In der kalten Jahreszeit eine Flusskreuzfahrt von Paris nach Rouen und zurück? Was sich für Sonnenanbeter nach einer vermeidbaren Tortur anhört, ist für mich die reinste Erholung. Denn die Île-de-France und die Normandie zeigen sich von ihrer stillen, meditativen Seite. Das Schönste an einer solch winterlichen Fahrt: Die Städte geizen nicht mit Reizen, sind aber keineswegs so überfüllt wie im Sommer. Nachdem es im ersten Teil von Paris nach Rouen ging, hat die A-Rosa Vita nun gedreht und schippert gemächlich in die französische Hauptstadt zurück.
Inhaltsverzeichnis
Zwischenstopp in Mantes, der Schönen
Der nächste Morgen präsentiert sich wie ein herbstliches Gemälde der Impressionisten, die sich liebend gern von der Beschaulichkeit entlang der Seine inspirieren ließen. Von den verführerischen Spezialitäten, wie Cidre, Calvados und Käse ganz zu schweigen. Am Ufer dominieren braune und goldene Töne, dazwischen schimmert es grau von weichem Kalkstein, und der Himmel leuchtet in einem strahlend klaren Blau. Auf der A-Rosa Vita herrscht himmlische Ruhe. Das ganze Schiff scheint zu schlafen, weil der nächste Hafen erst am späten Vormittag angelaufen wird.
Mantes-la-Jolie sei nicht mit großen Attraktionen gespickt, hat Finn – Cruisedirektor oder Gastgeber, je nach Nationalität der Passagiere – vorsorglich gewarnt. Deshalb haben etliche Mitreisende einen Ausflug nach Versailles gebucht. Der Prunkbau mit seinen überladenen Sälen und den 1800 weniger herausgeputzten Zimmern liegt gleichsam um die Ecke. Doch im Umfeld von Paris mit seinen elf Millionen Einwohnern können selbst 20 Kilometer Fahrtstrecke zur Geduldsprobe werden.
Wir entscheiden uns gegen Versailles, das extravagante Beispiel für absoluten Machtanspruch, und geben Mantes den Vorzug: einem 44 000-Einwohner-Städtchen, dessen Geschichte auf vorrömische Zeit zurückgeht. Wegen seiner strategisch günstigen Lage war die Stadt während des 100-jährigen Krieges Zankapfel zwischen Franzosen und Engländern. Die Überbleibsel der aus dem 12. Jahrhundert stammenden Pont de Limay, die sich in 37 Bögen malerisch von einem Seine-Ufer zum anderen spannte, erinnern an jene Epoche.
Ein König als Namensgeber
Zeitweilig zog es sogar Könige nach Mantes. Nicht wegen der vielen schönen Herrenhäuser, schon gar nicht wegen der mittelalterlichen Verteidigungsringe. Eher waren es fleischliche Genüsse, die Heinrich IV lockten. Seine Geliebte, die schöne und geistreiche Gabrielle d’Estrées, residierte in Mantes und empfing leidenschaftliche Briefe ihres königlichen Liebhabers. “Je viens a Mantes, ma Jolie (“Ich komme nach Mantes, meine Schöne) war da zu lesen, und der Ort hatte seinen Beinamen weg.
Eine Schönheit ist Mantes nicht, aber ein Ort voll typisch französischer Lebensart, mit afrikanischen und arabischen Einsprengseln. Auf dem kleinen Wochenmarkt gibt es Pumphosen und Couscous. In der Rue Thiers pflegen Cafés und Shisha-Bars eine gute Nachbarschaft. Und beim nachmittäglichen Umzug mit blinkenden Weihnachtsmützen gibt es nur eine Nationalität: Franzosen.
Viele Sehenswürdigkeiten hat Mantes nicht. Das königliche Schloss wurde bereits im 18. Jahrhundert zerstört. Von der Kirche Saint-Maclou bliebt nur ein Turm übrig: Der Rest wurde vom Sturm der französischen Revolution hinweggefegt. Erhalten blieb die Stiftskirche Note-Dame, deren Türme die Stadtsilhouette prägen. Die runden Fenster über dem Altarraum, das wunderbare Gewölbe, die prächtige Rosette – ich bin bestimmt nicht die einzige, der die Ähnlichkeit mit der Pariser “Lieben Frau” auffällt. Der schönste Moment bringt der späte Nachmittag: Als die Strahlen der untergehenden Sonne in den Kirchenraum fallen, scheint ein überirdischer Beleuchter am Werk zu sein. Hätte Monet diesen Augenblick erlebt, er hätte in bestimmt in seinen Bildern festgehalten.
Auf den Spuren von Monet in Giverny
Der Impressionist des Morgennebels, der Heuhaufen und Seerosen war so verzaubert von der Seine und ihren Landschaften, dass er sich 1883 mitsamt seiner Geliebten in dem 300-Seelen-Dorf Giverny niederließ. Das unkonventionelle Erscheinungsbild des exzentrischen Künstlers, mehr noch die familiären Verhältnisse sorgten sicherlich für Gerede und Empörung in der vornehmlich ländlich geprägten Gegend. Doch heute ist das kleine Dorf an der Einmündung des Flusses Epte in die Seine froh über den damaligen Neuzugang, der erfolgreich gegen das Establishment kämpfte und den Titel “Impressionist” wie eine Auszeichnung trug.
Winterschlaf in Monets berühmten Gärten
Wie gern wäre ich mit dem Zug nach Giverny gefahren, in Monets Zauberreich. Doch Monets berühmten Gärten, der Clos Normand und der japanisch inspirierte Wassergarten halten Winterruhe. Zehn Jahre seines Lebens hat der Vertreter der Pleinairmalerei in das Gartenkunstwerk investiert. Sein verrückter Plan, das Flüsschen Epte umzuleiten und einen künstlichen See zu speisen, war bei den Einheimischen nicht auf Gegenliebe gestoßen. Doch am Ende bekam Monet seinen Wasserlilienteich nebst japanischer Brücke.
Der schönste Flussabschnitt der Seine
Bleiben zwei andere Seine-Orte, die gleichsam um die Ecke liegen und sich für Ausflüge anbieten: Vernon und Les Andelys. Für mich zeigt sich die Seine auf diesem Flussabschnitt von ihrer nachdrücklichsten Seite. Der Strom hat sich tief in das weiche Gestein gegraben, der Mensch hat verschlafene Örtchen an ausladenden Flusschleifen und spektakuläre Burgen auf mächtige Bergkuppen gepackt.
Ein Ort als Doppelpack: Les Andelys
Les Andelys ist ein solch verträumtes Dörfchen, das Normandie im Hosentaschenformat bietet: bildschöne alte Fachwerkhäuser, herrschaftliche Villen und eine Burgruine, deren Erbauer ich aus etlichen Kinofilmen kenne. Mein Französisch ist gut genug, um bereits am Artikel zu erkennen, dass es Andely im Doppelpack gibt: Grand Andely erstreckt sich in ein Seitental, das später gegründete Petit Andely kuschelt sich an die Seine.
Es gibt einige Schmuckstücke in dem Dorf, wo einer der bedeutendsten Maler des 17. Jahrhunderts geboren wurde: Nicolas Poussin. Es gibt ein Museum zu Leben und Werk des Künstlers; die reizvolle gotische Kirche Saint Sauveur; die Promenade des Prés, die als grüne Allee die beiden Ortsteile verbindet; die mächtige Kuppel des Krankenhauses Saint-Jacques, das 1780 am früheren Rastplatz für Pilger auf ihrem Weg zum Grab des heiligen Jakobus in Santiago de Compostela errichtet wurde.
Der Prestigebau des Löwenherz
Die meisten Besucher kommen jedoch wegen einer der schönsten mittelalterlichen Festungen Frankreichs: dem Château Gaillard. Es war Richard Löwenherz, der diesen Prestige-Bau in nur zwei Jahren hochziehen ließ, um die Seine und die Handelsstadt Rouen vor den Begehrlichkeiten der französischen Krone zu schützen.
Der gefeierte Kreuzritter, der mehr Franzose, als Engländer war (das Löwenherz sprach nicht mal richtig englisch und hat sich im knappen Dezennium seiner Herrschaft weniger als ein Jahr in England aufgehalten) hatte nicht viel Freude an der Verteidungsanlage an der Ostgrenze seines Reiches. Keine zwei Jahre nach ihrer Fertigstellung wurde Richard 1199 in Chaluis getötet, und sein Bruder Johann war ein solcher Schwächling auf dem Thron, dass die französischen Könige ihre Chance witterten und das Château belagerten. Mehrfach wechselte die Festung zwischen England und Frankreich hin und her. Später nutzlos geworden diente sie im frühen 17. Jahrhundert als Baustofflager für die Büßer- und Kapuzinermönche.
Eine Kulisse wie aus dem Ritterroman
Was für eine Kulisse! Nicht nur für Fans von Ritterromanen. Zwischen den mächtigen Mauern glaubt man das Geklirre sich kreuzender Schwerter zu hören – dabei ist es nur der Wind, der um die Ruine streift. Auf den großen Höfen wurde einst Handel getrieben, gingen Handwerker ihrer Arbeit nach. In den Wachtürmen hielten Soldaten nach Feinden Ausschau. Der Legende nach drangen französische Soldaten über die Latrinen in die Grenzfeste ein. Eher wahrscheinlich ist, dass sie sich ihren Weg durch die Kapelle bahnten.
Heute ist Château Gaillaird die stattlichste Ruine im Tal der Seine und ein herrlicher Aussichtspunkt über den Strom. Der obere Hof des Château Gaillard hat von April bis Anfang November geöffnet und kostet Eintritt. Den unteren Hof können Besucher kostenlos besichtigen.
Vernon und der Wikinger Rollo
Vernon ist eng mit der Geschichte des Wikingers Rollo verbunden. Denn einen besseren Platz, um vorbeifahrenden Schiffen Zölle abzuknöpfen, gab es kaum. Leider haben Kriege der Stadt böse mitgespielt, sodass viele alte Bauten verschwunden. Von der einst stolzen Burg existiert nur noch ein jämmerlicher Bergfried. Die Kirche Notre-Dame, ein Mix aus romanischen und gotischen Elementen, besitzt als größten Schatz eine denkmalgeschützte Orgel aus dem 17. Jahrhundert.
Alte Mühle schwebt über der Seine
Das beliebteste Fotomotiv von Vernon – neben den alten Fachwerkhäusern in allen Farben- ist die alte Seine-Brücke, die Vieux Moulin. So romantisch die Bilder von der alten Mühle wirken, die auf zwei Brückenpfeilern zu schweben scheint: Die Wirklichkeit ist nicht ganz so idyllisch. Rings um das alte Gemäuer braust der Autoverkehr.
Dann lieber in das hübsche Dorf Gaillon stromabwärts zum Château Gaillon: Kardinal Georges d`Amboise war so hingerissen vom Baustil der Renaissance, dass er sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts diese wahrlich fürstliche Residenz bauen ließ. Leider blieb nur das Torhaus mit den seitlichen Türmen und dem hohen Dach erhalten. Doch auch die spiegeln wider, mit welcher Pracht sich der Klerus gerne umgab.
Paris: Schlussakkord der Seine-Kreuzfahrt
Die letzten beiden Tage habe wir für Paris reserviert. Paris – die Stadt der Liebe; die Stadt der eleganten Boulevards und der luxuriösen Paläste; die Stadt der exquisiten Konsumtempel und der bezaubernden kleinen Geschäfte; das Touristenmekka, das immer noch einsame Ecken vorweisen kann.
Leider ist das Wetter nicht Fisch, noch Fleisch. Dunkle Wolken hängen über der Millionenmetropole, entladen sich in feinem Nieselregen, der uns ein ums andere Mal in nette Cafés flüchten lässt. Der Eiffelturm, sonst überall als unerschütterliche Landmarke zu erspähen, wirkt wie ein verblaster Scherenschnitt.
Massenandrang auf Sacré-Cœur
Zum ersten Mal während dieser Flusskreuzfahrt erleben wir die Auswüchse von Tourismus. Vor und in der Kirche Sacré-Cœur geht es zu wie in einem Taubenschlag. Alle paar Minuten spuckt das Bähnchen ein paar Dutzend Fußfaule aus. Horden von asiatischen Touristen klettern die breite Treppe zu dem Hügel hoch. Manch einer hat ein Schloss mitgebracht, das nun neben Tausend weiteren am Geländer hängt. Die Handy-Kameras klicken ununterbrochen, auch wenn beim Blick auf die Stadt ein langweiliges Grau dominiert. Andächtiges Schweigen in der Kirche mit dem 475 Quadratmeter großen Mosaik: Fehlanzeige. Ein geräuschvolles Stimmengewirr wabert durch die Basilika, stört jene, die beten wollen.
Rundfahrt mit dem ÖPNV
Wir flüchten von diesem sakralen Rummelplatz, wo einem blinkende Eiffeltürme, gefälschte Markentaschen und kitschige Pariser Postkartenmotive in Aquarell angeboten werden. Mit Bus und Bahn klappern wir die schönsten Plätze der französischen Hauptstadt ab, lassen uns einfach durch die Stadt kutschieren, ohne genau zu wissen, wo wir landen. Wir bewundern die Prachtbauten im ersten Arrondissement, werfen einen kurzen Blick in den Invalidendom, trinken einen unverschämt teuren Kaffee im Grand Palais, das wie ein überdimensionales Gewächshaus wirkt.
Paris im Festtagskleid
Dem miesen Wetter zum Trotz: Die ganze Stadt gleicht einem festlich geschmückten Weihnachtsbaum. Millionen kleiner LED-Lämpchen hüllen die Champs-élysées, tagsüber der ideale Ort für Shopping, abends in ein rotes Kleid. In der “Avenue Montaigne”, wo Nobelmarken wie Gucci, Prada, Chanel und Louis Vuitton zuhause sind, erstrahlen kunstvolle Lichtinstallationen.
Konsumtempel im Glitzerkostüm
„Printemps“ und die „Galeries Lafayette“, die wohl berühmtesten Konsumtempel liefern sich einen öffentlichen Wettkampf um die aufwendigste Dekoration. Gigantische Christbäume reichen bis unters berühmte Kuppeldach; pompöse Gabentische biegen sich unter der Last der Geschenke. Nur die berühmte Dachterrasse im siebten Stock des “Lafayette”, wo der Blick ungehindert über die Alte Oper streift, ist aus welchen Gründen auch immer geschlossen.
Aufstieg auf den Arc de Triomphe
Deshalb pilgern wir zum Arc de Triomphe – und haben Glück. Normalerweise ist der Aufstieg auf den weltberühmten Triumphbogen ein ziemlich teures Vergnügen. Doch am ersten Sonntag in den Wintermonaten gibt es den Panoramablick über Paris für umme. So schnaufen wir tapfer nach oben, wie 1,3 Millionen Besucher jährlich. Ich zähle 284 Stufen, lasse mich auf den einzelnen Ebenen des monumentalen Baus über seine Geschichte, seinen Figurenschmuck und seine Bedeutung für Frankreichs Seele informieren. Moderne Technik ist hier kein Gadget, sondern erfüllt ebenso unaufdringlich wie wirkungsvoll einen didaktischen Zweck.
Lichtershow am Eiffelturm
Wer sich einen Eindruck von der Pariser Festbeleuchtung machen möchte, bucht am besten eine Lichterfahrt. Die Touren starten um 19.30 Uhr oder 21.30 Uhr vom Louvre und dauern rund eineinhalb Stunden. Der krönende Abschluss einer solchen Fahrt ist der Besuch des Trocadero, jenes Platzes, der für die Weltausstellung 1878 genutzt wurde.
Der Wind pfeift eisig, die Menschenmassen sind abtörnend, doch der Blick auf den Eiffelturm ist einmalig. Und das Pariser Wahrzeichen weiß, was es seinen Bewunderern schuldig ist. Zur vollen Stunde lassen 20 000 Lämpchen die alte Dame funkeln – eine Lichtershow, die anlässlich der Jahrtausendwende konzipiert wurde und bis heute beibehalten wird.
Das waren meine Eindrücke von der winterlichen Flusskreuzfahrt auf der Seine. Eine Tour, die ich gerade in der kalten Jahreszeit nur empfehlen kann. Sollte dir dieser Beitrag gefallen haben, dann lasse es mich wissen. Stört dich etwas, dann kommentiere ebenfalls. Falls du noch einige bewegte Bilder von dieser Reise sehen möchtest, dann schau hier vorbei.