, von Paris nach Rouen, buchten wie dieses Mal eine Rheinkreuzfahrt – von Köln nach Rotterdam und nach Amsterdam. Was Rotterdam so besonders macht, kannst du hier nachlesen.
Inhaltsverzeichnis
Aufbruch zur Rheinkreuzfahrt
Das Wetter ist uns nicht wohlgesonnen. Der Himmel über Köln ist wolkenverhangen, der Nieselregen und der Wind, der die Temperaturen um den Gefrierpunkt noch kälter wirken lässt, treiben uns ins nächste Café.
Nicht gerade die besten Voraussetzungen für eine winterliche Rheinkreuzfahrt. Doch der Blick in die WetterApp macht Hoffnung: Es soll zwar kalt bleiben, doch schon am morgigen Tag soll die Sonne über Rotterdam scheinen. Und einen Tag später, in Amsterdam, soll es noch sonniger werden.
Roadtrip auf dem Wasser
Eine Flusskreuzfahrt ist wie ein Roadtrip, nur dass ich mich nicht hinter das Lenkrad quetschen muss, sondern gemütlich über den Rhein geschippert werde. Das Einchecken auf der 135 Meter langen A-Rosa Brava, die gegenüber dem Kölner Dom vor Anker liegt, ist in wenigen Minuten erledigt. Das Verstauen des Kofferinhalts dauert kaum länger.
Der Abstecher auf das Sonnendeck, wo sich an schönen Tagen die Passagiere tummeln, fällt allerdings ungewollt kurz aus. Der Fahrtwind peitscht mir heftig ins Gesicht, die Kälte frisst sich in alle Glieder. Nur schnell an die Bar, wo mir eher nach Glühwein, denn nach einem Aperol Spritz der Sinn steht.
Rheinabwärts in die Niederlande
Mit gemütlichen 25 Stundenkilometern schippert das 2010/2011 gebaute Flusskreuzfahrtschiff rheinabwärts. Städte und Dörfer gleiten an den Panoramafenstern vorbei. Riesige Industrieanlagen, beleuchtet wie ein Christbaum, werfen glitzernde Lichtbänder auf den Rhein. Alle paar Kilometer tauchen Brücken aus der Dunkelheit auf.
Die Grenze zu den Niederlanden passiert das A-Rosa-Schiff irgendwann in der Nacht. Doch zu diesem Zeitpunkt hat mich das Plätschern und Gurgeln auf der anderen Seite der Bordwand längst in den Schlaf gewiegt.
Erste Station der Rheinkreuzfahrt: Rotterdam
Punkt neun Uhr, nach rund 300 Kilometer Fahrt, legt die A-Rosa Brava nahe der Willemsbrug an. Der Volksmund verpasste ihr einst den Namen “Golden Gate von Rotterdam”, wegen der roten Farbe und dem Umstand, dass sie viele Jahre die letzte Querung vor der Nordsee war.
Ein anderes Bauwerk hat der 356 Meter langen Schrägseilbrücke über die Nieuwe Maas, einen 24 Kilometer langen Wasserarm im Rheindelta, den Rang abgelaufen: die Erasmusbrücke mit ihrer kühnen Architektur.
Rotterdam: die moderne Metropole
Die letzte Nord-Süd-Verbindung vor dem Rotterdamer Hafen und der Nordsee, nach sechs Jahren Planungs- und Bauzeit 1996 durch Königin Beatrix eröffnet, hängt an einem 139 Meter hohen Pylon. Wegen ihrer asymmetrischen Form bekam sie den Kosenamen „der Schwan“ verpasst.
Mich erinnert der 6.800 Tonnen schwere Koloss, nachts pompös beleuchtet, eher an eine Harfe. Eine Harfe, die einen ziemlich praktischen Zweck erfüllt. Denn in das Wahrzeichen der Hafenstadt ist eine Klappbrücke integriert – die größte und zugleich schwerste ihrer Art in Westeuropa. Sie öffnet sich wie von Zauberhand, wenn größere Schiffe in den Hafen gelangen wollen.
Rotterdam: das Architekturmekka
Wer über die Erasmusbrücke zur Halbinsel Kop von Zuid spaziert, merkt schnell: Die Hafenstadt ist keine holländische Bilderbuchschönheit, kein romantisches Kleinod mit dekorativen Giebelhäusern, verwinkelten Gassen und unendlich vielen Grachten, die die Grenze zwischen Land und Meer verschwimmen lassen.
Hoch gestapelt hat die zweitgrößte Stadt der Niederlande schon immer, vor allem mit Containern, die sich im Hafen, dem größten Europas, millionenfach stapeln. Heute strebt Amsterdams kleine Schwester architektonisch in die Höhe.
Rotterdam ist eine Stadt im Wandel, ein Versuchslabor der Städteplaner und Baukünstler. Deren Vision von der City der Zukunft nimmt an der Nieuwe Maas Gestalt annimmt.
„Manhattan an der Maas“ lautet der Werbeslogan für die 660.000-Einwohnerstadt – ein reichlich überspitzter Marketinggag: Verglichen mit dem Herz von New York ist in Rotterdam noch viel Luft nach oben.
Rotterdam: im Krieg zerstört
Es war der 14. Mai 1940, als 90 deutsche Mittelstreckenbomber die gesamte Altstadt innerhalb weniger Minuten in Schutt und Asche legten. Nur die spätgotische Laurenskerk überstand schwer beschädigt das Inferno.
An die Katastrophe erinnert eine monumentale Skulptur des russischen Bildhauers Ossip Zadkine im Zentrum von Rotterdam. „Die verwüstete Stadt“ heißt die 6,50 Meter hohe Bronzeplastik unweit des Schifffahrtsmuseums, das einen Mann ohne Herz darstellt – Symbol für das unwiederbringlich verloren gegangene Herz der Hansestadt.
Statt das alte Rotterdam nach Originalplänen wiederaufzubauen, entschieden sich Behörden und Architekten konsequent für die Moderne. Es war ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Die 1953 eröffnete Fußgängerzone Lijnbaan mit ihren niedrigen Häusern war Euopas erste moderne Einkaufsmeile ohne Autoverkehr, eine Outdoor-Shopping-Mall, wo sich heute die üblichen Verdächtigen aus Mode- und Fast-Food-Branche tummeln.
Rotterdam: die Kubushäuser
Ziemlich am Ende der Einkaufsmeile, die 2010 zum Nationaldenkmal gekürt wurde, findet sich das wohl bekannteste architektonische Aushängeschild der City: die Kubushäuser des niederländischen Architekten Piet Blom.
Mit ihrem Anstrich in kräftigem Sonnengelb kämpft der kultige Gebäudekomplex beim alten Hafen gegen die Tristesse eines grauen Wintertages an. Eigentlich schwebte dem Architekten ein Wohnviertel in Form verspielter Baumhäuser vor. Doch dann kippte der Niederländer die Würfel auf die Spitze, setzte sie auf Betonsäulen und fügte sie zu einem Häuserwald zusammen.
Seit 1984 reiht sich das unkonventionelle Wohnprojekt an der Straße Overblaak auf, wo Duftschwaden von ranzigem Fett in der Luft liegen. In den Läden der kleinen Passage haben sich nämlich neben Waxing- und Manikürstudios Dönerläden und Frittenbuden angesiedelt.
Leben in den Kubushäusern
Rund 100 Quadratmeter Wohnfläche, verteilt auf drei Stockwerke gibt es in den Würfelhäusern, die mit ihrer anarchischen Erscheinung die Planer normierter Reihenhäuser vor den Kopf stoßen. Eintönig dürfte der Alltag in den Cube Houses keinesfalls sein, denn wegen der vielen Schrägen kommen 0815-Schrankwände für die Möbilierung nicht in Frage.
Große Menschen stoßen sich schnell den Kopf, gerade in der obersten Ecke des Würfels, einer lichtdurchfluteten Pyramide, die ein wenig an das Cockpit eines Raumschiffs erinnert.
Ein Kubus als Museum
Weil immer wieder Touristen durch die schrägen Fenster ins Innere der privaten Refugien schielten, wurde nachträglich eine Wohnung in ein Museum umgewandelt. Für ein paar Euro dürfen Besucher die engen steilen Treppen hochklettern, sich in offener Küche sowie Wohnzimmer umsehen und darüber sinnieren, wie die Bewohner es wohl schaffen, größere Einkäufe problemlos nach oben zu schaffen.
Manchem ist spätestens jetzt klar: Wohnen im Experiment kann ziemlich anstrengend sein.
Rotterdam: die Markthalle
In unmittelbarer Nachbarschaft der putzigen Kubushäuser steht eine weitere Ikone der Moderne: die 2014 eröffnete, hufeisenförmige Markthal. Sie ist ein Mix aus Frischemarkt hinter Glas und zentrumsnahem Wohnen.
In gewisser Weise ähnelt der Gebäudekomplex, zu dessen Eröffnung Königin Maxima kam, den prunkvollen Einkaufspassagen und Bahnhofshallen aus Glas und Stahl, die im 19. Jahrhundert überall in Europa aus dem Boden schossen.
Die Parallelität resultiert nicht allein aus der 40 Meter hohen Bogenkonstruktion. Das Architekturbüro MVRDV, das auch den Pavillon der Niederlande bei der Expo 2000 in Hannover entwarf, wollte bewusst Wohnen, Arbeiten, Handel, Essen und Shoppen an einem Ort konzentrieren. Während die Städte im 19. Jahrhundert in die Fläche wucherten, ist bei der City der Zukunft nach Ansicht der Planer nun Verdichtung angesagt.
Ein Gewölbe als Leinwand
Wer auf das mächtige Gewölbe blickt, stolze 11.000 Quadratmeter groß, schaut auf ein Füllhorn des Überflusses. Die Decke bot viel Platz für die beiden Künstler Arno Coenen und Iris Roskam, um sich mit Farbe und Formen auszutoben.
Riesentrauben reifen dort neben Monsterzitronen, Avocado-Giganten und Zuckerschoten-Kolosse gesellen sich zu Kirchturm und Hafenkran. Gedruckt wurde das alles auf 4500 perforierte Aluminiumplatten. Anschließend wurden die Platten wie ein Riesenpuzzle zusammengesetzt und ans Gewölbe der Einkaufs-Kathedrale geschraubt.
Entworfen wurde das alles am Computer, wobei die beiden Künstler auf die Technik der Pixar Animation Studios in Kalifornien zurückgriffen. Die haben sich mit Kassenknüllern wie “Toy Story” oder “Findet Nero” einen Namen gemacht haben. Das Ergebnis ist einfach überwältigend.
Shoppen und Speisen in der Markthalle
Unten ergießt sich ein Füllhorn echter Waren in Körbe und Einkaufstüten. Händler bieten Käse feil, wahlweise mit Blauschimmel und Nüssen verfeinert. Ein paar Stände weiter gibt es Wurstspezialitäten, Bio-Hühner und Leckereien aus der Backstube.
Einheimische lassen sich hier zur Mittagszeit ein Matjesbrötchen oder ein Garnellenpfännchen schmecken. Touristen greifen bei den unvermeidlichen Poffertjes zu.
Wirklich gemütlich, gar romantisch geht es in diesem Fresstempel der Überflussgesellschaft nicht zu. Dafür sorgt schon das ewige Kommen und Gehen, das Stimmengewirr, die Duftwolken aus Schmortöpfen und Grillpfannen. Ich mag es kaum sagen: Der Triumphbogen der zukunftsweisenden Markthalle spannt sich über einen simplen Foodcourt mit Burger-Bratern, Falafel-Buden und Wok-Küchen.
Wohnen in der Markthal
Was wohl die Mieter und Eigentümer über das wilde Treiben zu ihren Füßen denken? 228 Wohnungen, zwischen 80 und 300 Quadratmeter groß, verstecken sich in dem Hufeisen mit den Glasfronten an den Stirnseiten. Die werden übrigens bei Sturm etliche Zentimeter nach innen gedrückt.
Das teuerste Heim in Rotterdams Markthal war den neuen Eigentümern 5.500 Euro pro Quadratmeter wert. Doch auch für 2.500 Euro war etwas zu bekommen – ein echtes Schnäppchen im Vergleich zu den astronomischen Preisen im nur 70 Kilometer entfernten Amsterdam.
Da nimmt der stolze Besitzer gern ein paar Einschränkungen in Kauf. Die Wände sind gekrümmt und die Fenster zur Markthalle lassen sich nicht öffnen – schließlich soll nicht versehentlich ein Blumentopf auf die Besucher fallen.
Rotterdam: Neuland für Visionen
Weil die Nieuwe Maas zu seicht für die riesigen Containerschiffe ist und die alten Hafenbecken zu klein sind, ist der Hafen, Rotterdams wirtschaftliche Lebensader, Richtung Nordsee hinab gezogen. Zurück blieben Tausende Hektar Industriebrache – die ideale Spielwiese für kreative Visionäre.
Wo Seeleute aus aller Welt einst ihre Heuer versoffen und Hafenarbeiter aus dem Kleine-Leute-Viertel Feyenoord jeden Morgen zum Löschen und Laden anrückten, wachsen jetzt bis zu 50 Stockwerke hohe Wohntürme in den Himmel.
Stararchitekten wie Renzo Piano oder Rem Kohlhaas haben dem Quartier rund um den Wilhelmina-Pier neues Leben eingehaucht. Heute gilt Rotterdam als Mekka für Architekturfans.
Von Rem Kohlhaas stammt das Riesenbauwerk namens „De Rotterdam“, dessen leicht versetzte Türme an einen Stapel hochkant gestellter Bauklötze erinnern. Wäre es nach dem Willen der Koryphäe der Architekturszene gegangen, hätten die sechs „Einzelklötzchen“ unterschiedliche Fassaden bekommen, um die mannigfaltigen Funktionen dieser „vertikalen Stadt“ zu betonen. Am Ende entschied man sich für einen einheitlichen Look aus Metall und viel Glas.
Rotterdam: Geschichte erleben
Zwischen all den Wolkenkratzern, die sich auf der schmalen Landzunge in den Himmel recken, wirkt das Hotel „New York“ wie ein aus der Zeit gefallenes Relikt.
Der trutzige Art-deco-Backsteinbau mit den beiden Ecktürmchen ist nicht einfach nur eine Vier-Sterne-Herberge; er ist eine Rotterdamer Institution, dessen Mauern Geschichte erzählen.
Einst beherbergte das Haus die Verwaltung der traditionsreichen Holland-Amerika-Linie, deren Passagierdampfer Glückssuchende über den Atlantik brachten. Fast eine Million Auswanderer starteten von hier aus ihre Reise in eine ungewisse Zukunft in der neuen Welt.
Hotel mit vielen historischen Elementen
Viele nahmen Abschied für immer, oft tränenreich, was dem Wilhelminapier den Beinamen „Taschentuchpier“ einbrachte – wegen der vielen Taschentücher, die beim Ablegen der Auswandererschiffe im Wind flatterten.
Vor einigen Jahren kaufte eine Designerin das historische Haus und gestaltete es in ein Hotel um. Der Umbau erfolgte so umsichtig, dass viele Elemente wie die hölzerne Drehtür, das schmiedeeiserne Treppenhaus oder die bleiverglasten Fenster erhalten blieben. Selbst die freie Sicht auf den Fluss existiert noch.
Die “Rotterdam” vor der Halbinsel Katendrecht
1971 stellte die Reederei den Liniendienst nach Nordamerika ein. Flugzeuge hatten den Ozeanriesen den Rang abgelaufen. Die 228 Meter lange „Rotterdam“, die ab 1959 zwischen Le Havre und New York pendelte und auf der selbst Kronprinzessin Beatrix Seeluft schnupperte, hatte ausgedient.
Um ein Haar wäre der alte Dampfer verschrottet worden. Doch heute liegt er sicher vertäut als Museumsschiff vor der Halbinsel Katendrecht. Ein Teil des ehemaligen Kreuzfahrtschiffes wird als Hotel genutzt. Dort fühlen sich Gäste wie in einer Zeitkapsel der 1960er Jahre.