Eingebettet in die Weinberge des Markgräflerlandes, an der Pforte zum landschaftlich hinreißenden Münstertal liegt Staufen, das mittelalterliche Städte-Kleinod im Breisgau. Knapp 8000 Seelen zählt das hübsche Städtchen, das im 8. Jahrhundert erstmals erwähnt wurde. Warum die Fauststadt heute als „Stadt mit den Rissen“ von sich reden macht – davon erzählt mein Beitrag.
Inhaltsverzeichnis
Von der Fauststadt zur “Stadt der Risse”
Alle kennen den Faust. Den Wissenschaftler, der nach Wissen strebt und unfähig ist, sein Leben zu genießen. Den Alchemisten, der einen verhängnisvollen Pakt mit dem Teufel schließt und diesem seine Seele verspricht. Unzählige Generationen haben sich durch das Drama von Johann Wolfgang Goethe gekämpft, sind Auerbachs Keller und dem jungen Gretchen begegnet.
Doch nur wenige kennen die Geschichte des wahren Menschen, der schon kurz nach seinem Ableben eine Legende war und dem Dichterfürsten als Vorbild diente. Geboren um 1480 in Knittlingen machte er als wandernder Wunderheiler und Alchemist, Magier, Astrologe und Wahrsager von sich reden, bevor sein filmreifes Leben 1541 in Staufen in Breisgau endete: Dort, im Gasthaus „Löwen“, fand man ihn nach einem missglückten Experiment „in grässlich deformiertem Zustand“.
Faust – Staufens populärster Bewohner
Sagen, Mythen und Dichtungen ranken sich um den populärsten Bewohner von Staufen, um dessen angebliche Zauberkünste und sein schreckliches Ende. Für den Adligen Anton von Staufen – nicht verschwägert oder verschwistert mit der Dynastie der Staufer – sollte der gute Faust Gold herstellen: Denn die Silberstollen im Münstertal warfen nicht mehr genug Profit ab.
Quartier im Löwen
Doch auf der Burg, deren Silhouette weithin sichtbar eine der schönsten Städte des Breisgaus prägt, wollte man den Astrologen und Schwarzkünstler nicht haben. Deshalb quartierte ihn der hoch verschuldete Burgherr im „Löwen“ ein, der fast so viel Tradition aufweist wie der Faust. In einer aus dem Jahr 1407 ausgestellten Urkunde, die heute im Badischen Landesmuseum zu finden ist, wird die Herberge zu Staufen erstmals erwähnt: in einem Darlehensvertrag für den damaligen Wirt Simon Symon. 30 Gulden lieh ihm der Staufener Schmied Klaus Nagel. Im Gegenzug wurde dem ein Zins von fünf Prozent jährlich zugesichert.
Nachtlager in historischem Ambiente
Das Zimmer Nr. 5, wo Dr. Faustus gehaust und gestorben sein soll, gibt es noch immer – auch wenn es nicht mehr an seinem Originalplatz zu finden ist. Heute ist die Unterkunft mit denkmalgeschütztem Mobiliar eingerichtet, das den Charme jener als dunkel verschrienen Zeit heraufbeschwört, ohne dass die Kemenate verstaubt wirkt. Alte Bilder und Dokumente über den Unglückseligen zieren die Wände. In der Ecke steht ein kleines hölzernes Bett mit Schnitzereien, die den Faust darstellen. Wem das zu makaber ist: In dem historischen Gasthof gibt es auch noch andere Zimmer. Und in der liebevoll eingerichteten „Fauststube“ lässt es sich angenehm tafeln.
In Staufen ist der Faust allgegenwärtig
Staufen, nur zehn Bahnminuten von der Dreisamstadt Freiburg entfernt, ist sichtlich stolz auf seinen berühmten Bewohner. Dessen Geschichte wurde zunächst mündlich überliefert; später wurde sie bei Puppenspielen auf Jahrmärkten nacherzählt– womöglich die Quelle für Goethes wohl bekanntestes Werk.
Mit Eifer präsentiert man sich als „Fauststadt“, in der einem die arme Seele auf Schritt und Tritt begegnet. Es gibt eine Faustapotheke, einen Deko-Laden mit dem hübschen Namen „Faust und Gretchen“, kalorienreiche Fausttaler im Café Decker und natürlich den „Löwen“, wo einem ein Wandgemälde an der sorgfältig restaurierten Fassade ins Auge sticht.
Es zeigt jenen Moment, in dem Mephisto, gehüllt in eine Junkerstracht und unterstützt von einem geflügelten Gehilfen, dem am Boden liegenden Faust das Genick bricht. Als sei das bunte Gemälde noch nicht nachdrücklich genug, zieren Zitate aus der Zimmern`schen Chronik die Wand. Sie gilt als eine glaubwürdige Quelle zum Leben der historischen Faust-Figur. In der adligen Haus-Chronik aus dem 16. Jahrhundert ist zu lesen:
Anno 1539 ist im Leuen zu Staufen Doctor Faustus so ein wunderbarlicher Nigromanta gewesen, elendiglich gestorben und es geht die Sage, der obersten Teufel einer, der Mephistopheles, den er in seinen Lebzeiten lang nur seinen Schwager genannt, habe ihm, nachdem der Pakt von 24 Jahren abgelaufen, das Genick abgebrochen und seine arme Seele der ewigen Verdammnis überantwortet.
Mit Mephisto auf Tour
Wer will, kann sich vom Teufel höchstpersönlich durch die mittelalterliche Kleinstadt führen lassen. Seit 2002 gibt es die Mephisto-Touren durch die Fauststadt. Regelmäßig schlüpft ein Theaterschauspieler in die Rolle des Höllenfürsten, wirft sich den feuerroten Mantel über, gestikuliert wild mit seinem Stock, rückt den Damen auf die Pelle – mit unziemlicher Anspielung auf die Walpurgisnacht.
In Windeseile wechselt der Staufener Stadtführer seine Rollen. In der einen Sekunde mimt er den gebrechlichen Dr. Faustus, den man soeben noch greisenhaft daherspazieren sah. In der anderen gibt er den windungsreichen Mephisto – der Teufel war schließlich schon immer ein Verwandlungskünstler. Im zauberhaften Innenhof eines alten Stadtpalais darf auch Goethe nicht fehlen: „Mein schönes Fräulein, darf ich wagen, mein Arm und Geleit Ihr anzutragen?“ Fast jeder Teilnehmer kennt dieses Zitat aus dem Faust. Literatur-Verweigerern hilft der teuflische Souffleur auf die Sprünge. Natürlich klärt er seine Zuhörer darüber auf, wie seine Fußabdrücke in den Treppenturm des Rathauses gelangt sind. Die nüchterne Erklärung wäre sicherlich weniger prosaisch.
Staufen: uralt und äußerst sehenswert
Staufen ist eines der schönsten Kleinode im Breisgau. 770 erstmals urkundlich erwähnt ging es ab 1100 richtig bergauf. Zum Schutz des Silberbergbaus im Münstertal wurde eine Burg auf dem kegelförmigen Schlossberg errichtet. Im 14. Jahrhundert erhielt Staufen das Stadtrecht.
Der gesamte mittelalterliche Altstadtkern ist ein denkmalgeschütztes, äußerst sehenswertes Ensemble. Schmucke Fachwerkhäuser scharen sich um das Rathaus mit seinem imposanten Giebeldach. Entlang der Straße ziehen sich rechts und links kleine plätschernde Bachläufe. Am Fuß des Schlossbergs wacht ein nackerter Bacchus über die Weinreben.
Denkmäler der Industrietechnik
Selbst zwei Denkmäler der Industrietechnik hat die Stadt mit dem Belchen im Rücken zu bieten. Am Rand der Altstadt, in der Bahnhofstraße, liegt die „Fark’sche Werkstatt“. Dort wurden rund 100 Jahre lang Landmaschinen hergestellt und repariert. Liebevoll restauriert vermitteln die alten Maschinen einen Einblick in die Frühzeit des deutschen Maschinenbaus. Betrieben werden sie zur Freude von Klein und Groß über die original erhaltene Transmissionsanlage.
Eine Brücke als Denkmal
Über Staufens Fluss mit den ungewöhnliche Namen Neumagen, unweit vom Café Decker, spannt sich eine gusseiserne Brücke. Deren Karriere begann 1845. In Kenzingen wurde sie als Eisenbahnüberführung eingesetzt. 1871 zog sie nach Staufen um, diesmal als Straßenbrücke. Die Brücke ist nicht nur eine der wenigen erhaltenen gusseisernen Brücken Deutschlands; sie ist auch einzigartig konstruiert: Die Fahrbahn liegt nicht wie üblich auf den Trägern auf, sondern wurde zwischen den seitlichen Trägern eingehängt.
Staufen – die “Stadt der Risse”
Eigentlich scheint alles perfekt in dieser fotogenen Altstadt mit ihren engen Gassen und den mittelalterlichen Häusern. Wären da nur nicht die roten Schriftzüge, die auf unzähligen Hauswänden zu finden sind. „Staufen darf nicht zerbrechen“ ist da zu lesen – am Rathaus, an Gaststätten, an privaten Schmuckstücken. Als „Stadt mit den Rissen“ geistert Staufen durch die Schlagzeilen, weil eine eigentlich vorbildliche Idee im Desaster endete.
Gute Idee – schlechter Ausgang
Das historische Rathaus sollte über klimafreundliche Erdwärme beheizt werden. Eine österreichische Firma bekam den Auftrag, sieben Sonden in den Grund unter dem Rathaus zu treiben. Doch bei den Bohrungen stießen sie auf eine Gesteinsschicht, die sie besser in Ruhe gelassen hätten. Das im Boden vorhandene Anhydrit kam mit Grundwasser in Kontakt, saugte sich voll wie ein Schwann und quoll zu Gips auf.
Der Boden unter der Altstadt hebt sich
Seitdem ist die Welt der Staufener Bürger aus den Fugen geraten. Zunächst waren es nur Hebungen im kosmetischen Bereich. Doch aus Millimetern wurden Zentimeter und aus kosmetischen Schäden eine Katastrophe. Insgesamt hat sich der Boden unter der Altstadt im vergangenen Jahrzehnt um rund 60 Zentimeter angehoben. Dank der mittlerweile eingeleiteten Abwehrmaßnahmen hebt sich der Boden nur noch um etwa einen Millimeter im Monat. Aber auch das summiert sich auf Dauer.
Es knirscht im Gebälk
Was unsichtbar im Untergrund rumort, zeigt sich oberhalb der Straßenkante. Es knirscht in Jahrhunderte alten Dachstühlen. Es reißt Risse in festes Mauerwerk, lässt Fenster und Betonstufen bersten. Ständig bröselt es irgendwo. Mancher Riss an einer Häuserwand ist so tief, dass man mit dem Finger reingreifen kann.
Selbst in Gasträumen und auf Toiletten begegnet man dem Monster aus der Tiefe. Das Faustgemälde in der gleichnamigen Gaststube des „Löwen“ ließ das Amt für Denkmalschutz entfernen, weil es durch die Risse unwiederbringlich zerstört worden wäre. Das Rathaus, ein Schmuckstück aus dem Jahr 1564, muss regelmäßig notdürftig geflickt werden.
Staufens Panoramaterrasse: der Schlossberg
Raus aus der misslichen Gegenwart, rein in die Vergangenheit, die jedes Jahr beim Stadtfest Stages lebendig wird. Wer einigermaßen gut zu Fuß ist, spaziert zur Burgruine auf den Schlossberg. Hier residierten die Herren von Staufen, bevor das Adelsgeschlecht 1602 ein jähes Ende nahm und die Stadt an Österreich fiel. Dank des äußerst ertragreichen Silberabbaus war die Familie zu Wohlstand gelangt, doch am Ende des Mittelalters erlosch diese Einnahmequelle.
Die einst stattliche Burg zerfiel zusehends. Schwedische Soldaten gaben ihr den Rest. Während des Dreißigjährigen Krieges, so um das Jahr 1634, hatten sie es auf den Stauferner Stadtsäckel abgesehen. Doch der war nach vielen Jahren Krieg leer. Aus Enttäuschung brannten sie die Burg nieder. Die Quader der Burg fanden später als Baumaterial für die Mauern in den Weinhängen Verwendung.
Aussicht vom Belchen bis zu den Vogesen
Oben gibt es weder Café, noch Restaurant, weshalb mancher Müßiggänger den halbstündigen Aufstieg scheut. Doch wer durch die Weinberge am Schlossberg schlendert, sich nicht vom sechs Kilometer langen Panoramaweg verführen lässt, wird mit einer umwerfenden Aussicht belohnt. Im Süden erheben sich der wohl schönste Aussichtsberg des Schwarzwaldes, der Belchen, und sein etwas kleinerer Kollege, der Blauen. Im Norden sind die Türme des Freiburger Münsters zu erahnen. Und im Westen erstreckt sich die Rheinebene mit der scherenschnittartigen Silhouette der Vogesen im Hintergrund.
Die Kaffeerösterei in der Johannesgasse ist schon seit langem ein beliebter Treffpunkt von Einheimischen und Besuchern. Das winzige Café erinnert an Omas gute Stube mit roten Sesseln, historischen Maschinen und altertümlichen Öfen. Die Kaffeesorten aus Costa Rica, Äthiopien oder Guatemala werden frisch aufgebrüht. Dazu gibt es frische Croissants, Pain au chocolat und selbst gebackene Kuchen. Wer an einem Wochenende keinen Platz an einem der wenigen Tische ergattert, kann die frischgemahlenen Bohnen mit nach Hause nehmen. Gruppen können den Betreibern über die Schulter schauen und dabei sein, wenn eine grüne Bohne durch gekonnte Röstung zu schwarzem Gold wird.
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