Das Jahr ist schon fast wieder vorbei. Zeit für eine weitere Fotoparade von Michael von Erkunde die Welt. Jedes Jahr ruft er seine Bloggerkollegen auf, gibt ihnen bestimmte Kategorien vor und jeder wühlt sich durch seine Ordner. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Denn was wir bislang nur aus apokalyptischen Hollywoodstreifen kannten, hat uns heimgesucht. Ein Virus, das nicht nur Reisepläne vereitelt, sondern -viel schlimmer- unser ganzes Leben auf den Kopf gestellt hat. 2020 war ein Jahr, das ich möglichst schnell abhaken möchte: Es hat mir vor Augen geführt, dass nichts selbstverständlich ist, dass sich Dinge von einer Minute zur anderen ändern können. Dass es sich lohnt, den Augenblick zu leben.
Inhaltsverzeichnis
2020: Aufbruch nach Indonesien
Im Januar konnte sich wohl keiner von uns vorstellen, wie schnell sich die Welt komplett ändern würde. Restaurantbesuche, Kinos, Besuche der Mutter – dass dies schon wenige Wochen später nicht mehr möglich sein würde, daran verschwendete ich keine Gedanken. Das neue Jahr begann wie immer – mit Reisen und der Planung von weiteren.
Wir erfüllten uns einen Traum: mit dem Schiff durch die indonesische Inselwelt, mit Abstechern nach Borobodur, Bali und nach Komodo. Die riesige Tempelanlage, die paradiesisch schönen Reisterrassen, die urzeitlichen Echsen – all das gaukelte uns vor, dass Reiseträumen keine Grenzen kennen. Nächstes Jahr fahren wir noch auf einige andere Inseln, versprachen wir uns mehrfach gegenseitig. Keiner von uns machte sich irgendwelche Gedanken, dass dies womöglich nicht machbar wäre. Das Leben war unbeschwert, die Welt stand uns offen, Traumziele scheiterten höchstens am Geldbeutel. Eine weltweite Pandemie – dass schien so weit weg wie der Mars. Völlig undenkbar, und wenn schon Realität, dann in irgendeiner fernen Ecke des Kontinents.
In Singapur deutet sich das Drama an
In Singapur, wo unsere Asienreise endete, deutete sich das Drama an. Doch uns fehlte schlichtweg der feine Nerv, die Vorstellungkraft für das drohende Unheil. Wohin wir auch gingen, tauchten Staatsbedienstete mit Fiebermessgeräten auf. Nun ja, übertriebene Vorsichtsmaßnahmen in einen Stadtstaat, wo das Wegwerfen von Kaugummi eine Straftat ist. Zeitungen berichteten über ein Virus in China, in der U- Bahn trugen die Menschen Maske – nach unserem Aufenthalt in Shanghai ein Jahr zuvor wunderte uns dies nicht sonderlich. Den Sinn dieser Maßnahme hat sich uns zu diesem Zeitpunkt nicht erschlossen, den Hinweis eines Einheimischen, dass meine hüstelnde Schwester doch gefälligst eine Maske tragen solle, empfanden wir ehrlich gesagt als übergriffig. Wer konnte auch ahnen, dass ich acht Monate später diejenige sein würde, die Hobby-Virologen, Besserwissern und Coronaleugnern den richtigen Gebrauch einer Maske erklären würde.
Die Einschläge kommen näher
Wieder daheim kamen die Einschläge näher. Ich liebäugelte noch kurz damit, zum Skifahren aufzubrechen – ausgerechnet nach Ischgl, das halb Europa mit dem Virus beglückte -, ließ es dann aber sein. Schließlich stand im April ja die Reise nach Botswana an, zum Hausboot auf dem Sambesi, die ein Jahr zuvor wegen zu wenig Teilnehmern abgesagt worden war. Ab Mitte März war ich diejenige, die auf eine Absage hoffte. Flüge wurden gestrichen, Ländergrenzen dichtgemacht; bei uns in der Redaktion häuften sich die Hilferufe von Gestrandeten, die nicht mehr nach Hause kamen und in der Fremde plötzlich auch nicht mehr gelitten waren. Ja, ich wollte an den Sambesi, zu den Victoria-Fällen, in den Chobe- Nationalpark, aber nicht um jeden Preis. Die Gefahr, dass der Rückflug ersatzlos gestrichen würde, dass ich mich womöglich auf ein längeres, unfreiwilliges Intermezzo in einem Land einstellen müsste, in dem man schon in Nicht-Corona-Zeiten nicht krank werden will, nahm mir jede Lust aufs Reisen. Die Gewissheit, dass die Tage wohl nicht unbeschwert würden, kam dazu. Als die Tour abgesagt wurde, fiel mir ein Stein vom Herzen. Auf die Erstattung der Flugkosten warte ich immer noch.
2020: das schreckliche Jahr
Auch ich habe – wie so viele andere Reisebloggerkollegen – die Zeit genutzt, um Deutschland zu entdecken. Wobei wirklich neu ist das nicht für mich. Ich oute mich als bekennender Deutschland- Fan, weil es zwischen Ostsee und Schwarzwald einfach wunderschöne Ecken gibt. Kaum war der Lockdown vorbei, haben wir uns aufgemacht und sind in den Spessart gefahren, zum Wandern und Besichtigen. Die erste Tour unter Corona-Bedingungen: ein Hotel, das nur zur Hälfte belegt war, Maskenpflicht in den öffentlichen Räumen, eine Einbahnstraßenreglung im Frühstücksraum. Damals erschien uns das alles äußerst gewöhnungsbedürftig. Heute, ein halbes Jahr später, sind mir die Regeln in Fleisch und Blut übergegangen.
Es war ein schlimmes Jahr, nicht, weil meine Lust am Reisen eingeschränkt wurde, sondern weil ich erkennen musste, wie ungeheuer gespalten diese Gesellschaft ist – in Menschen, die Corona für eine harmlose Grippe halten, und solche, die bereit sind, Einschränkungen in Kauf zu nehmen, um andere und sich selbst zu schützen. Ich habe mir im Windmühlen-Kampf gegen Covidioten und Schwurbler manch blutige Nase geholt. Die verbalen Attacken gipfelten in einer Sprachnachricht, in der ich als alles Mögliche mit F… bezeichnet wurde. Ich kann es immer noch nicht glauben, wenn Menschen auf Facebook über die Meinungsdiktatur in D jammern (merke den Widerspruch) und Russland als Hort der Demokratie feiern, wenn sie emeritierten Professoren wie Lemminge folgen (der ein Riesengeschäft mit dem Verkauf seines Buches gemacht hat) und wirtschaftliche und soziale Interessen gegeneinander ausspielen. Ich wohne nicht weit weg von der Grenze zu Frankreich und habe gesehen, was mit einem Gesundheitssystem geschieht, wenn man Corona seinen Lauf lässt. Ich möchte nicht in der Haut jenes Arztes, jenes Pflegers stecken, der entscheiden muss: Diesen Menschen versuchen wir zu retten, den anderen lassen wir streben.
Schweden: das Corona-Vorbild?
Ich schreibe diese Zeilen übrigens in Schweden, jener Heilsgestalt der Covidioten, wo angeblich alles besser und nichts verboten ist und schon bald die Herdenimmunität winkt. Tut es nicht. Ja, die Schweden haben weniger Verbote, aber sie sind von Natur aus etwas disziplinierter als die Deutschen. Einem Anderen bis auf wenige Zentimeter auf die Pelle zu rücken, käme einem Schweden nie in den Sinn, Abstand halten gehört zu der DNA der Menschen hier. Große Feiern sind verboten, Senioren waren monatelang kaserniert, Geschäfte haben reihenweise geschlossen. Ja, es geht hier lockerer zu als in Deutschland, was aufgrund der räumlichen Verhältnisse auch leichter ist: Hultsfred, unsere Zweitheimat, ist so groß wie der Landkreis Karlsruhe, hat aber nur 14.000 Einwohner. Da fällt es leicht, Abstandsregeln einzuhalten.
Was nicht heißt, dass ich jede staatliche Verordnung für gut halte. Doch wie viele Pandemien mussten amtierende Regierungen bislang meistern? Wie oft wurden wir Lebenden mit soll einschneidenden Maßnahmen konfrontiert? Seien wir mal ehrlich: Unsere größte Sorge war nie das nackte Überleben, höchstens die Frage, wohin der nächste Urlaub geht, welches Auto es das nächste Mal sein darf. Corona hat uns schmerzlich klargemacht, dass dieser Planet nach seinen Regeln spielt und dass sich dieses Spiel auch gegen uns wenden kann.
Ein bislang unbekanntes Gefühl: Reisescham
Als sich die Menschen an den Ostseestränden drängelten, sind wir in ein einsames Haus nach Schweden gefahren. Und mussten uns böse Kommentare anhören, wie man dies überhaupt tun könne, wo Schweden doch ein Risikogebieten sei. Wenn überhaupt waren die drei großen Städte die Infektionstreiber, auf dem flachen Land war die Ansteckungsrate nicht größer als in Deutschland.
Glücklicherweise stellt das RKI nicht mehr ganze Länder unter Generalverdacht, sondern differenziert. Denn das ist notwendig, wenn man nicht eine ganze Branche auslöschen will. Das deutsche Gejammere geht mir gehörig auf den Geist. Macht sich irgendjemand Gedanken darüber, wie hart Corona andere Länder getroffen hat? Wenn Touranbieter in Südamerika vergeblich auf zahlende Gäste warten? Wenn Sherpas in Nepal ohne Arbeit sind? Wir beklagen uns, wenn die Kantine schließt und die Samstagsparty ins Wasser fällt. Der Egoismus, der in diesem Jahr zu Tage trat, hat mich entsetzt.
Die Bilder, die ich für Michaels Fotoparade ausgewählt habe, sind ein buntes Sammelsurium. Ein bisschen indonesische Inselwelt, ein paar kleine deutsche Städte, ein bisschen Bahnfahren in der Schweiz. Mir geht es wie den meisten: Ich muss keine Wiederholung des Jahres 2020 haben. Aber ich gebe mich auch nicht der Illusion hin, dass sich Corona wie durch ein Wunder verabschiedet.
Der Umwelt hat der Lockdown gut getan
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich ganz gut ohne weite Reisen leben kann. Und auf Flüge in Coronazeiten verzichte ich erst recht. Selbst wenn Abluftsysteme für virenfreies Fliegen sorgen – auf das Gefühl, in einer Sardinenbüchse gelandet zu sein, verzichte ich gern. Der Umwelt hat der Lockdown jedenfalls genutzt. In Venedig, ein Hotspot des Overtourism, tummelten sich Delfine in der Lagune. In Luzern, im Sommer von gutbetuchten arabischen Touristen überschwemmt, war es richtig heimelig. Und zum ersten Mal seit vielen Jahren saß ich wieder auf meiner Terrasse, weil die Menschen lieber Rad, statt Auto fuhren. Im Gegensatz zu einigen Bloggerkollegen gebe ich mich aber nicht der Hoffnung hin, dass dieser Zustand anhält. Die Beharrungsmechanismen sind einfach zu groß. Der Wettstreit “Mein Haus, mein SUV, meine Fernreise” – er wird wohl weitergehen.
Und hier sind meine Bilder, die ich für euch ausgewählt habe.
Impressionen aus Asien
Die Tempel auf Java und Bali, die Urzeitechsen auf Kommodo – das waren schon lange Traumziele für mich. Und Borobudur, dieses Wunderwerk aus Stein, dieses monumentale Bauwerk in Form einer Stufenpyramide, diese Ansammlung von Stupas, ist wahrlich ein Erbe der Menschheit. Doch die Massen aus Touristen, die sich die neun Stockwerke hinauf quälen, um ein Selfie mit einer der Buddhafiguren zu schießen, rauben der größten buddhistischen Tempelanlage der Welt ihre Würde.
Touristischer Overkill im Paradies Bali
Auf Bali war ich gänzlich ernüchtert. Eine Landschaft, so paradiesisch schön, wie man sie sich nur vorstellen kann – mit kunstvoll angelegten Reisterrassen, wo Bauern knietief im Wasser stehen; Vulkankegeln, die unter dichtem Dschungel verschwinden und kleinen Opferschreine an jeder Ecke. Gleichzeitig ein touristischer Overkill, der sich kaum von dem in Malle unterscheidet. Die berühmten Tempelanlagen, eigentlich Orte der Besinnung, ähnelten einem Freizeitpark, bei dem man sich erst seinen Weg durch Straßen voller Nippesläden bahnen musste. Den Sonnenuntergang am Meerestempel haben wir uns geschenkt. Wer will schon mit einer Horde schwatzender Touristen die schönsten Stunden des Tages verbringen?
Noch erschreckender waren die Berge von Müll, die uns selbst an abgelegenen Orten begegneten. Die Haushaltsabfälle mögen ja verrotten, Plastik wird überdauern. Nur ein paar Meter von jenen Tempeln entfernt, die Prospekte über Bali zieren, stießen wir auf stinkende Rinnsale, in deren Uferbepflanzung sich die Reste von Mülltüten verfangen haben. Mag sein, dass es das wahre Bali noch immer gibt – ich habe es leider nicht gefunden.
Urzeitliche Echsen auf Komodo
Auf Komodo wurde mir die Abhängigkeit der Menschen vom Tourismus einmal mehr bewusst. Die Fremden kommen nur wegen der urzeitlichen Riesenwarane; bekommen sie die nicht zu Gesicht, ist die Enttäuschung groß. Umso mehr sind die Insulaner bestrebt, den Touristen das Objekt der Begierde zu präsentieren. Uns wurde zwar versichert, dass die Tiere nicht angefüttert werden, aber so ganz mag ich nicht an die zufällige Begegnung mit den Tieren glauben. Was das Erlebnis nicht weniger eindrucksvoll macht. Die Burschen scheinen direkt dem Jurassic Park entkommen zu sein. Minutenlang lagen sie regungslos auf dem Boden, um urplötzlich in Fahrt zu kommen. So wendig hatte ich die Botschafter aus der Vergangenheit nicht eingeschätzt.
Auch auf diesem abgelegenen Eiland holte uns die Zivilisation mit all ihren negativen Begleiterscheinungen ein. Beim Schnorcheln am Pink Beach, sah ich so ziemlich alles, nur keine kunterbunten Fische. Stattdessen ausgebleichte Korallen und schwebende Plastiktüte , die wahrscheinlich noch in hundert Jahren die Meere verschmutzen werden. Die Menschheit wird irgendwann an ihrem eigenen Müll ersticken.
Unterwegs in deutschen Landen
Und dann kam der Lockdown. Spazierengehen statt Reisen war angesagt. Der Wald vor der Haustüre musste als Ersatz für die Wassermassen der Victoriafälle herhalten. Wochenlang ging nichts mehr. Wir rückten als Familie zusammen, nutzten die schönen Frühjahrstage für ausgedehnte Wanderungen. Am meisten fehlten uns die gemeinsamen Essen mit Mutter und Schwester – nicht etwa das Reisen.
Die erste Tour nach dem Lockdown: der Spessart
Im Mai gab es dann die ersten zaghaften Lockerungen. Wir fuhren für drei Tage in den Spessart mit Schloss Mespelbrunn. Dieses geradezu märchenhafte Wasserschloss mit seinem rosenumkränzten Turm dürfte älteren Semestern als Kulisse des Lilo Pulver- Films „Das Wirtshaus im Spessart“ bekannt sein. Sehr verändert hat sich das im Renaissancestil erbaute Schloss in einem verschwiegenen Spessartal seit jener Zeit nicht. Nur die Führung musst Corona-bedingt kürzer ausfallen. Weil eine Einbahnstraßenregelung in dem alten Gemäuer nicht zu verwirklichen war, fielen die repräsentativen Räume im zweiten Stockwerk einfach weg.
Verwunschen wie im Märchen: der Kellerwald
Ein paar Wochen später führen wir an den Edersee und in den benachbarten Nationalpark Kellerwald. Der Stausee unweit der nordhessischen Stadt Waldeck wurde einst angelegt, um die Schifffahrt auf Oberweser und Mittellandkanal sicherzustellen. Heute ist er ein Freizeitdorado mit Surf- und Segelschulen, Stränden für Sonnenanbeter und einer eigenen Schifffahrtslinie. Wir hatten einen traumhaften Tag erwischt, ließen uns von der E-Flotte über den See schippern, speisten leckere Fischbrötchen und stellten wieder einmal fest, was für tolle Ecken es in Deutschland zu entdecken gibt.
Gleich um die Ecke liegt der Kellerwald, einer der letzten großen Buchenwälder Deutschlands. Wälder, bei denen mal nicht der wirtschaftliche Gedanke im Vordergrund steht, gibt es in Deutschland ja selten. Auf mich wirken viele Forste wie eine Ansammlung schnell wachsender Sorten in Reih und Glied. Der Kellerwald ist da eine löbliche Ausnahme. Totholz bleibt einfach liegen, ist Heimat und Nahrung von Pilzen, Flechten und Tieren. Stellenweise wirkt er so verwunschen wie im Märchen. Wer mehr über dieses Schutzgebiet erfahren möchte, schließt sich einer der vielen Rangertouren an, die von der Nationalparkverwaltung angeboten werden.
Coburg: eine Kleinstadt mitten im Deutschland
Im Juli ging es dann nach Coburg, eine Kleinstadt im Herzen Deutschlands, gelegen in Bayern, aber mit engen Beziehungen nach Thüringen. Früher wäre ich an solchen Orten vorbeigefahren, aber seit einigen Jahren nutzen wir die regelmäßigen Fahrten nach Schweden, um versteckte Perlen aufzuspüren.
Coburg ist zweifelsohne eine, mit imposanter Veste, einem schmucken Schloss, an dem der gute Schinkel Hand anlegte, und typisch fränkischer Gastlichkeit. So überschaubar das Städtchen ist: Auf europäischer Ebene ist Coburg ein rechter Gigant. Was damit zusammenhängt, dass hier die Dynastie Sachsen-Coburg und Gotha zuhause war. Die bezeichnete Otto von Bismarck etwas abfällig als “Gestüt Europas”. Die Coburger heirateten in so ziemlich jedes Königshaus ein, von den Windsors auf der britischen Insel bis hin zu den Schweden und Belgiern. Wer auf Adelsgeschichten steht, dem wird Coburg gefallen. Die anderen erfreuen sich an dem riesigen Marktplatz mit dem schmucken Rathaus und an den unzähligen Kneipen, wo man für wenig Geld ordentliche Portionen bekommt.
Daheim in Schweden
Mitte Juni sollte es endlich so weit sein. Die Reisebeschränkungen in Europa sollten aufgehoben werden. Guten Mutes buchten wir die Fähre nach Schweden – um wenige Tage vor Reiseantritt feststellen zu müssen, dass das skandinavische Land weiterhin als Risikogebiet eingestuft wurde – für uns unverständlich, weil die Infektionszahlen in Småland nicht höher als im Landkreis Karlsruhe waren.
Also Fährfahrt stornieren und auf bessere Zeiten hoffen. Einen Monat später gab das RKI dann grünes Licht und wir packten erneut die Koffer. Eine gute Entscheidung in diesem verrückten Corona-Sommer. Das Wetter war herrlich, unser Lieblingssee nahezu ausgestorben, die Fußgängerzone in Vimmerby fast menschenleer. Die Schweden waren zwar außerhalb ihrer Landesgrenzen nicht willkommen, aber im eigenen Land hielten sie sich ebenfalls zurück. In Kalmar mit seinem riesigen Schloss machten wir Bekanntschaft mit den angeblich nicht vorhandenen Corona- Einschränkungen. Die Schiffstouren durch den Kalmar-Sund – abgesagt. Viele Geschäfte – geschlossen. Immerhin gab es Führungen durch das geschichtsträchtige Schloss, wo sich zu Zeiten der Wasa-Herrscher wahre Dramen angespielt haben. Aber auch hier achteten die Teilnehmer brav auf Abstandhalten – besser als in jeder deutschen Fußgängerzone.
Gotland: von Corona schwer getroffen
Wie sehr der schwedische Tourismus unter dem Virus gelitten hat, erfuhr ich bei einer Reise nach Gotland, der größten Insel Schwedens. Anfang März rechnete das bei Kreuzfahrern beliebte Eiland noch mit einem Plus von 30 Prozent; einen Monat später war klar, dass die Saison miserabel würde. Fast alle Veranstaltungen – wie beispielsweise die Mittelalterwoche, die im August normalerweise Abertausende auf die sonnenverwöhnte Ostsee-Insel lockt – wurden abgesagt, das neue Kreuzfahrtterminal blieb unbenutzt. Wochenlang durften nur Gotländer auf die Fähre.
Auf dem benachbarten Inselzwerg Fårö, wo Regisseur Ingmar Bergman viele Jahre seines Lebens verbrachte, war ich alleine mit Sonne, Wind und Schafen. Die Raukar, die meterhohen, bizarren Kalksteinsäulen, locken normalerweise ganze Busladungen in den Norden der nur 18 Kilometer langen und acht Kilometer breiten Insel. In diesem Sommer konnte man die Bewunderer dieser von der Erosion geformten Kolosse in jungfräulichem Weiß an einer Hand abzählen. Dass der Meisterregisseur diese toten Steinriesen als Kulissen für seine menschlichen Dramen nutzte, verwundert mich nicht.
Bahnreise durch die Schweiz
Es war Oktober geworden und wir wagten uns nochmals ins Ausland: in die Schweiz. Als begeisterte Zugfans stand die von der UNESCO geadelte Strecke über den Berninapass schon lange auf unserer Wunschliste, nicht der teure Touristenzug mit seinen Panoramawaggons, sondern der hundsnormale Regionalexpress. Die Strecke ist schließlich gleich.
Ein wenig Bammel hatten wir schon, denn nach den Sommermonaten kletterten allerorten die Infektionszahlen. Die südlichen Kantone der Schweiz waren bereits als Risikogebiete eingestuft worden, und es war nur eine Frage der Zeit, wann der Rest folgen würde.
Unsere Rundreise mit der Rhätischen Bahn begann in Andermatt -und gleich mit einer Enttäuschung. Die Zugfahrt über den Oberalpass war wegen Bauarbeiten nicht möglich, stattdessen mussten die ersten Kilometer im Bus zurückgelegt werden. Doch spätestens mit der Fahrt durch die Surselva, die Talschaft des Vorderrheins im schweizerischen Kanton Graubünden, war die leichte Enttäuschung verschwunden. Es war einer jener Herbsttage die ich so liebe: die Weiden noch saftig grün, die Wälder in Rot-, Ocker- und Gelbtöne getaucht, die Bergspitzen weiß verzuckert.
Es zeigte sich, dass wir mit dem Regelzug eine gute Wahl getroffen hatten. Denn in der ersten Klasse waren wir die meiste Zeit allein, zwar gezwungen Maske zu tragen, aber das Schauspiel vor dem Zugfenster entschädigte für diese Einschränkung. Alle paar Minuten haben wir die Seite gewechselt, um ja nicht das Landschaftsschauspiel zu verpassen.
Unterwegs auf Albula- und Berninastrecke
Soll ich die Zugfahrt in wenigen Worten umschreiben? Vom goldenen Herbst in den tiefsten Winter und weiter zu Italiens spätsommerlichen Gefilden. Dass Albula- und Berninastrecke zum Weltkulturerbe zählt, ist mehr als nachvollziehbar. Was zwischen Thusis und dem italienischen Tirano in und an den Berg gemeißelt wurde, lässt das Herz eines jeden Zugfans schneller schlagen. 196 Brücken, 55 Tunnels, ungezählte Galerien und dazu ein 360-Grad-Kreise bei Brusio im verwunschenen Puschlav – auf der 122 Kilometer langen Strecke folgt ein Höhepunkt dem nächsten. Großes Landschaftskino gibt es gratis dazu: der Morteratschgletscher, der bis fast an die Gleise reicht, die milchig grünen Bergseen auf dem tief verschneiten Berninapass, die Weingärten im Puschlav, wo die Grenze zu Italien nahe ist. Uns war klar. Wir kommen wieder und dann bleiben wir länger.
Nochmals Stadtluft schnuppern: Luzern
In Luzern gab es nochmals eine ordentliche Portion schweizerischer Gastlichkeit. Übernachtet haben wir im Schweizerhof, wo schon all die großen Stars abgestiegen sind. Und ein wenig haben wir uns auch so gefühlt. Für ein paar Tage war Corona ganz aus unserem Blickfeld verschwunden – doch dieser paradiesische Zustand hielt keine 24 Stunden. Am nächsten Tag wurde die komplette Schweiz zum Risikogebiet erklärt. Und ich bin gerade noch um die Quarantäne herumgekommen.
2021: Du kannst kommen
Das war mein Rückblick auf das Jahr 2020. Es ist ein sehr persönlicher Rückblick geworden, kein Blick zurück im Zorn. All den Kritikern, Zweiflern und Leugnern sei gesagt: Seid froh, dass wir so gut durch dieses annus horribilis gekommen sind. Ja, wir mussten vielleicht auf den ein oder anderen Kontakt verzichten, auf die ein oder andere Reise. Wir wurden eingeschränkt in unserer Freizeitgestaltung, aber wir haben überlebt. 2021 wird hoffentlich ein besseres Jahr, aber vertrauen werde ich darauf nicht. Wenn mich die vergangenen zwölf Monate etwas gelehrt haben: Nichts ist hundertprozentig sicher, alles ist im Fluss. Nutzen wir es.