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Katmai: Paradies für Bären

See in Alaska nit Wasserflugeug

Einen perfekteren Ort, um Bären in freier Natur zu beobachten, gibt es nicht: An den Brooks Falls im US-Nationalpark Katmai stellen sich während der Lachssaison nicht nur einige wenige Tiere ein, sondern ganze Rudel: massige Einzelgänger, aber auch Mütter mit ihren Jungtieren, die das Jagen lernen müssen. Gut 2000 Braunbären soll es in dieser Ecke Alaskas geben, und weil die Fische bei ihrer aufregenden Wanderung zu den einstigen Laichgründen irgendwann über den kleinen Wasserfall springen müssen, brauchen sich die Petze an dem reich gedeckten Tisch nur zu bedienen. Einen Lachs nach dem anderen angeln die geschickten Räuber aus dem fischreichen Fluss, und oft genüg müssen sie nur das Maul öffnen, um einen der springenden Happen zu erwischen: Ein wahres Festmahl für die zotteligen Gesellen und ein Augenschmaus für all jene Zweibeiner, die das Glück haben, ihnen dabei zuzusehen.

Wasserflugzeuge zählen zu den wichtigsten Verkehrsmitteln in Alaska.

Denn Katmai, mit 19 000 Quadratkilometern der viertgrößte Nationalpark der USA, liegt nicht gerade um die Ecke. Von Anchorage aus gibt es nur einen Weg in dieses atemberaubende, menschenleere Schutzgebiet mit seinen höchst aktiven Vulkanen: per Wasserflugzeug. Im Sommer, wenn die Sonne über der größten Exklave der Welt kaum untergeht, gleicht der Lake Hood einem Bienenstock. Ein sonores Brummen erfüllt die Luft, wenn die kleinen Maschinen mit Anglern, Rucksacktouristen und Naturfreunden an Bord abheben, um irgendein Ziel in den Weiten des riesigen Bundesstaates anzusteuern. Während die einen den Denali sehen wollen, den mit 6194 Metern höchsten Gipfel Nordamerikas, begnügen sich die anderen mit einem Kurztrip zu den Chugach Mountains. Oder buchen -falls es der Geldbeutel zulässt – den zehn- bis zwölfstündigen Tagestrip ins Bärendorado Katmai, wo bereits etliche prämierte TV-Dokumentation über das Leben der Petze gedreht wurden. Bis zu 800 Wasserflugzeuge starten und landen Tag für Tag auf dem See, der sich mit dem Titel „größter Wasserflughafen der Welt“ schmücken darf.

Schlechtwetter über Anchorage

Ich habe mir für meinen Abstecher ins Paradies der Vielfraße einen denkbar schlechten Tag ausgewählt. Wie ein graues Totentuch hängen Gewitterwolken über der mit Abstand größten Stadt Alaskas, die langsam aus dem Schlaf erwacht. Wie versteinert liegen die mausgrauen Schlickflächen des Cook-Inlets da. Die gewaltigen Gipfel der Chugach Mountains sind allenfalls zu erahnen. Stew, der wortkarge Himmelsstürmer mit der jahrzehntelangen Flugerfahrung, genehmigt sich erst mal seinen heiß geliebten Blaubeer-Muffin und einen großen Becher Kaffee. „Eigentlich wollte ich an der Küste entlang fliegen“, erklärt der einstige Lear-Jet-Pilot, der mit seinen langen, lockigen Haaren, dem schwarzen Stetson und den bestickten Cowboystiefeln ziemlich verwegen aussieht. Doch daraus wird wohl nichts. Während der Pilot noch einmal nach dem Rechten an seiner viersitzigen Cessna Skyhawk sieht, geht unter den Passagieren die Sorge um, dass der Flug komplett ins Wasser fällt. John, der Profi-Fotograf aus Nebraska, mit der sündhaft teuren Kameraausrüstung, ist restlos bedient. Monatelang hat er um den Auftrag gebettelt, die berühmten Bären von Katmai abzulichten. Nun macht ihm möglicherweise das Wetter einen Strich durch die Rechnung.

Seen und schneebedeckte Berge gibt es in Alaska im Überfluss.

Zum Glück ist Buschpilot Stew, der im wirklichen Leben eigentlich Stewart heißt, ein echter Naturbursche, dem schlechtes Wetter nichts anhaben kann. Während sich seine vier Fluggäste missgelaunt in die winzig kleine Kabine seines Babys quetschen, hat der 40-Jährige längst seine gute Laune wiedergefunden. „Bis Katmai kann alles anders sein, denn in Alaska ändert sich das Wetter schneller, als der liebe Gott erlaubt“, witzelt der Mann aus Anchorage, während das Wasserflugzeug in den aschgrauen Himmel abhebt. Schon nach wenigen Minuten verschwendet ohnehin keiner der Passagiere mehr einen Gedanken ans Wetter. Wie ein riesiger Flickenteppich aus milchig-blauen Seen, grünen Bergflanken und weißen Gletscherströmen liegt Alaska in seiner maßlosen Weite unter ihnen, ein Land fünfmal so groß wie die Bundesrepublik, Heimat von gerade mal 680 000 Menschen.

Wale im Cook Inlet

Hunderte von Wale tummeln sich als dunkle Schatten im Cook Inlet, jenem Meeresarm im Golf von Alaska, durch den der legendäre James Cook 1778 auf der Suche nach der Nordwestpassage als erster Europäer schipperte. Linkerhand sind die Umrisse der Kenai-Halbinsel zu erahnen, wo russische Pelzhändler im 18. Jahrhundert ihrem schwunghaften und zweifelsohne lukrativen Handel mit den Indianerstämmen nachgingen. Rechter Hand türmen sich die Chigmit Mountains auf mit dem Mount Redoubt: ein wie von Bildhauerhand geformter Vulkankegel, der mit schöner Regelmäßigkeit Aschewolken in die Atmosphäre pustet und zähflüssige Lava zu einem Pfropfen backt.

Fireweed blüht in Alaska an jeder Ecke. Je weniger Blüten, desto näher rückt der Herbst.

Doch jetzt gibt er Ruhe, spuckt allenfalls ein paar Fumarolen aus und konkurriert mit dem Mount St. Augustine darum, welcher Vulkan zum schönsten gekürt wird. Letzterer, mit eigenem Inselchen ausgestattet, liegt wie ein Wächter mitten in der Einfahrt des Cook-Inlets, ein kreisrunder Riese, zu dessen Repertoire nicht nur Asche und Lava gehören, sondern auch mächtige Blitzgewitter, die Piloten in Angst und Schrecken versetzen. „Für mich ist der Augustine eindeutig der Gewinner“, erzählt Stew „und eine nicht zu übersehende Wegmarke obendrein.“ Denn der Buschpilot fliegt auf Sicht und wirft nur gelegentlich einen Blick auf detailreiche Flugkarten. Jeder Gebirgszug in der menschenleeren Wildnis hat sich tief in sein Gedächtnis eingegraben, jedes munter mäandernde Flüsschen, jede noch so winzige Indianersiedlung mit zwei, drei Dutzend Bewohnern, zu der weder Straße, noch Piste führen. Die einzige Verbindung zur Außenwelt ist hier das Wasserflugzeug. Entsprechend viele sind als winzige helle Punkte auf türkisfarbenen Seen auszumachen.

Der Katmai-Nationalpark ist 19 000 Quadratkilometer groß, aber menschenleer. Foto: nps.gov

Ich bin sprachlos angesichts dieses dramatischen Landschaftskinos und bereue den stolzen Preis für den Tagesausflug keine Minute. Die Worte „Fliegen wie ein Vogel“ bekommen eine ganz neue Bedeutung. Bei der geringen Flughöhe könnte ich gleichsam in den Vulkankrater hineinspucken, die Bergspitze touchieren, jede Falte eines Gletschers zählen. Gut nur, dass sich alle an Bord eine zweite Tasse Kaffee verkniffen haben, denn für die nächsten drei Stunden sind Holzhäuschen mit geschnitzten Herzchen außerhalb jeder Reichweite.

Menschenleerer Katmai

Läge der berühmte Nationalpark nicht so weit entfernt von jeglicher Zivilisation, er könnte sich während des kurzen Sommers kaum vor Touristen retten. So aber bleibt das Schutzgebiet, dessen einzigartigen Wert schon Präsident Woodrow Wilson 1918 erkannte, weitgehend sich selbst überlassen. Knorrige Fichten- und Birkenwälder wechseln sich ab mit baumloser Tundra, werden von einem Spinnennetz aus Seen und Flüssen überzogen. In dieser großen Leere, wo es nur eine einzige, 40 Kilometer lange Schotterpiste gibt, folgt die Tierwelt dem ewigen Kreislauf von Fressen und Gefressen werden. Biber bauen ungestört ihre Dämme und Burgen, ein Weißkopfadler wartet geduldig auf Beute, und mit etwas Glück sieht man Karibuherden über die Steppe ziehen. Der größte Schatz aber sind die Bären, zentnerschwere Einzelgänger, die ruhelos durch die endlose Einsamkeit streifen. Es ist ein regelrechtes Schlaraffenland, das sie im Sommer vorfinden – wenn Abermillionen Sockeye-Lachse die Flüsse und Bäche des Nationalparks hellrot färben.

An den Brooks Falls gehen die Bären auf Lachsfang.

Stew landet – wie sollte es auch anders sein – mitten auf einem See im Nirgendwo. Ein paar einfache Hütten, ein simpler Campingplatz ohne jeglichen Komfort, eine urige Lodge mit Jugendherbergscharakter, deren Übernachtungspreise ich lieber nicht wissen will – mehr hat das Dorado für Sportangler nicht zu bieten. Wo Naknek und Brooks Lake aneinandergrenzen, nur getrennt durch einen schmalen Fluss, versammeln sich die stets hungrigen Braunbären und Grizzlys zum großen Fressen. Mit stoischer Ruhe warten sie auf ihre fetten Opfer, die in dichten Schwärmen an ihnen vorbeischwimmen, wetzen erstaunlich flink durch das höchstens knietiefe Wasser oder stellen sich in Reih und Glied an dem kleinen Wasserfall auf, wo die pfundschweren Fett- und Protein-Lieferanten vorbei müssen. „Ein ausgewachsener Bär vertilgt bis zu 80 Pfund Lachs pro Tag“, erzählt Cindy, die junge Rangerin, während sie die Angelrunde von der Ostküste fest im Auge hat. Weil die Sockeye mit ihrem feinen Aroma nämlich auch bei Zweibeinern hoch im Kurs stehen, kommen sich Mensch und Bär gelegentlich gefährlich nahe – wobei die Krone der Schöpfung meist den Kürzeren zieht. Die Freude des Anglers über ein besonders schweres Exemplar am Haken währt nur kurz. Als habe sein tierischer Widersacher nur auf einen Moment der Unachtsamkeit gewartet, taucht urplötzlich ein brauner Kopf aus dem Wasser auf. Schon war‘s das mit dem kapitalen Fang. Warum auch jagen, wenn man mit stibitzen ähnlich erfolgreich ist.

Wenn die Lachse zu ihren Laichgründen wandern, ist bei den Bären Fressen angesagt.

Ich fühle ein leichtes Magengrummeln angesichts dieser Prachtburschen, die in wenigen Metern Entfernung im Wasser stehen, glücklicherweise aber keinerlei Appetit auf Menschenfleisch haben. „Bären sind sehr geräuschempfindlich, aber stets hungrig -also keine Lebensmittel rumliegen lassen“, klärt Cindy die Neuankömmlinge auf. Die Einweisung in der „Bärenschule“, an deren Ende es – typisch amerikanisch – ein Abzeichen gibt, trägt jetzt allerdings nicht wirklich zur Senkung meines Angstpegels bei. Im Notfall weglaufen? Nicht mal einen Gedanken daran verschwenden, der Bär könnte mich sonst für sein Abendessen halten. Augenkontakt suchen? Kann vom pelzigen Gegenüber als Bedrohung empfunden werden. Ein Tipp bleibt haften auf dem Weg zur Aussichtsplattform unmittelbar an den Brooks Falls: „Bären mögen keinen Krach – also rufen, klatschen, singen“, rät uns Cindy – weshalb ich sämtliches deutsches Liedgut hervorkrame. Dass ich einmal „Ännchen von Tharau“- singend mutterseelenallein durch die Wildnis von Alaska stolpern würde, hätte ich nie gedacht.

An den Brooks Falls hüpfen die Lachse den Bären ins Maul.

John, der Fotograf aus Nebraska, scheint überhaupt keine Furcht zu kennen. Knietief steht er im Wasser des schmalen Flusses, über den eine Holzbrücke führt. Normalerweise schlendern Touris über den Steg, doch jetzt lugt ein ausgewachsenes Männchen, gut zweieinhalb Meter groß, neugierig über den Rand. Weshalb die beiden Ranger die einzige Querung des Flusses vorsorglich sperren, bis sich Meister Petz freiwillig davon trollt. Genügend Zeit also für John, um die Objekte seiner Begierde abzulichten. Fast pausenlos klickt der Auslöser angesichts all der unglaublichen Motive mit den tierischen Hauptdarstellern. Ein gutes Dutzend der zotteligen Kerle hat sich heute Morgen am Brooks River eingefunden, alte Hasen wie „Diver“, der seine ganze Erfahrung aus drei Jahrzehnten in die Waagschale wirft, aber auch Halbstarke wie „Milkshake“, der sich mit seinem Nachbarn um einen fetten Bissen balgt. Auge in Auge mit dem Herrscher Alaskas schlägt das Herz schneller, stockt dem Eindringling der Atem. Es ist ein Gefühl von Aufregung und Einssein mit der Natur, eine Ahnung von unbändiger Kraft. Allein dieses Augenblicks wegen hat sich der weite Weg gelohnt.

An den Brooks Falls im Katmai-Nationalpark

Auf der Aussichtsplattform, zwei Meter über dem reich gedeckten Tisch am Brooks River, fühlen sich auch ängstlichere Naturen sicher. Denn so tollpatschig die Burschen wirken, wenn sie gemächlich durchs Unterholz trotten, als Kuscheltiere eignen sie sich nicht. Die Tiere haben sich längst an die merkwürdigen Zaungäste gewöhnt, die jede gelungene Aktion mit lauten Ahs und Ohs quittieren und vor lauter Fotografieren und Filmen fast vergessen, welch unglaubliches Schauspiel die Natur hier aufführt. Ein gutes Dutzend Prachtkerle hat sich an dem Katarakt aufgereiht, die geduldig darauf warten, dass ihnen die fetten Happen buchstäblich in die offenen Mäuler hüpfen. Zwei Jungspunde halten sich schlauerweise etwas abseits und mühen sich nach Kräften, den schwimmenden Heimkehrer mit dem tiefroten Fleisch zu erwischen. Und eine Mutter mit zwei Jungtieren plagt sich ab, ihrem Nachwuchs das Einmaleins des Jagens einzutrichtern – immer darauf bedacht, nicht das Interesse der ausgewachsenen Allesfresser zu wecken. Im Kampf um die besten Futterplätze ist ein dickes Fell von Vorteil.

Auf Alaskas vulkanisches Erbe trifft man auch im Katmai.

Auf dem Heimweg ist wieder deutsches Liedgut angesagt. Denn dass die zottligen Herrscher der Wildnis nicht weit weg sein können, zeigen ihre übel riechenden Hinterlassenschaften. Hier gibt es keine rettende Barriere, keinen Unterschlupf, keinen Schutzwall. Nur hartgesottene Naturburschen kommen auf die Idee, ihr Zelt auf dem Campground mitten in der Wildnis aufzuschlagen. Billiger als die urige Brooks Lodge, wo sich in den Sommermonaten eine Handvoll gut situierter Gäste einquartiert, ist es auf jeden Fall.

Gletscher sind eine der Landmarken für die Wasserflugzeuge in Alaska.

Am Nachmittag, wenn ein Wasserflugzeug nach dem anderen zurück in die Zivilisation startet, kehrt Ruhe am Brooks River rein. Mama Bär nebst Kinderschar ist im Wald verschwunden, „Diver“ genehmigt sich ein Nickerchen. Durch die Lodge geistern Geschichten von Anglerglück und Jägerlatein, stoßen Sportfischer auf ihre Salmon-Ausbeute, die tiefgekühlt und gut verpackt nach Florida, Kalifornien oder sonst wohin reisen wird. John, der Kamera-Künstler, bekommt das alles nicht mit. Er schlummert selig auf dem Rücksitz der Cessna, träumt von Bären und fetten Folgeaufträgen als Fotograf. Zur Feier des Tages dreht Stew ein paar Runden über dem Tal der Zehntausend Rauchsäulen, wo Alaskas Erde brodelt wie ein Dampfkessel. Weit und breit ist keine einzige Wolke zu sehen, nur strahlender Sonnenschein, der die einsame Wildnis wie ein Heiligenschein umhüllt. Stew hat recht behalten: In Alaska ändert sich das Wetter schneller als der liebe Gott erlaubt.

 

Extratipp
Im Juli und September ist die Wahrscheinlichkeit am größten, Bären an den Brooks Falls zu sehen. Geöffnet hat das Brooks Camp von Juni bis September. Bedingt durch die wenigen Unterkunftsmöglichkeiten im Katmai-Nationalpark sind sowohl die Hütten der Lodge als auch der Zeltplatz oft Monate im Voraus ausgebucht. Das Camp selbst ist nur per Wasserflugzeug zu erreichen. Air Taxis starten in King Salmon. Zudem gibt es zehn bis zwölfstündige Tagestouren ab Anchorage. Rust‘s Flying Service fliegt mit kleinen Maschinen in drei Stunden zum Nationalpark. Die Tour kostet gut 900 US-Dollar pro Person. Hinzu kommen 14 US-Dollar Gebühr für den Nationalpark.

Wem der Ausflug zum Katmai zu aufwendig und zu teuer ist: Der Denali-Nationalpark liegt zwischen Anchorage und Fairbanks und ist bequem per Zug oder Auto zu erreichen. Warum der Denali ein “Must do” während eines Alaska-Aufenthaltes ist, könnt ihr in meinem Bericht nachlesen.

Und wenn euch meine Berichte über Alaska gefallen, dann teilt sie doch über die sozialen Netzwerke. Und natürlich freue ich mich über eure Kommentare.

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Roswitha:
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