Mythos Transatlantik: Über 600 Seemeilen hat die “Mein Schiff 6” hinter sich, auf ihrem Weg von Hamburg nach Bayonne in der Nähe von New York. Nach Le Havre beginnt das eigentliche Abenteuer Transatlantik. Fast 2200 Seemeilen sind es bis nach St. John´s im kanadischen Neufundland. Wie gut Seetage der Seele tun und wie schön es ist, nach vier Tagen wieder festen Grund unter den Füßen zu haben, könnt ihr im zweiten Teil meiner Transatlantik-Geschichte lesen.
Inhaltsverzeichnis
Stille Tage auf See
Langeweile? Nicht eine Sekunde verschwenden wir an dieses überflüssige Wort. Mit jeder Seemeile, die sich die „Mein Schiff 6“ gen Westen kämpft, schrumpfen Stress und Hektik zu vernachlässigbaren Größen zusammen. Nach zwei Tagen verschwimmt das Zeitgefühl an Bord. Um uns herum nur weiß-blauer Himmel und ein wogendes stahlgraues Meer. Kein anderes Schiff weit und breit, nur das sonore Rauschen der Wellen und das Pfeifen des Windes, der auf Windstärke 6 aufgefrischt hat.
Die einzigen Konstanten sind die Essenszeiten. Dazwischen herrscht Müßiggang. Über das Schiff legt sich ein Mantel der Entspannung. Wer unbedingt Rundumbespaßung braucht, muss nur einen Blick ins Tagesprogramm werfen: Bauch, Beine, Po im bestens ausgestatteten Fitnessstudio, Tanzlektionen bei Ute und Ulrich oder Staunen im Studio, wo es Rolando Villazon und Dieter Hallervorden dank modernster Hologrammtechnik zum Anfassen gibt.
All das brauchen wir nicht. Stundenlang sitzen wir mit einem guten Buch und einer dampfenden Tasse Kaffee auf dem Balkon der Kabine, sehen dem dramatischen Spiel am Himmel, dem schnellen Wechsel von strahlendem Sonnenschein und dunklen Gewitterwolken zu.
Am Anfang zählen wir noch die Runden, die wir auf der 280 Meter langen Laufbahn auf Deck 14 zurücklegen. Doch die überflüssige Zählerei hat sich schnell erledigt. Auf ordentlich Bewegung kommen wir dennoch, auch ohne Laufbahn und Crosstrainer. Abends zeigt der Schrittzähler stolze 10.000 bis 15 000.Schritte an; den unzähligen Runden an frischer Luft und dem konsequenten Verzicht auf Lifte sei Dank.
Mir ist es fast zu ruhig. Ich liebe den Tanz auf dem tosenden Ozean, wenn er seine Urgewalt ausspielt und menschlicher Überheblichkeit ihre Grenzen aufzeigt – so wie damals während der Reise in die Antarktis. Bei Windstärke neun und meterhohen Wellen ächzte und knarrte die „Nordstjernen“, als wolle sie im nächsten Moment zerbrechen. Verbissen kämpfte sie sich die Wellenberge empor, um anschließend acht Meter in die Tiefe zu knallen und für Sekunden unter Wassermassen begraben zu werden. Nachts im Bett zu liegen, glich einer Achterbahnfahrt in der Waagerechten, auf und nieder immer wieder. Im Vergleich dazu ist das sanfte Schaukeln auf der „Mein Schiff 6“ das reinste Einschlafritual.
Die See wird rauer
Am dritten Tag wird die See rauer. Der Wind frischt auf. Die Temperatur fällt um etliche Grad. Am Horizont gehen Regenschauer nieder. Im Pool schwappt das Wasser hin und her, und auf dem Sonnendeck mummeln sich die ersten in dicke Decken ein. Mancher Passagier sorgt sich schon, dass er für die nächsten Seemeilen Richtung Kanada Spucktüten braucht. Die hängen vorsorglich in größerer Zahl in den Treppenhäusern. Doch außer einigen kräftigeren Windböen, die mal beschleunigend, mal bremsend beim täglichen Walking wirken, bleibt es ziemlich ruhig auf hoher See.
Entspannung in der Sauna
Am späten Nachmittag verziehe ich mich in die Sauna. Hinter den riesigen Panoramafenstern ist kaum etwas von der frischen Brise, dem zornigen Heulen des Windes zu spüren. Nur das sonore Brummen des Saunaofens stört die himmlische Ruhe.
Vor den Fenstern hat sich die Welt in graues Leinentuch gekleidet. Kein anderes Schiff kreuzt den Weg der „Mein Schiff 6“, nur ein paar Seeschwalben kreisen am Himmel. Für einen winzigen Moment reißt die Wolkendecke auf, tänzeln silbrige Sonnenflecken auf dem Wasser. Ich speichere die Bilder vom wogenden, welligen, wühlenden Atlantik auf der Festplatte im Kopf ab. Delfine, die das Schiff ein Stück des Weges begleiten, lassen sich nicht blicken. Das wäre wohl des vollkommenen Glücks ein wenig zu viel. Das Leben ist auch so schön.
Das Highlight des Tages: Wagyu-Beef, Iberico-Schwein oder ein Bison Steak? Das Steakhouse Surf & Turf ist bekannt für seine kulinarischen Spezialitäten. Leider hatten auch andere Passagiere die Idee, die Seetage für einen abendlichen Besuch zu nützen. Doch nach ein wenig Wartezeit haben wir noch einen Tisch ergattert, zum Glück! Wer braucht da noch ein Captain’s Dinner.
Wieder an Land: St. John´s
Darrin Steele ist die coolste Socke zwischen Toronto und Dublin. Während der Bus gemächlich zum Signal Hill in St. John’s auf Neufundland hochtuckert, schmettert der stimmgewaltige Kanadier Volksweisen, die verdächtig nach den Dubliners klingen – nach dem dritten, vierten oder gar fünften Glas Guinness. Dass im Osten Kanadas vieles an die grüne Insel erinnert, nicht nur das fröhliche Liedgut, sondern auch das Englisch der Neufundländer, kommt nicht von ungefähr: Es waren vor allem Schotten und Iren, die der 108.000 Quadratkilometer großen Insel ihren Stempel aufdrückten.
Die Verbundenheit zur alten Heimat ist an jeder Ecke, in jedem Pub zu spüren. Schließlich liegt die kanadische Atlantikprovinz mit ihren 550.000 Einwohnern näher an Europa als an Kanadas Mitte. Vom fernen Westen, British Columbia, ganz zu schweigen. „Deshalb freuen wir uns auch so über Besuch vom alten Kontinent“, erzählt Touroperator Darrin, zu dessen Kundschaft schon der verstorbene David Bowie und die amerikanische Country-Legende Tanya Tucker zählten.
Das Nebelloch St. John’ s
Am Morgen, als die Mein Schiff 6 nach vier Tagen auf See St. John’ s anläuft, präsentiert sich die Hauptstadt Neufundlands so, wie man es laut Reiseführer erwarten darf: als Nebelloch. An über 100 Tagen im Jahr herrscht dicke Suppe in der 170.000 Einwohner zählenden Hafenstadt, die es schon zu Ruhm und Ehre gebracht hatte, bevor Europäische Kolonisten überhaupt den Namen New York buchstabieren konnten.
Die Meerenge „The Narrows“, die einen Naturhafen perfekt abschließt, ist nicht einmal zu erahnen. Hätte das Kreuzfahrtschiff nicht einen Lotsen an Bord, der die nur 61 Meter breite Durchfahrt wie seine Westentasche kennt – die Schlängelfahrt hätte ganz schön ins Auge gehen können. Wir wollen schließlich nicht enden wie die Titanic, die nur 300 Seemeilen von St. John’s entfernt ihr kühles Grab gefunden hat.
Holzhäuser aus dem Farbkasten
Im ersten Moment fühlt es sich fast fremd an, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Doch St. John’ s mit seinen schmalen Holzhäusern aus dem Farbkasten ist ein hinreißender Anblick; eine Mischung aus skandinavischer Gemütlichkeit und britischer Gediegenheit wie in den Neuenglandstaaten.
Es war der italienische Seefahrer Giovanni Caboto, der im Jahr 1497 die raue Insel im rauen Meer entdeckte. Ein Haufen Gestein, mit endlosen Wäldern, unzähligen Seen und ziemlich vielen Elchen und Schwarzbären. Eine Landschaft, wie man sie auch in Skandinavien finden könnte. Cabotos Berichte von gigantischen Fischschwärmen, von solchen Unmengen an Kabeljau, „dass man zu Fuß übers Wasser gehen kann“, verfehlten ihre Wirkung nicht.
St. John’s: die Hauptstadt des Kabeljaufangs
Jahrhunderte lang bedienten sich Franzosen, Spanier und Portugiesen an den reichen Fischgründen und errichteten winzige Fischerdörfchen entlang der Küste. Schon die Wikinger hatten die Vorzüge des Fisches mit den Leopardenflecken und dem strahlend-weißen Fleisch zu schätzen gelernt.
Später entdeckten Basken, dass Einsalzen den Fisch nicht nur haltbarer, sondern auch wohlschmeckend macht. Der bacalao wurde zur begehrten Handelsware. Schiff um Schiff mit Tonnen des begehrten Fisches machte sich auf den Weg gen Osten, St. John’s stieg zur ungekrönten Hauptstadt des Kabeljaufangs auf.
Bis es die riesigen Trawler aus aller Herren Ländern übertrieben. Die Grand Banks waren so überfischt, dass Kanadas Regierung 1992 notgedrungen ein totales Kabeljau-Fangverbot für das vorgelagerte Flachmeer und den größten Teil des Sankt-Lorenz-Golfes erließ. 40.000 Neufundländer verloren ihre Arbeit, die Regierung musste Milliarden in die Atlantikprovinz pumpen, um ein Ausbluten der isolieren Orte zu verhindern.
Mit Charme und Herzenswärme
Richtig erholt haben sich die Bestände noch immer nicht. Die Brut des Kabeljau, der den ersten Pilgervätern das Leben gerettet hatte, weil man ihn einfach mit geflochtenen Körben aus dem Meer holen konnte, wird von Shrimps aufgefressen.
Doch die östlichste kanadische Provinz, zu der neben der Insel Neufundland auch das sehr viele größere Labrador auf dem Festland gehört, hat den Niedergang ihrer einst wichtigsten Einkommensquelle überlebt. Aus Fischern sind Menschenfischer geworden, die sich mit ungekünsteltem Charme und unglaublicher Herzenswärme um die Touristen kümmern.
Natur pur in Atlantic Kanada
Die kommen reichlich, vor allem im Sommer, wegen der unberührten Natur, den verträumten Fischerdörfern mit ihren auf Stelzen stehenden Puppenhäusern und wegen der schier unglaublichen Fauna zu Wasser und zu Land. Wale, Roben, Papageienvögel – alles in übergroßer Zahl vorhanden; neben den Eisbergen, die sich aus Grönland kommend im Frühsommer auf der „Iceberg Alley“ tummeln, sicherlich die größte Attraktion von Atlantic Kanada.
Wir sind ein paar Wochen zu spät gekommen. Doch auch so gräbt sich St. John‘s tief im Gedächtnis ein. Der Blick vom Signal Hill, wo Wachposten jedes sich nähernde Schiff sichten konnten und Guglielmo Marconi das erste transatlantische Funksignal empfing, ist atemberaubend – auch wenn sich der strategisch gelegene Ausguck ziemlich häufig in Wolken hüllt.
Vom Hafen sind es nur ein paar Schritte zur Water- oder Gowerstreet, wo sich die liebevoll gepflegten und mit Blumenkübeln verschönerten Jellybeanhouses aufreihen – kunterbunte Holzhäuschen, von denen farblich keines dem anderen gleicht. Ein halbes Dutzend Kirchen versammelt sich einträchtig auf engstem Raum, die anglikanische Kathedrale und die katholische Basilika sind beide Johannes dem Täufer geweiht. Imposanter ist nur noch das Kulturzentrum The Rooms, dessen Architektur an Fischerhütten erinnern soll.
Der schönste Platz: Cape Spear
Der schönste Platz von St. John liegt 15 Kilometer entfernt: Cape Spear auf der Avalon Halbinsel mit seinen beiden strahlend weißen Leuchttürmen. Während ich die vielen Stufen zu dem älteren der beiden hochklettere, die knallig roten Holzstühle fotografiere, die einem noch häufiger in Kanadas Atlantikprovinzen begegnen werden, und dem Meer zusehe, wie es wütend gegen das Felsplateau donnert, frage ich mich, ob hier, am östlichsten Punkt des Kontinentes, Amerika beginnt oder endet. Die Frage muss sich jeder selbst beantworten.
Das Highlight des Tages: Habt ihr schon einmal erlebt, dass der halbe Ort auf den Beinen ist, um ein Schiff gebührend zu verabschieden? In St. Johns wurde diese Ehre der „Mein Schiff 6 „ zu Teil. Dutzende hupender Autos und Hunderte winkender Menschen begleiteten den jüngsten Spross von TUI Cruises bei seiner Fahrt durch die Narrows. Diesmal übrigens ohne Nebel, sondern bei strahlendem Sonnenschein.
Charlottetown in Prince Edward Island und Sydney sind die nächsten Häfen während der Transatlantiküberquerung mit der “Mein Schiff 6”. Was ihr dort erleben könnt und warum für uns die Reise in Halifax zu Ende war, könnt ihr im nächsten und letzten Teil des Berichtes lesen. Hier geht es zum Bericht.
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