Einmal den Tierreichtum des Etosha-Nationalparkes sehen. Auf die Dünen im Sossusvlei klettern und auf dem Hosenboden runterrutschen. Im noblen Hotel Hansa in Swakopmund unter Kronleuchtern speisen: Namibia hat mich schon immer zum Träumen verführt und stand neben Tansania ganz weit oben bei meinen Reisewünschen.
Die endlose Weite, das – nicht immer gute – deutsche Erbe, die Vielfalt unterschiedlicher Stämme mit ihren höchst lebendigen Kulturen – all das wollten wir sehen. Wie immer am Ende einer solchen Reise, die in der Hauptstadt Windhoek begann und auch dort endete, blieb eine Erkenntnis: Ein „normaler“ Urlaub reicht einfach nicht aus, um dieses Land auch nur in Ansätzen zu verstehen.
Inhaltsverzeichnis
Ein Namibier mit deutschen Vorfahren als Begleiter
Ernst, der gebürtige Namibier mit deutschen Vorfahren, hält viel von Pünktlichkeit. Das werden wir in den folgenden beiden Wochen ein ums andere Mal erleben. Während wir noch mit den Einreiseformalitäten beschäftigt sind, gibt er bereits Anweisungen – dem Fahrer unseres Busses, den „Boys“, die am Flughafen Hosea Kutako auf Kundschaft warten, den Ladys, die kalte Getränke an den Mann bringen wollen.
Der Mann hat eine herrische Ader, was uns Reisenden schnell klar wird. Damit können wir leben, schließlich wollen wir möglichst viel in der kurzen Zeit sehen und nicht Stunden mit dem ziemlich chaotischen Verladen des Gepäcks verbringen.
Rassistische Untertöne
Was uns säuerlich aufstoßen wird, weil es mit jedem Kilometer auf Namibias Straßen offensichtlicher wird: Ernst scheint jenen Zeiten nachzutrauern, als im Süden Afrikas die weißen Herren das Sagen hatten und Schwarze und Farbige zu Befehlsempfängern degradiert wurden. Am Anfang sind es nur ein paar süffisante Bemerkungen über die lasche Arbeitsmoral seiner „Mitbürger“. Doch die Annahme, dass alle Deutschen ähnlich über Afrikaner denken, scheint die Zunge zu locker. Die rassistischen Untertöne des Herrenmenschen sind jedenfalls nicht zu überhören, weshalb wir die Kontakte außerhalb des Busses auf das Nötigste beschränken.
Windhoek: die Unscheinbare
Liegt es nun am langen Flug, an der brütenden Hitze, die uns wie ein Dampfhammer trifft, oder dem Mangel an Liebreiz: Namibias Hauptstadt Windhoek gräbt sich nicht in unser Gedächtnis ein.
Eine Reaktion, die ziemlich selten ist, denn entweder bin ich hin und weg von einer Stadt oder so ernüchtert, dass sie als abschreckendes Beispiel für die Auswüchse von Zivilisation in meinen Gehirngängen abgespeichert wird. Windhoek fällt weder unter die erste, noch unter die zweite Kategorie.
Die paar Sehenswürdigkeiten wie die ziemlich hübsche Christus-Kirche, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut wurde, oder die Alte Feste sind schnell abgehakt. Doch die „feine Verschmelzung von europäischer und afrikanischer Kultur“, von der der Reiseführer so überschwänglich schwärmt, können wir nicht entdecken. Ein paar hübsche Straßencafés, ein paar Biergärten reichen halt nicht aus, um eine Stadt liebenswert zu machen.
Aufbruch Richtung Namib
So fällt es uns nicht schwer, Abschied zu nehmen von der auf 1.700 Meter gelegenen Hauptstadt. Die Straße ist erstaunlich gut, die Landschaft unverschämt grün und so hügelig, dass fast heimatliche Gefühle aufkommen.
Riesige Farmen erstrecken sich rechts und links der Fahrbahn; Zäune reichen bis zum Horizont. Gelegentlich weisen Schilder auf private Resorts mit Tieren hin. Später macht das Grün der Hügel dem Rotbraun der Ebene Platz; aus Flachland wird felsige Topographie mit rundgeschmirgelten Kuppen, an denen sich eine Handvoll Büsche und Gestrüpp festklammert. Geteerte Straßen gehen über in Schotterpisten, über die der Bus mit einem Affentempo holpert. Unendliche Weite, menschenleere Mondlandschaft – wir sind im echten Namibia angekommen.
Impressionen aus der Dünenlandschaft Sossusvlei
Die Dünenlandschaft Sossusvlei
Unser Ziel ist das Sossusvlei, jene einzigartige Dünenlandschaft in der Mitte des Namib-Naukluft-Nationalparkes an der Westküste Namibias. Die orange schimmernden Dünen prägen eines der größten Schutzgebiete ganz Afrikas. Vereinzelt ziehen Antilopen durch die unwirtlich wirkende Szenerie. Hie und da kämpft sich Savannengras durch den Sand.
Der Tsauchab-Fluss ist verschwunden
Vor Jahrmillionen bahnte sich hier der Tsauchab-Fluss seinen Weg zum Atlantik; er fraß sich bis zu 30 Meter in die Tiefe, schuf Canyons, wo Siedler früher ihr Wasser schöpften. Doch vielerorts ist er längst versandet. Zurück blieben das Sossusvlei und das Dead Vlei, ausgetrocknete Tonpfannen, die im gleißenden Licht der Sonne wie Bernstein schimmern und mit den abgestorbenen Akazienbäumen ein wunderbares Fotomotiv abgeben. Sie starben wahrscheinlich schon vor mehreren hundert Jahren und wurden dank der Trockenheit zu Baummumien.
Nationalpark öffnet mit dem Sonnenaufgang
Ernst macht uns klar: Nur der frühe Vogel fängt den Wurm. Es ist noch gar nicht richtig hell, als ein halbes Dutzend mehr oder weniger ausgeschlafener Menschlein in den Bus klettert. Weil die Gatter des Nationalparks mit Sonnenaufgang öffnen, die Straße stolze 65 Kilometer lang ist und es bereits am späten Vormittag unerträglich heiß werden soll, lohnt sich das frühe Aufstehen – zumal es dann noch angenehm kühl ist. Doch offenbar beherzigt so ziemlich jeder Namibia-Tourist diesen Ratschlag, denn alleine ist man nie in der Sossusvlei. Schon gar nicht, wenn man es sich in den Kopf gesetzt hat, eine der Dünen zu besteigen.
Die “Düne 7” heißt “Big Daddy”
Wie ein riesiger Sandhaufen sieht „meine“ Düne unbekannten Namens aus. Höhentechnisch gesehen stellt der monströse Maulwurfshügel keine Herausforderung für Gipfelstürmer dar; kein Vergleich zur „Düne 7“, der die Einheimischen wegen ihrer stolzen 380 Meter Höhe ehrfurchtsvoll den Namen „Big Daddy“ verliehen haben.
Doch mir ist schnell klar: ein Spaziergang dürfte der Marsch auf den schillernden Sandberg nicht werden. Es ist noch nicht einmal Mittag und die Sonne brennt erbarmungslos auf die Lehmsenke herab. Ich fühle mich ziemlich rammdösig. Selbst die erfrischende Brise, die normalerweise von der nur 50 Kilometer entfernten Küste herüberweht, wo der kalte Benguelastrom für Nordseetemperaturen sorgt, scheint vor dem gleißenden Himmelskörper zu kapitulieren.
Barfuß geht es auf die Düne
Doch bange machen gilt nicht. Ich reihe mich entschlossen ein in jene Menschenschlange, die im Trippelschritt die Düne zu erklimmen versucht– denn die so massig wirkende Kuppe entwickelt ein ziemlich fließendes Innenleben. Nach wenigen Metern fühlen sich die ultraleichten Trekkingschuhe wie kiloschwere Klumpen an, die eigenen Fußstapfen ähneln – dank Rutscheffekts – Dinosaurierspuren. Da hilft nur eins: raus aus Schuhen und Strümpfen und barfuß auf das Sandungetüm.
Oben angekommen sind die Strapazen fast vergessen: die japsende Pumpe, die Ströme von Schweiß, der Schmirgeleffekt des Sandes auf der Haut. Vom Gipfel schweift der Blick über das erstarrte Wellenmuster der Namib bis zum Horizont, wo sich die älteste Wüste der Welt in eleganten Bögen und Schleifen verliert. Das schier endlose Dünenmeer scheint unverrückbar und wird doch ständig neu erschaffen, mit dem Wind als zuverlässigem Baumeister.
Verloren in der Namib
Welch ein Glück, dass Ernst erst nach dem Abstieg die Geschichte des jungen Paares zum Besten gibt, das sich bei der Dünenbesteigung verirrte und unfreiwillig eine Nacht in der Wüste verbringen musste – bevor Namibische Retter die verirrten Spaziergänger mittels Hubschrauber auflasen.
Namibias berühmteste Wüste ist kitschig schön
Das Sandmeer der Namib, das sich über 2.000 Kilometer vom Oranjefluss bis zur Grenze von Angola erstreckt und bis zu 160 Kilometer ins Landesinnere reicht, brennt sich auch ohne solche Horrorgeschichten im Gedächtnis fest. Wenn die aufgehende Sonne die Berge im Osten in Rosa- und Rottöne taucht und die Nebelschwaden vertreibt, ist Namibias berühmteste Wüste fast schon kitschig schön. Ziegelrot, ockergelb oder golden leuchten die Dünen, kontrastiert von beigen Büscheln trockenen Buschmanngrases und dem wolkenlosen Azurblau des Himmels.
Unablässig formt der Wind sein Werk
Wie klare, unverrückbare Linien sind die Grate in die Landschaft gemeißelt, und doch kündet das ständige Wegrutschen, das lautlose Verwehen alter Spuren von der Zerbrechlichkeit dieser hügeligen Landschaft. Unablässig tut der Wind sein Werk, fegt Jahrmillionen alte Sandpartikel hinweg, um sie ein paar Meter weiter wie ein spielendes Kind anzuhäufen. Abgestorbene Kameldornbäume spielen Schattentheater, Nara-Sträucher mit ihren dornenbewehrten Früchten erinnern an Stacheldraht.
Junge Springböcke vollführen Freudenhopser, Oryxantilopen schlagen Haken, Strauße recken neugierig ihre langen Hälse. Manchmal, wenn die Wolken über dem Khomas Hochland platzen und reißende Bäche durch die trockenen Flussbette rauschen, mutieren die Senken am Fuß der Sandberge zu Seen, weil die Dünen des Sossusvlei eine unüberwindbare Barriere darstellen.
Swakopmund und sein deutsches Erbe
Läge Swakopmund nicht am gleichnamigen Fluss, wahrscheinlich hätte die Namib schon längst die hübsche Kleinstadt am Atlantik verschluckt. Sie wirkt wie ein surreales Relikt jener Zeit, als sich das deutsche Kaiserreich als Kolonialmacht wähnte und unbedingt einen Hafen für Deutsch-Südwestafrika brauchte. Walvis Bay wäre den kaiserlichen Gesandten lieber gewesen, doch da hatten sich schon die Briten eingenistet. Und Lüderitz im Süden war viel zu weit weg. So fiel die Wahl auf Swakopmund, das besser zu den Briten gepasst hätte. Die Stadt hüllt sich so oft in Küstennebel, dass man sich fast wie auf der Insel fühlt.
Deutsche Spuren im Stadtbild
Nur 22 Jahre dauerte die deutsche Herrschaft, und doch hat diese kurze Epoche weitaus tiefere Spuren im Stadtbild hinterlassen als die nachfolgende Epoche der Südafrikaner, unter deren Einfluss Namibia sieben Jahrzehnte lang stand. Missionare und Kaufleute, Abenteurer und Glücksritter gingen einst am eisernen Landungssteg von Bord, zu dessen Füßen neugierige Robben heute fangen spielen.
Im Supermarkt werden Platten von Heino und Hansi Hinterseer neben Biltong, luftgetrocknetem Wildfleisch, feilgeboten; ein paar Ecken weiter wirbt der Männergesangverein 1902 für seine jüngste CD mit dem schönen Namen „Heia Safari“. In Peters Antiquitätenladen türmen sich Kochbücher aus der Kaiserzeit – mit Rezepten für geschmorte Puffotter – neben alten Schnitzereien von Namibias vielen Volksstämmen. Etwas versteckt, aber ohne Probleme aufzufinden: Relikte des Tausendjährigen Reiches,
Jugendstil wie auf Rügen und Usedom
Am deutlichsten ist der deutsche Einfluss bei der Architektur des munteren Küstenortes abzulesen: Dutzende alter Jugendstil- und Fachwerkfassaden, die auch auf Rügen oder Usedom stehen könnten, reihen sich im historischen Zentrum auf. Der alte Bahnhof, das Amtsgericht, das Hohenzollernhaus im Stil des Neobarocks – all das scheint direkt aus Deutschland importiert worden zu sein, ebenso wie die Straßenschilder.
Selbst die Restaurants und Kneipen sind deutsch angehaucht. Wem Eisbein mit Sauerkraut dann doch zu deftig ist – auch wenn es im urigen „Brauhaus“ in Begleitung von nach deutschem Reinheitsgebot gebrautem schäumenden Gerstensaft auf den Tisch kommt –, weicht aufs historische Hansa Hotel aus, wo Kellner mit weißen Handschuhen Wildspezialitäten wie Springbock, Oryx und Kudu unter schweren Kristallleuchtern servieren. 1905 erbaut galt es lange als das beste Haus Namibias. Wer historische Atmosphäre sucht, ist hier genau richtig.
Ausgangspunkt für Landrover-Touren
Heute ist die Stadt aus der Kaiserzeit vor allem ein idealer Ausgangspunkt für Landrover-Touren in die angrenzende Wüste. Dort können sich Adrenalin-Junkies beim Sandboarding auf den Dünen verausgaben. Oder es geht zur gefürchteten Skelettküste im Norden, wo die Spanten gestrandeter Schiffe wie die Rippen ausgestorbener Dinosaurier aus dem Sand herausragen.
Solitaire: bekannt für seinen Apfelkuchen
Mit solchen Vergnügungen kann „Solitaire“ an der Kreuzung zweier Hauptstraßen nicht punkten. Eigentlich ist die winzige Siedlung in der Nähe des Wendekreises des Steinbocks eher eine Tankstelle mit angeschlossenem Motel, Tante Emma-Laden und dekorativ im Sand vor sich hinrostenden Autowracks.
Doch das Wüstennest im Nirgendwo, dessen zwei Dutzend Dörfler sich auf den riesigen umliegenden Viehfarmen verlieren, hat einen Ruf wie Donnerhall. Den verdankt es einem einzigen Mann, genauer seinen Backkünsten. Kein Reiseführer, der Moose McGregors Apfelkuchen nicht in den höchsten Tönen lobte, kein Reisebus, der nicht in „Solitaire“ Station machte, um dem kauzigen Original beim Mürbeteigkneten und Äpfelschnippeln zuzusehen. Wenn er besonders gut drauf war, stand er im Schottenrock im Laden.
Die Bäckerei lebt weiter
Als der Chef der Desert Bakery 2014 völlig überraschend 2014 starb, fürchtete schon mancher Dorfbewohner um das kleine Wirtschaftswunder Solitaires. Doch das Original, das nahe der Bakery begraben wurde, hat vorgesorgt. Heute werden die Brownies und zuckersüßen Hildabrötchen, das duftende Farmbrot und vor allem der weltberühmte Apfelkuchen von jungen Schwarzen gebacken, die bei Moose in die Lehre gingen.
Namibia in Kürze
Die Anreise
Airnamibia fliegt direkt von Frankfurt nach Windhoek. South African Airlines bietet Umsteigeverbindungen über Johannesburg an. Für den Flug muss man mit etwa 800 Euro rechnen,
Die Weiterreise
Wer Namibia auf eigene Faust entdecken möchte, kommt um einen Mietwagen nicht herum. Allerdings muss man zu vielen Sehenswürdigkeiten Kies- oder Salzpisten in Kauf nehmen. Auf einigen Pisten wie beispielsweise ins unwirtliche Kaokoveld im Nordwesten ist ein Allradfahrzeug unverzichtbar. Für einen Kleinwagen sind etwa 45 bis 65 Euro pro Tag fällig, ein Geländewagen kostet mindestens 100 Euro.
Das Klima
Trockenes Klima. Im Inland fällt der meiste Niederschlag in den Monaten November bis April. Januar und Februar sind sehr heiß, mit Tagestemperaturen über 40 Grad.
Die Bevölkerungszahl
Rund 2,3 Millionen. Mit 2,8 Einwohner pro Quadratkilometer ist Namibia relativ dünn besiedelt.
Das war der erste Teil meiner Reiseerinnerungen an Namibia. Wenn du wissen möchtest, wie es weiter geht, einfach wieder vorbei schauen. Im nächsten Beitrag geht es in den Etosha-Nationalpark – ein Schutzgebiet, fast so groß wie das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern.
[…] sie als militärischer Vorposten der Kaiserlichen Kolonialverwaltung gedacht war, so hat mich die Sossusvlei umso mehr begeistert. Die roten Sanddünen haben sich fest in mein Gedächtnis […]